Das Geheimnis der Hundesitterin

Diese Kurzgeschichte erschien im Rahmen der zweiten Clue Writing Challenge.

„Das wird sicher lustig!“, hat sie gesagt. „Er ist ein ganz lieber“, hat sie erklärt, „und macht auch kaum Arbeit“, hat sie gemeint. So eine gequirlte Scheiße habe ich ja noch nie gehört, echt jetzt! Und ich bin auch noch so blöd und lasse mich von ihrem treudoofen Blick einlullen, als hätte sie mich vor dem Abendessen um Süßigkeiten angebettelt. Aber wer hätte denn schon ahnen können, dass der sanfte Riese in Wahrheit ein alles verschlingendes, sabberndes, Ukulele-zerstörendes Monster ist? Ich bestimmt nicht, schließlich habe ich Pinky nie all seiner Pracht erlebt, sondern lediglich als braver Begleiter beim Kaffeetreff und da hat er immer unter dem Tisch gepennt. Wenn wir schon dabei sind, welcher Vollidiot kommt auf die Idee, einen tibetanischen Mastiff Pinky zu nennen? Ernsthaft, Pinky ist etwas kleines, niedliches, das man in die Handtasche packen kann oder mit dem Besen erschlägt, wenn es aus den Wandzwischenräumen herauskommt, um Käse zu stehlen. Der Hund, der da mitten auf meinem Laken döst, sieht eher so aus wie ein seniler Löwe, der versehentlich Haarwuchsmittel gefressen hat. Das kann ja heiter werden, wenn ich später die Frechheit an den Tag lege und in mein eigenes Bett will, ich kann es mir jetzt schon bildlich vorstellen. Sicher ist er dann sofort wieder super aufgeregt, rennt durch die Wohnung und schmeisst in einem Anfall unglaublicher Tollpatschigkeit alles um, was nicht niet- und nagelfest ist. Oh Gott, ich will mir gar nicht ausmalen was passiert, wenn ich ihn zum ersten Mal füttern muss. Ich sollte mir vielleicht trotzdem schon mal überlegen, ob ich lieber das Badezimmer oder die Küche opfern will.

Hm, jetzt ist es viertel nach fünf und er hat sich noch immer nicht bewegt. Ich sollte wohl mal nachsehen ob das Ungetüm noch atmet. Daniela würde komplett ausrasten, wenn ihr haariger Gefährte auf meinem Bett krepieren und ich es nicht bemerken würde. „Hier bitte, dein Hund. Er ist etwas ruhiger als sonst, aber es geht ihm gut!“ Würde sie mir das abkaufen? Definitiv nicht, aber eventuell könnte ich sie vom Gestank der Verwesung ablenken, wenn ich mit einem ihrer geliebten Physikbücher vor ihrer Nase herumwedle, oder? Ach, es hilft alles nichts, egal wie verpeilt die Gute sein kann, so leicht abzulenken wie ihr Hund ist sie leider nicht. Wäre aber durchaus praktisch, wenn ich sie mit dem Werfen eines imaginären Leckerlis dazu bringen könnte, ewig lange über den Boden zu schnüffeln und mich in Ruhe zu lassen. Allein der Gedanke daran, ihrem megalangen Zetern über Belanglosigkeiten so einfach entgehen zu können, ist himmlisch. Ich liebe Daniela ja so als wäre sie meine Schwester, aber ich werde nie verstehen, wie man sich dermaßen über Kleinigkeiten aufregen kann. Das würde ich niemals tun! Moment mal. Wo war ich? Ach ja, toter Hund! Gut, komm jetzt, schieb deinen fetten Arsch von der Couch, du musst die Vitalzeichen des Höllenhundes überprüfen. Ha! Das wäre doch mal eine Idee für eine Cartoon-Serie: „Dr. Cerberus, der Arzt, dem die Bestien vertrauen.“

Jetzt ist das Vieh erst seit ein paar Stunden bei mir und schon liegen überall haufenweise Haare herum. Ach was, das sind keine Haufen, das sind Berge, ich wundere mich, wieso noch kein Schnee draufliegt. Sollte ich vorsichtshalber schon mal meine Winterkleidung aus dem Keller holen? Ach, nein, das Tier wird in naher Zukunft sowieso völlig nackt sein, so rasant wie der Haare lässt. Es sei denn, ja, es sei denn er ist verhext und das sind gar keine Haare, sondern winzige Bohnenstangen, die aus seiner Haut emporschießen. Das ließe sich sicher gut vermarkten, ganz bestimmt sogar. „Rebean – Für den gepflegten Kopfhautgärtner.“ Ich kann schon sehen, wie sich die Glatzköpfe in der Apotheke tummeln und um die letzte Flasche Instant-Bohnenstroh prügeln. Mist, war mein Flur schon immer so kurz? Da ist sie also, die Schlafzimmertür, was mich wohl dahinter erwartet? Komm schon, du kannst das! Stell dir einfach vor, im Orchestergraben würden sie den Ritt der Walküren spielen und du würdest dich tapfer der dunklen Bedrohung entgegenstellen. Aber ich habe mein Lichtschwert neulich im Park vergessen. Nun, eigentlich könnte ich auch ganz still und heimlich durch den Spalt schmulen, ist das nicht sowieso die bessere Taktik? Ja klar, sonderlich glorreich ist das nicht, aber wenn ich in den Krieg ziehen müsste, würde ich mich doch auch lieber hinter einem Scharfschützengewehr verstecken und nicht brüllend auf den Feind losrennen. Ah! Jetzt hör schon auf Zeit zu schinden und schau rein!

Verdammt nochmal, ist er grösser geworden? Ich glaube, er ist grösser geworden! Wird er Tokyo angreifen, wenn ich ihn beim Spazieren von der Leine lasse? Aber gut, er atmet noch oder besser gesagt, er schnarcht. Oder grunzt er? So wie das klingt, könnte man meinen, er würde davon träumen sich verzweifelt an eine Schweineclique anbiedern zu wollen. Ach, keine Ahnung, aber es geht Luft rein und Geräusche kommen raus, das muss reichen. Also, kann ich mir jetzt einen Kaffee machen und mich zurück aufs Sofa legen oder wie läuft das mit Hundeüberprüfungen? Egal was ich als nächstes mache, ich darf ihn auf keinen Fall aufwecken, schließlich will ich den empfindlichen Frieden nicht zerstören. Wobei, eigentlich könnte ich ihn auch jetzt gleich füttern, dann hätte ich es hinter mich gebracht, ich befürchte nämlich, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis er nach dem Essen wieder Ruhe gibt. Ist eigentlich immer noch viertel nach Fünf? Scheiße nein, es ist schon halb sechs, was habe ich die letzten fünfzehn Minuten eigentlich gemacht? Okay, ein Plan muss her und zwar sofort. Mama hat gesagt, dass sie um sieben vorbeikommen will, bis dahin muss ich unbedingt die Bude aufräumen, kochen und … Irgendetwas war doch noch. Egal, ich bring erst mal das Wohnzimmer auf Vordermann und versuche dann herauszufinden, wie ich staubsaugen kann, ohne Pinky das Haarmonster zu wecken.

Wieso gafft er mich denn so saudämlich an? Habe ich etwa Wurst im Gesicht oder versucht er mich via Gedankenkontrolle dazu zu bringen, ihm den lächerlich großen Schädel zu kraulen? Ich verstehe Hunde einfach nicht, es ist zum Verzweifeln. Jetzt sitzt der einfach so da, starrt mich an und wedelt in Zeitlupe mit dem Schwanz, was soll mir das sagen? „Ich will etwas essen“, oder „Ich will raus zum pinkeln“ vielleicht?
„Nein, Pinky, nein. Geh weg!“ Oh super, jetzt wedelt er bloß schneller. „Geh schlafen!“ Und nochmal schneller. Wenn ich ihn weiter anmotze fliegt er womöglich noch davon wie ein Hubschrauber und ich bleibe zurück und muss dem Vermieter das Loch in der Decke erklären. „Tut mir leid, Herr Böhm, mir ist ein Hund entflogen.“ Ja sicher, das würde sich ganz bestimmt gut auf unser Verhältnis auswirken, noch besser, als mein beschissener Exfreund, der mitten in der Nacht „Slippery when wet“ gesungen und danach in die Büsche beim Eingang gekotzt hat. Also gut, dann ignoriere ich den Fellkoloss eben und konzentriere mich darauf, meine Zucchini in linear immer grösser werdende Würfel zu schneiden. Die werden sicher gut aussehen, wenn ich sie auf dem Teller anrichte. Pah, soll Mama noch einmal sagen, ich würde so gut kochen wie ein Geschäftsmann aus den Fünfzigern. Was weiß die schon, jeder hat Hobbies, wer sagt also, dass die zigarrenrauchenden, whiskyschlürfenden Don Drapers dieser Welt in ihrer Freizeit nicht Rezepte aus Kochsendungen ausprobierten? Huch, wo ist er hin? Gerade eben war er doch noch da und hat … Scheiße, die Klingel!

„Schön, dass du dich um Pinky kümmerst. Da kannst du schon mal etwas üben.“ Eines Tages werde ich mir aus Protest gegen diese vermaledeiten Anspielungen in den Unterleib schießen, nur um sie zu ärgern. Wenigstens würde sie dann endlich mal die Klappe halten und damit aufhören, passiv-aggressive Kommentare zu meiner Reproduktionsgeschwindigkeit abzugeben. „Das mit dem Kochen kommt bestimmt auch noch.“ Gott, wenn es dich gibt, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für eine neue Sintflut oder, wenn es dir keine Umstände macht, wäre ein Meteorit auch ganz nett. Ach was denke ich da überhaupt, wenn es einen Gott geben würde, hätte er mich nicht mit dieser Ausgeburt an Langeweile als Mutter gestraft, so schlimm ist meine Küche nun auch wieder nicht, dass ich so was verdient hätte.
„Nein, Mamma, ich möchte momentan niemanden treffen.“ Drei, zwei, eins …
„Du wirst auch nicht mehr jünger!“ Wo bleibt eigentlich mein fingiertes Gehirnorchester, wenn ich es ausnahmsweise wirklich brauche? Ein pathetisch-dramatischer Einspieler hätte jetzt wirklich gut gepasst, wahlweise könnte ich mich auch mit einem „Badum-Tss“ zufriedengeben, nur um die unfreiwillige Komik der ewig gleichen Diskussion zu betonen.
„Schade, dass du die Ferien nicht bei uns verbringen kannst.“ Mindestens genauso schade wie das Ende des zweiten Weltkriegs. Na gut, ich übertreibe, aber ich würde es niemandem übelnehmen, wenn er nach einem Abend bei meinen Eltern über Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung klagen würde. Alleine das völlig obskure Gelaber von Onkel Karl konnte die besten von uns in die Arme von Likör und Fresssucht treiben.
„Ja, sorry. Aber ich muss hier sein, für den Fall, dass mein Boss mich doch braucht.“ Ich sollte nicht so hart zu Mama sein. Trotz all ihrem Nerven, Drängen und Nörgeln lässt sie sich zumindest ganz einfach abwimmeln.
„Oh, guck mal! Pinky hat etwas gefunden!“ Ja genau, so ist’s gut, sprechen wir über den Hund. Du hattest schon immer eine Vorliebe für alles, was sabbert und Dinge kaputthaut, nicht wahr, Mama?
„Was hat er denn im Maul?“ Wahrscheinlich die Reste meiner armen Ukulele oder die Katze von nebenan. Halt, was ist das?
„Pinky, komm her!“ Wieso mache ich mir überhaupt die Mühe, als ob er auf mich hören würde. Also gut, dann laufe ich dem Herrn halt hinterher, kremple die Ärmel hoch und stecke meinen Arm in seinen Schlund.
„Zeig her, Pinky-Schätzchen.“ Was? Na klar, wenn meine Mutter es sagt, gehorcht er. Na warte, du Verräter, dafür kannst du dein Leckerli nach dem Spaziergang in den Wind schreiben.
„Oh.“ Das klingt nicht gut, das klingt gar nicht gut. Dieses „Oh“ kommt meistens wenige Sekunden bevor sie mich todenttäuscht ansieht und dann mit einem bitteren Lächeln meint, was auch immer ich falsch gemacht hatte, sei schon in Ordnung.
„Flugtickets nach Amsterdam?“ Nein! „Für den Dreiundzwanzigsten?“ NEIN! „So, so, dein Boss braucht dich also“ Scheiße!
„Schon in Ordnung.“
„Das wird sicher lustig!“, hat sie gesagt. Von wegen!

Autorin: Rahel
Titelvorgabe: Das Geheimnis der Hundesitterin
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3 Gedanken zu „Das Geheimnis der Hundesitterin“

    1. Heya,
      das freut mich natürlich, wenn ich echte Elfen zum lachen bringen kann :)
      Den Haarkoloss kann ich im Übrigen ebenfalls vor mir sehen, was aber daran liegen mag, dass tatsächlich ein laufender Haarball unter meinem Schreibtisch liegt ;)

      Mit lieben Grüssen und grandiotastischen Wünschen
      Deine Clue Writer
      Rahel

    2. Jaha, entgegen der allgemeinen Meinung sind Elfen, besonders die dunklen, ungemein humorvoll ;)

      Genau so einen Haarball O.O Uuuui den mag ich knuddeln kommen XD

      LG

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