Durststrecke

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Er hatte ihren Körper behutsam in den hinteren und kühleren Teil der Höhle getragen, sie sorgfältig in die farbige Hülle des Heißluftballons gewickelt und mit einem Stück Seil eingeschnürt, bevor er die wenigen Habseligkeiten, die ihm beim Überleben in dieser ihm unbekannten Wildnis helfen würden, sicher in seinem Rucksack verstaute. Ein letztes Mal wandte er sich nach ihr um und schob den knisternden Stoff soweit zur Seite, dass er sie zum Abschied auf die Stirn küssen konnte. „Es tut mir leid, Marlena“, flüsterte er matt und verließ die felsige Festung, die ihnen seit dem Schlangenbiss Unterschlupf geboten hatte.

Die unmenschliche Hitze der Savanne war ernüchternd. Obwohl es bereits später Nachmittag war, war der Boden unter seinen blasenübersäten Füssen so heiß, dass Elijah sich so fühlte, als würde er im Kamin seines Onkels sitzen und wie ein Marshmellow gebraten werden. Wie bereits in den Tagen zuvor war sein Überlebensplan relativ simpel: Er würde stetig nach Norden laufen und sobald er ein fließendes Gewässer erreichte, würde er flussaufwärts laufen – etwas, das sich kontraintuitiv anfühlte, aber wegen der Geografie Nord Kenias seine beste Chance wäre, auf Zivilisation zu treffen.

Die Dämmerung würde bald einsetzen und das ausgetrocknete Grasland innerhalb weniger Minuten in komplette Dunkelheit hüllen. Kurz bevor die letzten Lichtstrahlen verschwinden würden, suchte er vorläufigen Schutz auf einer Akazie und beschloss dort solange auszuharren, bis seine Nachtsicht vollständig einsetzen würde – dadurch würde er zirka fünfundvierzig Minuten Marschzeit verlieren, wäre aber nicht seines primären Sinnes beraubt. Elijah fürchtete sich vor der Finsternis, brachte sie doch die Gefahr nachtaktiver Raubtiere mit sich, trotzdem marschierte er, erlöst von der brutalen Hitze des Tages, weiter, währendem er den blassen Mond am Himmel zur Orientierung im Auge behielt.

Der Morgen kam plötzlich und Elijah vergoss eine Träne der Erleichterung, als er die Sonne sah, die sich wie eine goldene Scheibe über den Horizont schob und die Gefahren der Nacht vertrieb. Erneut kontrollierte er, ob er sich noch immer auf dem richtigen Kurs befand und entschied sich dann, etwas davon abzuweichen um am Fuße einer kleinen Bergkette, die ihm womöglich etwas Schatten spenden würde, gehen zu können. Dort angekommen jauchzte er unwillkürlich auf, denn er entdeckte einige Aloe-Pflanzen, deren Saft er nicht nur trinken, sondern auch zur Desinfektion kleiner Wunden und Verbrennungen nutzen könnte. Nachdem er einige der dicken Blätter mit seinem Funktionsmesser aufgekratzt und ausgesaugt hatte, steckte er vier in seinen Rucksack, gleich neben den jungen Akazienzweig, den er, sollte er diese Strapazen überleben, seiner Tochter schenken wollte – sie hatte schon immer ein Faible für Zimmerpflanzen gehabt und diese würde nicht nur schön aussehen, sondern auch eine unglaubliche Geschichte erzählen.

Am sechsten Tag seiner beschwerlichen Reise stelle Elijah mit Schrecken fest, dass es ihm immer schwerer fiel, sich seine positive Geisteshaltung zu bewahren. Zu lange irrte er nun schon durch die Steppe und der Hunger nagte so sehr an ihm, dass er den Geiern folgte. Das Zebra sah einigermaßen frisch aus. Das gerissene Fleisch war noch pink und er konnte keine Maden erkennen, also war das Aas wahrscheinlich nur wenige Stunden alt und genießbar. Als er den ersten Bissen der zähen Maße zu kauen versuchte, vermisste er sogar die schlechte Kantine seines ehemaligen Betriebes, ein flüchtiger Gedanke, der ihm das erste Lächeln seit Tagen schenkte.
Nach dem üppigen Mahl steckte er sich eine Reserveration ein und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Zufluchtsort, in dem er die brütende Mittagshitze verschlafen könnte. Und gerade als er eine kleine Einbuchtung im Berg gefunden hatte, wäre er beinahe über eine Puffotter gestolpert. Getrieben von kindischen Rachegelüsten, warf er einen dicken Felsbrocken auf das Vieh und setzte sich dann, nachdem er sich versichert hatte keine unangenehmen Überraschungen vorzufinden, weinend in die schmale und beengende Höhle.

Unentschlossen blieb Elijah stehen, als er die Elefantenherde erblickte, die in der Ferne unter einer kleinen Ansammlung von Bäumen graste. Er wusste, dass er den majestätischen Tieren nicht zu nahe kommen durfte, insbesondere deswegen, weil die Bullen gerade in der Brunft waren und damit zu rechnen war, dass sie ihn beim ersten Blickkontakt angreifen könnten. Er huschte zu einem einsam stehenden Baobab-Gerippe und kletterte vorsichtig über die untersten Äste, bis er im Dickicht des morschen, toten Holzes einen einigermaßen sicheren Platz gefunden hatte und beobachtete die Dickhäuter eine Weile, um seine nächsten Schritte zu planen. Obwohl er es von hier nicht gut erkennen konnte, deutete der kleine Fleck grüner Vegetation bei den Tieren darauf hin, dass sie sich bei einem Wasserloch aufhielten und so wie es aussah, waren sie gerade dabei weiterzuziehen. Er hatte seine spärlichen Wasservorräte peinlich genau rationiert, doch obwohl er hoffte, dass sie zumindest bis zum nächsten Nachtlager hinreichen würden, verriet ihm das leere Gluckern der Flasche, die an seinem Gürtel hin und her baumelte, dass dieser Wunsch unerfüllt bleiben würde. Elijah blieb weitere fünfzehn Minuten auf dem rauen Ast sitzen und observierte die Wasserstelle, bis er zu dem Schluss kam, dass es niemals einen Zeitpunkt geben würde, die Tränke gefahrlos zu betreten, also schaukelte er seine Wasserflasche in seiner Hand und versuchte abzuwägen, ob es das Risiko wert war.

Elijah war nie ein außergewöhnlicher Mensch gewesen, doch seine Träume von großen Taten hatten ihn immer dazu getrieben, nach Grösserem zu streben. Als er zum zigsten Male an der Polizeiprüfung gescheitert war und er erkannte, dass seine Militärkariere keine Zukunft haben würde, hatte er alles daran gesetzt, seinem Leben auf eine andere Art und Weise Bedeutung zu verleihen. Also hatte er mit der Hilfe seiner verstorbenen Frau die Hilfsorganisation gegründet und war schlussendlich mit Marlena, einer der gütigsten Seelen, die er je kennengelernt hatte, hier hin gereist, um mit eigenen Augen die Früchte seiner Arbeit zu sehen. Es war ein erhabenes Gefühl, neben den Brunnen zu stehen und ein demütiges, von den Dorfbewohnern mit solch einer überwältigenden Dankbarkeit überschüttet zu werden, die er trotz seines immensen Einsatzes niemals hätte annehmen können. Dieses Projekt, obwohl es nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, da machte er sich nichts vor, erfüllte ihn mit großem Stolz und Zuversicht und schenkte ihm die innere Ruhe, nach welcher er so lange gesucht hatte. Nicht zuletzt deshalb konnte er nicht, nein, wollte er nicht akzeptieren hier, in der ausgehungerten Wildnis, seine letzten Atemzüge zu tun. Er wollte nicht wie eine Supernova in sich zusammenfallen, selbst wenn sein Licht noch Jahre nach seinem Ableben aus den Brunnen der Dörfer scheinen würde.

Ein lauter Freudenschrei entwich ihm, als das eiskalte Wasser in seine Stiefel lief. Übermütig schüttete er die schlammige Flüssigkeit, welche er aus einem Klumpen Elefantendung gewonnen hatte, nachdem sich das vermeintliche Wasserloch als staubiger Weideplatz herausgestellt hatte, in die dornige Böschung. In der Ferne konnte er das heisere Brüllen eines Löwen hören, doch er maß ihm keine Bedeutung mehr zu und watete euphorisch durch das kniehohe Wasser, welches sich tief in den Fels gefressen und ein Tal erschaffen hatte. Es war eine gute Idee gewesen von seiner geplanten Route abzuweichen und über die Bergkette zu wandern, auch wenn er sich beim Abstieg über das Geröllfeld einige Schrammen zugezogen hatte.

Ungläubig, ja beinahe entsetzt blieb Elijah wie angewurzelt stehen, als er das Kletterseil entdeckte, das von einem kantigen Felsvorsprung baumelte. „Menschen!“, hörte er seine belegte Stimme und hastete so schnell er konnte auf das erste Zeichen der Zivilisation, das er seit einer gefühlten Ewigkeit gesehen hatte zu. Mit schierer Willenskraft mobilisierte er seine letzten Ressourcen, griff nach dem Seil und presste seine Fußsohlen gegen das kühle Gestein, um die letzten Meter zur erhofften Rettung zu überwinden. Er sah die Blechhütte, die hinter dem bewässerten Garten stand und rannte schluchzend und mit den Armen rudernd darauf zu. Eine Frau erschien in der Tür und ein Mann, der ein mächtiges Jagdgewehr mit aufgeschraubter Laser-Zielvorrichtung bei sich trug, kam hinter dem Haus hervorgetrabt.

Autorin: Rahel
Setting: Savanne
Clues: Zimmerpflanze, Supernova, Kantine, Laser, Kamin
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