Hybris

Ich starre in diese tiefe, alles verschlingende Dunkelheit des mannshohen Abflussrohres, durch das bei jedem Unwetter die Wassermaßen, die das Kanalsystem der sonst so trockenen Stadt fluten würden, weg befördert wurden. Unsere Schritte hallen auf dem noch leicht feuchten Boden und die Lichtkegel unserer Taschenlampen tanzen über den mit Graffiti beschmierten Beton. Jedes Mal, wenn ich eines der gesprayten Gang-Tags sehe, muss ich an Hunde denken, die ihr Revier markieren, das […] Weiterlesen

Das Mädchen, das des Wartens überdrüssig wurde

„Sie ist brillant, nicht wahr?”, fragt er mich ohne eine Antwort zu erwarten, dreht sich einmal mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse und murmelt: „So sexy!“
Da ist etwas Kindisches in seinen Augen, doch die Trauer vermag es nicht zu überstrahlen. Wann immer er meine Aufmerksamkeit nicht auf sich gerichtet glaubt, schimmert sie in Farben, die ich nicht kenne und doch scheint sie mir vertraut; die Trauer, die man in wenigen Augenblicken sammelt und die Jahrhunderte anhält. […] Weiterlesen

Bermudadreieck

Müde sitze ich im beinahe leeren Intercity-Wagen, strecke mich und mache mich dann daran, meinen Laptop zusammenzuklappen und in der Umhängetasche zu verstauen. Nur mit halbem Ohr lausche ich der Durchsage des Zugbegleiters, dass wir gleich pünktlich in Zürich eintreffen werden und dies der Endbahnhof sei, bevor er mit einer unendlich scheinenden Geduld alle Nacht-S-Bahn-Anschlüsse aufzählt. Ich habe es nicht eilig, muss keinen Anschluss mehr erwischen und werde gleich […] Weiterlesen

Gaststory | Wahre Momente

Lächelnd saß Jennifer Hughes-Williams auf ihrem Kanapee. Sie war darin vertieft, neugierig mit ihren Fingern die Perlenbesetzten Netzwerkknoten des Haarnetzes zu erforschen. Doch ihre Gedanken drehten sich dabei auch um die politischen Belange der Welt. Das Boudior, in dem sie sich gerade aufhielt, gehörte zu ihren persönlichen Räumen an Bord des Luftschiffs „Ambush Hope“, mit dem sie durch Europa auf dem Weg nach Frankreich unterwegs war. Im Auftrag ihrer Majestät sollte sie sich dort und in anderen Ländern mit den […] Weiterlesen

Todesstrahlen: Ursache und Lösung aller Probleme

Eines Tages werde ich hier im Freibad beim See abkratzen und meine angesengte Leiche wird als abschreckendes Beispiel dafür herangezogen werden, wieso die Sonne ein tödlicher Feind sein kann. Doch vorerst sitze ich noch im Schatten der dichten Ahornbäume, an einen knorrigen Stamm gelehnt und beobachtete die Kinder beim Spielen mit demselben Interesse, das ein durchschnittlicher Akademiker für das Nachmittagsprogramm von Privatfernsehstationen aufbringt. Immerhin steckte heute bisher niemand […] Weiterlesen

Grenzen

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Ich stehe an der Grenze des Universums. Da ist eine weiße, segmentierte Linie die angeblich auf dem Boden der siebten Dimension aufgemalt ist, wenn mir auch bisher noch niemand hatte erklären können, wieso die siebte Dimension einen Boden haben sollte. Genauso wie es mir unsinnig schien, das jede Linie in der fünften Dimension orthonormal war oder das sich in der zehnten Dimension keine Linien kreuzen konnten, weil sie in sich selbst […] Weiterlesen

Nicht lustig!

„Du findest das lustig?“, flüsterte Maddie empört, zog mich von den Trauergästen weg und verschränkte dann ihre Arme vor der Brust. Ich wusste, dass es nur eine richtige Antwort auf ihre Frage gab, die Unwahrheit, also schüttelte ich schuldbewusst den Kopf.
„Wieso sagst du denn so etwas Fürchterliches?“ Die feinen Linien auf ihrer Stirn glätteten sich langsam und ich wartete so lange ab, bis sie ganz verschwunden waren, bevor ich antwortete. „Ich hab es nicht so gemeint, […] Weiterlesen

Chancen

„Kleines, reichst du mir bitte mal die Pommesgabel?“ Mom blinzelte meine kleine Schwester Martina durch das blendende Sonnenlicht an und die Vierzehnjährige lachte, bevor sie beschwingt das Plastikbesteck von der großen Decke hob und hinüberbrachte. Ich schwieg, wenn ich auch am liebsten mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme gefragt hätte, wieso meine liebe Mutter billiges Einwegbesteck, wie es ihn in tausenden Supermärkten gab, als Pommesgabel bezeichnete, nur weil […] Weiterlesen

Die Neugier des Misanthropen

Ein wenig Mut reichte nicht aus, selbst eine ganze Handvoll brachte ihn nur zum flüchtigen Versuch, jedoch nicht über die Türschwelle. Um die Wohnung nach Jahren endlich zu verlassen, eine Antwort auf die quälendste aller Fragen zu finden, brauchte er Hilfe und er fand sie zwischen den Seiten seiner treusten Begleiter. So saß er, Nacht für Nacht, in seinem Sessel und las von Wagemut, sammelte die Tapferkeit aus dem Erfahrungsschatz all derjenigen, die vor ihm zu Helden geworden sind. Doch je länger er dort […] Weiterlesen

Firmament

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Es ist zwecklos“, murmelte Eda und schaute zu dem beinahe lebendig wirkenden Nachthimmel auf. Sie waren umgeben von Dunkelheit, keine Häuser oder Straßenlaternen erhellten die laue Nacht und es waren unzählige Sterne zu sehen, die man sonst kaum je bemerkte. Martin, der neben ihr auf der Motorhaube des alten Autos auf dem Rücken lag, entgegnete träumerisch: „Nein, du verstehst mich falsch. Klar, wir werden zu unseren Lebzeiten […] Weiterlesen