Bauernschlau, oder wie die Welt gerettet wurde

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Etwas gelangweilt lenkte Bauer Kraut seinen Traktor durch das Dorf und genoss das tuckernde Geräusch, das das antiquierte Gefährt machte. Sein Blick fiel auf den rostigen Fahnenmast, an dem bis vor einigen Jahren immer stolz seine Landesflagge geweht hatte. Als dann Frau Müllers Arthritis zu stark geworden war, als dass sie das Ding noch selbst hätte hissen können, war auch diese Tradition ausgestorben. Ja, die Welt veränderte sich, dachte sich Bauer Kraut etwas melancholisch und sah sich in seiner Traktorkabine um, einen der wenigen Orte auf dieser Erde, der noch so war wie eh und je. Jedes Mal, wenn er sich neue Hustenbonbons kaufte, die er auf seinem Traktor lutschen wollte, kippte er sie wieder in das alte Kartonschächtelchen, das er als Jungspund im Dorfladen gekauft hatte, um sich nicht an Veränderung gewöhnen zu müssen. „So ist das Leben“, murmelte er. „Alles wird neu aber nichts wird besser.“
Er wusste, dass er Recht hatte. Sein Dorf war keine Gemeinde mehr, die Kirche am Sonntagmorgen beinahe leer und die jungen Menschen zogen in die Städte, um irgendwelche sinnlosen Jobs in Büros zu machen, statt etwas Richtiges zu tun. Die Welt war zu einem riesigen Tummelplatz von Männern in Anzügen und Frauen in High Heels geworden, die dank ihrer faulen Bürotätigkeit alle irgendwann beim Physiotherapeuten landen. Als er noch jung gewesen war, hatte es bei Schmerzen immer geheißen, dass man einfach die Zähne zusammenbeißen müsste. Er war bis heute der festen Überzeugung, dass diese einfache Methode ihn abgehärtet hatte, denn immerhin wäre er bald sechzig und bei bester Gesundheit!
„Volldepp!“, rief Bauer Kraut von seiner Traktorkabine herunter, als ein Radfahrer mit einem bunten Sportanzug und einem lächerlich wirkenden Helm vor ihm den Hügel hoch strampelte und er ihn überholen musste. „All der atmungsaktive Kram macht dich auch nicht schneller, was?“
Er richtete seinen Blick wieder auf die Straße, als er an dem alten Holzhaus vorbeifuhr, in dem seine Ex-Frau wohnte. Alles war anders geworden, die Leute waren arrogant und kannten ihren Platz in der Welt nicht mehr, überlegte er wehmütig und fuhr sich durchs graue Haar. Früher hätte seine Frau sich nie gewagt eine Schnüffelnase zu engagieren, um ihn auszuspionieren und von der Nacht, die er mit der Tochter des Gemeindepräsidenten verbracht hatte, pikante Fotos zu schießen. Kraut seufzte und versuchte an etwas anderes zu denken. Endlich kam der letzte verbleibende Dorfladen in Sicht (die Bäckerei, der zweite Laden, der Metzger und der Eisenwarenhandel hatten schon vor Ewigkeiten zugemacht), auf dessen Rollladen schon seit einer Weile ein arabischer Name prangte. „Und überall diese Ausländer“, murrte Bauer Kraut, während er den Blinker setzte und zu den Parkplätzen abbog.

Als Bauer Kraut nur wenig später auf die kaum befahrene Hauptstraße tuckerte, hinter sich eine Tüte mit seinen Wocheneinkäufen, war er richtig genervt. Einer dieser selbstgerechten Großbauern war ebenfalls in dem Laden gewesen und hatte sogar versucht, sich mit ihm zu unterhalten. Diese Leute bestellten ihr Land doch nur, um etwas zu produzieren, ohne das geringste Verständnis für ihn Handwerk! Natürlich verdienten sie mehr Geld und waren weniger von den staatlichen Subventionen abhängig, doch nur wegen ihnen, die sich an den Markt anpassten, musste ein ehrlich arbeitender Mann wie er sehen, wo er blieb. Er war sich sicher, dass sie sich alle der kommerziellen Pietätlosigkeit verschrieben hatten und nicht eins mit ihrem Vieh und ihren Feldern waren.
Bauer Kraut bemühte sich den störenden Gedanken abzuschütteln und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Erschrocken realisierte er, dass er mit dem Traktor auf den Bürgersteig geraten war und steuerte ihn hart zurück auf seine Fahrbahn. „Was zum …“, rief er aus, doch es konnte ihm partout kein Grund einfallen, wieso die Welt daran schuld sein konnte, also lenkte er sich von seinem kleinen Missgeschick ab und fragte sich stattdessen, ob er sich genug Brot gekauft hatte, denn er hatte vergessen, vor der Fahrt ins Dorf im Brotkasten nachzusehen. Zumindest das Brot war noch dasselbe, stellte Bauer Kraut zufrieden fest, was ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht zauberte. Es währte jedoch nicht lange, denn als er sehen konnte, wie seine Hände am Lenkrad durchsichtig wurden und sich aufzulösen begannen, grunzte er erschrocken. Doch nicht nur das, auch der Traktor schien sich zu entmaterialisieren und ein Gefühl der Panik machte sich in Kraut breit. Er wollte aufschreien, doch im selben Moment verlor er das Bewusstsein.

„Ich habe genug gesehen“, erklärte Admiral Ka’dos und wandte sich ab. „Wir reisen weiter.“
Adjutant Ki’der machte ein bestätigendes Geräusch. „Wie Sie wünschen, Sir.“ Rasch deaktivierte er die Simulation und entfernte den Interface-Blob vom Gesicht des Bauern, bevor er von der Traktorkabine herunter fragte: „Sir? Gehe ich recht in der Annahme, dass wir hier einen Fall von Status Grün haben?“
Ka’dos wandte sich um. „Natürlich, diese Welt ist keine Gefahr für uns. Wenn die Nahrungsproduzenten, die für den Erhalt der Spezies zuständig sind, so dumm sind, dann müssen wir dieses Volk nicht fürchten.“
„Sicher, Sir“, entgegnete Ki’der und sah sich auf dem Deck um, ob er auch wirklich nichts vergessen hatte, denn wenn er den Traktor zusammen mit einem ihrer Geräte zur Erde zurückteleportieren würde, wäre das mehr als nur ein kleines Malheur. Ka’dos verabschiedete sich und verließ das Forschungsdeck des Mutterschiffs, wahrscheinlich würde er sich auf den Weg zu seinen Gemächern machen, um die neueste Folge von „Alethissirata sucht den Superstar“ zu sehen. Ja, jeder ging anders mit dem Heimweh um, das damit einherging, sich für eine lange Zeit auf einem Forschungsschiff zu verpflichten. Ki’der kletterte gemütlich von dem Traktor hinunter und aktivierte den Teleporter. Das vorsintflutliche, grüne Gefährt begann zu flackern und würde sich im selben Moment wieder auf der Erde materialisieren, wo Bauer Kraut seinen Heimweg fortsetzten würde ohne sich an viel zu erinnern.
Manchmal, nur manchmal, fragte sich Ki’der, ob es wirklich so gut war, dass sein Volk so traditionsbewusst und stur war, dass sie raschen Verbesserungen fast immer ablehnend gegenüberstanden. Denn auch wenn ihre Traditionen Teil einer intergalaktischen Hochkultur waren, so verhinderten sie doch viele vernünftige Entscheidungen. Insgeheim zweifelte Ki‘der daran, dass der Zufallsgenerator diesmal ein repräsentatives Exemplar von dieser Spezies ausgewählt hatte, die sich Menschen nannten, doch er durfte seine Vorgesetzten nicht kritisieren. Vielleicht wären die Menschen längerfristig wirklich eine Gefahr, wenn sich bei ihnen wirklich alles so rasch veränderte, doch das war etwas, das künftige Generationen entscheiden müssten, denn sie würden erst in mehreren Jahrhunderten wieder hierher zurückkehren. Doch nein, keine Gesellschaft, egal wie neugierig sie war, konnte innerhalb dieser Zeit lernen, schneller als das Licht zu reisen und für ihr Volk zu einer Bedrohung zu werden, die Vorstellung war schlicht und einfach lächerlich! Die Welt Alethissirata blickte auf eine viele Jahrmillionen alte Kultur zurück und auch, wenn Veränderung nur sehr schleppend geschah, so wären ein paar ambitionierte Menschen doch sicherlich kein Problem für sie, oder? Nein, Bauer Kraut war nicht das Alien-Äquivalent zu ihrer langsamen Entwicklung, dachte sich Ki’der, während er seine Ausrüstung wegpackte.
„Wie auch immer“, murmelte Ki’der und machte sich auf den Weg zur Kantine, um sein Abendmahl zu sich zu nehmen. Er hatte den Tannenzapfen übersehen, der aus dem Reifenprofil des Traktors gefallen und in eine Spalte gerollt war. Und während über dem Forschungsdeck Stille einkehrte, krabbelte ein kleines Alien-Wesen aus den Tannenzapfen und begann damit, sich in die organischen Wände des Mutterschiffs zu nagen.

Autorin: Sarah
Setting: Traktorkabine
Clues: Pietätlosigkeit, Schnüffelnase, Physiotherapeut, Brotkasten, Tannenzapfen
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