Exempel

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Hi, ich bin Gunter. Naja, mein richtiger Name ist Flufferpuff, aber mein neues Rudel nennt mich Gunter, also heiße ich jetzt einfach Gunter. Ich bin übrigens ein Hund, das ist kein Geheimnis. Man hat mir schon oft gesagt, diese Hundigkeit sei deutlich an meinen Schlappohren und der großen Nase zu erkennen. Das verwundert mich, es haben schließlich nicht alle Hunde Schlappohren, einige tragen spitze oder runde. Ja, ich habe sogar einen Hund gekannt, der überhaupt keine Ohren hatte. Das hat mich damals ganz schön irritiert, zuerst dachte ich, er könnte vielleicht eine Schildkröte sein. Vermutlich war der inkognito unterwegs, zu blöd, dass er seinen eindeutig hundeartigen Geruch nicht überdeckt hatte. Egal, wieder zu meinem neuen Namen und dem Rudel. Das ist schon komisch. Ich meine, wie es dazu gekommen ist, dass ich jetzt bei denen lebe. Nun gut, ich kann wahrscheinlich mit Fug und Recht behaupten, das Rudel sei komisch. Dazu komme ich nachher noch.
Vor zwei Jahren – sagt man das so? Zwei Jahre? Ich hab’s nicht so mit Zeitangaben – ist meine liebe Mama eingeschlafen. Das hat sie oft gemacht, so wie ich, jeden Tag. Meistens ist sie kurz darauf wieder aufgewacht, eigentlich immer, bis auf dieses eine Mal. Natürlich war ich traurig, weil sie nur noch rumlag. Zu gerne hätte ich mit ihr gespielt oder wenigstens etwas Essbares von ihr bekommen. Leider wollte sie nichts anderes mehr tun als schlafen. Später, es musste Jahrtausende gedauert haben, begann sie damit, sich zu verkleiden. Das wurde mir zu gruselig, vor allem roch sie plötzlich anders, irgendwie würzig. Ich bin auf den Rasen gelaufen, um den Menschen von nebenan um Futter zu bitten. Der Idiot hat mich nicht verstanden, sondern bloß mit mir geschimpft, ich solle ihn nicht nerven. Schon klar, ich weiß ja, ihr Zweibeiner mögt das mit dem Rumnerven echt nicht – das hat mir Mama ständig gesagt. Ein bisschen Verständnis hätte ich mir trotzdem gewünscht, denn ich hatte wirklich Angst davor, gleich zu verhungern! Irgendwann ist er mit mir gekommen und Himmel, ihr könnt euch kaum vorstellen, wie aufgeregt der war, als er Mama entdeckt hat. Von wegen, man dürfe nicht nerven, der war vollkommen aus dem Häuschen, hat rumgebellt wie ein Irrer – er fand ihre süßlich-modrige Verkleidung wohl auch nicht lustig. Danach hat er mich an der Halskette gepackt und ist mit mir zurück auf den Rasen gelaufen, wo er mich fest umarmte. Ein wenig schräg fand ich das schon, das muss ich zugeben. Ihm musste unglaublich kalt gewesen sein, er zitterte fürchterlich, deshalb hab ich ihn machen lassen – ich bin ein guter Hund, ich beiße nie, wenn man mich streichelt.
Zu Mama durfte ich nicht mehr, das war schrecklich. Es kamen andere Menschen, die über mein Fell strichen und mich in eines dieser großen Tiere verfrachteten. Ihr wisst schon, diese Viecher, in deren Bauch man steigt, wenn der Weg zu weit zum Selberlaufen ist. Dann war ich für lange in einem kleinen Raum, den ich mit anderen Hunden teilen musste. Die meisten von ihnen waren nett, trotzdem gefiel es mir dort überhaupt nicht. Ab und an durften wir nach draußen, um miteinander rumzutollen. Es hat richtig Spaß gemacht, endlich spielen zu können, nachdem Mama ja nicht mehr wollte. Capo, der Hund den ich erst für eine Schildkröte gehalten hatte, meinte, wir wären in einem Tierheim. Ich glaube nicht, dass der Alte rechthatte, denn es war alles andere als heimelig. Eher kühl und es stank stark nach diesem ekligen Zeug, mit dem Mama früher meine Missgeschicke vom flauschigen Boden weggemacht hat. Ich vermisste sie sehr, obwohl die Menschen nie vergaßen, uns von ihrer Jagd etwas mitzubringen. Ich könnte noch eine Weile über dieses unbehagliche Heim erzählen, aber es sollte reichen, wenn ich euch das Schlimmste verrate: Es gab Katzen! Eine Menge davon sogar, direkt neben unserem Raum und diese gemeinen Biester vermiesten alles – sie miauten, wenn ich schlafen wollte und eine von ihnen fauchte mich ständig an, versuchte mich zu kratzen! Es ist daher nicht erstaunlich, dass wir Hunde sehr, sehr neidisch auf diejenigen waren, die weggehen durften. Hin und wieder kamen Menschen und wählten einige von uns aus, mit ihnen durch die letzte Tür zu gehen. Keiner von uns hatte eine Ahnung, was dahinter war. Keiner kehrte wieder und nach der Abreise eines Hundes, wehte jeweils ein metallisch-süßer Geruch zu uns – sicher gab es dort etwas super Leckeres. Manchmal kamen völlig fremde Menschen auf Besuch. Schnell habe ich gelernt, zu denen besonders freundlich zu sein, artig mit dem Schwanz zu wedeln und sie lieb anzusehen. Die Fremden waren oft scheu und scheue Leute brauchen extra viel Hundeliebe – das hat mir Mama beigebracht. Diese Menschen nahmen meistens einen von uns mit. Wohin, wusste niemand von uns, doch es war bestimmt schöner als in dem kleinen Raum, neben dem die Katzen wohnten.
Mein neues Rudel war nicht sonderlich scheu, als sie mich kennenlernten. Der Große erschrak sich zwar ein bisschen, weil ich ihn stürmisch begrüßte – auch das hat mir Mama beigebracht. Er roch richtig köstlich, nach saftigem Dosenfutter und Ochsenurin. Die Kleinere erschrak sich nicht, machte artig Sitz und kraulte mich hinter den Schlappohren. Mir war sofort klar: Die mussten mein neues Rudel werden. Deswegen gab ich mir große Mühe, sie mit meinen Kunststückchen zu beeindrucken. Ich rollte mich auf den Rücken, ließ mich an der Stelle kratzen, an der ich ungern geratzt werde und wedelte heftig, bis ich Angst hatte, mein Schwanz könnte abfallen. Zum Glück hat es geklappt, nur haben sie mich arg lange warten lassen. Bevor sie mich aus dieser Katzenhölle befreit haben, liefen sie weg und kamen dann mit einem der Heimmenschen zurück. Der hat das Seil für meine Halskette dem Großen gegeben und mir mit der Pfote auf den Kopf getätschelt.
Als ich das Revier – oder ‚Haus‘, wie sie es nennen – zum ersten Mal sah, freute ich mich wahnsinnig. Keine Katzen! Es hat viele Zimmer, ich glaube es sind mindestens dreiundfünfzehn. Leider ich bin nicht so gut mit Zahlen, es könnten weniger als achthundertzweiundsiebzig sein. Wie bei Mama gibt es dort einen Raum in dem ein kleiner See und ein Wasserfall sind, der Wasserfall läuft allerdings nur, wenn einer der Menschen da ist. Das Allerschönste ist selbstverständlich das Zimmer, das sie ‚Küche‘ nennen. Ach, es ist so toll, wenn ihr noch nie eines dieser ‚Küche‘ gesehen habt, müsst ihr unbedingt eines suchen – okay, der Boden ist nicht so super, er ist hart, egal wie lange man ihn aufkratzt. Darin gibt es aber eine Kiste voller Leckereien, ich vermute die Menschen bewahren da drin ihre Beute auf. Ich darf nicht in die Kiste, kann sie nicht einmal aufmachen, weil ich meine Position im neuen Rudel bislang noch nicht stärken konnte. Vielleicht werde ich Kisten-Privilegien erhalten, wenn ich den Leithund unterwerfe – ob es mir die Mühe wert ist? Der Leithund, die Kleine, teilt nämlich wirklich großzügig mit mir – ich will mich also nicht beklagen, obwohl ich schon mehr essen könnte. Zudem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Kleine überhaupt unterwerfen lässt, selbst wenn sie sehr freundlich ist, mit ihr ist nicht zu spaßen. Mit dem Großen verhält es sich anders, der ist fast nur lieb. Was rede ich da? Der Große ist immer, ja, wirklich immer lieb. Seinen Platz in der Rudelhierarchie einzunehmen wäre bestimmt nicht schwierig. Bislang hatte ich das nicht vor, schließlich ist er nicht zuständig für die Kiste, mir seine Position zu erkämpfen scheint deshalb wenig vorteilhaft. Jetzt hat er jedoch etwas getan, für das ich ihn in die Schranken weisen muss. Wahrscheinlich erwartet die Kleine das von mir, anders kann ich es mir nicht erklären, denn sie bestrafte ihn für dieses unhundige Verhalten nicht selbst – sie will mich sicher testen, herausfinden, ob ich das Zeug dazu habe, ihr direkter Unterhund zu werden. Was er angestellt hat, fragt ihr euch? Na, wenn ihr wüsstet! Er hat nicht auf den kuscheligen Boden gepinkelt oder einen Happen von der vierbeinigen Plattform neben der Liegewiese gestohlen, das wäre ja noch zu entschuldigen – wir alle werden mal schwach. Nein, er hat das größte Verbrechen an der Hundigkeit begangen, das ihr euch vorstellen könnt und wenn die Kleine ihm dafür nicht in den Nacken beißt, werde wohl ich ihm Manieren beibringen müssen! Es kann einfach nicht sein, dass der Große für so lange Zeit verschwindet, sein Rudel mir nichts dir nichts verlässt wie ein räudiger Köter und danach glaubt, er könne seine ursprüngliche Position in der Hierarchie wieder einnehmen. Nein, das darf man ihm nicht durchgehen lassen, ich muss ein Exempel statuieren!
Ich warte bis die Kleine zu mir rüber kommt, mich auf meine Decke begleitet und zweimal sachte auf meinen Kopf klopft. Das ist ihr Signal dafür, dass sie müde und für uns alle Schlafenszeit ist. Mamas Signal hat mir besser gefallen, sie gab mir vor ihren Schläfen stets ein Leckerli, zumindest war das so, als sie zwischen dem Schlafen noch aufwachte. Der Große ist bereits in seiner weichen Höhle, die er vehement verteidigt, wenn ich mich hineinlegen will. Die Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen ist da, sobald die Kleine die Tür zur Höhle schließt. Wie üblich lege ich mich brav hin, lecke meinem neuen Leithund über die Pfote und wünsche ihr einen erholsamen Schlaf – ich bin gut erzogen, das solltet ihr mittlerweile wissen. Kaum wird die Höhle versperrt, kann ich Grunzen hören, ein Zeichen dafür, dass meine beiden Rudelmitglieder entweder schnarchen oder versuchen sich fortzupflanzen. Zur Sicherheit warte ich noch etwas, stehe dann ganz leise auf und trabe neben dem ‚Küche‘ vorbei, ohne auch nur einmal zur Kiste zu sehen – meine Willenskraft beeindruckt mich zuweilen selbst. Beim Eingang unseres Reviers, dort wo ich regelmäßig böse Eindringlinge verscheuche, sehe ich mich verstohlen um. Niemand da. Sehr gut. Die Wärmedecke des Großen hängt wie üblich neben der der Kleinen. Ich platziere meinen Hintern sorgfältig, damit ich mein Häufchen, welches ich mir auf dem heutigen Ausflug extra aufgespart habe, darunter setzen kann. Das wird ihn lehren, sein Rudel im Stich zu lassen und ins ‚Ferien‘ zu gehen.
„Gunter! Was machst du da?!“

Autorin: Rahel
Titelvorgabe: Exempel
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Ein Gedanke zu „Exempel“

  1. Heya werte Clue Reader
    Na, hat euch Gunter (aka Flufferpuff) gut unterhalten?
    Wer uns schon eine Weile verfolgt, stalkt oder einfach nur ganz harmlos liest, hat bestimmt schon entdeckt, dass mein Herzmuskel besonders für unsere triefnasigen, bellenden (sowie die gefiederten) Kammeraden schlägt. Bitte nehmt es mir also nicht übel, wenn ich euch sage, was die meisten von euch bestimmt schon lange wissen:

    Wenn ihr auf der Suche nach einem neuen Familienmitglied seid, bitte überlegt euch, ob ihr einem Tierheimbewohner ein Zuhause geben könnt.

    Tierheim-Verzeichnis – Deutschland
    http://www.tierheimlinks.de/

    Tierheim-Verzeichnis – Schweiz
    http://tieronline.ch/tierschutz/tierheime

    Und wenn ihr ein Tier habt, nehmt euch doch einige Minuten Zeit und legt fest, wer sich um euren Freund kümmern kann, wenn es euch (temporär) nicht möglich ist. Ich verstehe, niemand denkt gerne an solche Dinge, tut es trotzdem, eurem haarigen Kumpel zuliebe.

    Mit fantastilliardischem Dank fürs Lesen und Zuhören und den besten Wünschen
    Eure Clue Writer
    Rahel

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