Oster-Special | Wie du und ich oder nicht | Teil 1

Warnung: Das in dieser Kurzgeschichte dargestellte Gedankengut könnte auf einige Leser beleidigend wirken. Mehr zu unseren Warnungen sowie wann und weshalb wir sie anwenden, erfahrt ihr in unseren FAQ.

Jay legte seine Beine auf den Couchtisch, langte mit seiner Rechten in den Bademantel, um sich am Bauch zu kratzen und wackelte dann solange mit den Füßen, bis seine Sandalen auf dem alten Teppichboden landeten. Es war wahrlich ein langer Tag gewesen und wie üblich hatte ihm niemand für all seine harte Arbeit gedankt. Na gut, überlegte er naserümpfend, einige hatten auf ihn angestoßen, aber selbstverständlich erst nachdem er den Wein höchstpersönlich serviert hatte. Als der Bauch zu seiner Zufriedenheit gerubbelt worden war, widmete sich Jay seiner langen Haarpracht und entwirrte sorgfältig die Knoten mit den Fingerspitzen. Im Fernseher liefen gerade die Nachrichten, doch das war für ihn kaum von Interesse, zumal keiner seiner Freunde oder Gleichgesinnten darin auftauchte und das war jetzt gerade nicht der Fall. Man mochte ihm diese Gleichgültigkeit natürlich nachsehen, immerhin war es anstrengend, sich ständig für alles und jeden erwärmen zu können, irgendwo musste man ja mal eine Grenze ziehen.
Eine geschlagene halbe Stunde später war dann auch das Haar endlich gekämmt, sodass Jay sich die Fernbedienung schnappen und auf den Sportkanal umschalten konnte. Er wartete geduldig ab, bis die Werbung vorbei war und rieb sich erfreut die Hände, als der Moderator die kommende Sendung ankündigte. Leichtgewichtsboxen hatte seit jeher zu seinen Lieblingssportarten gehört – also nur dann, wenn sich Sklaven und nicht etwa richtige Menschen prügelten, klar. Ein wenig Entspannung hatte er sich nun redlich verdient, der Abend war nun wirklich schon anstrengend genug gewesen. Jay dachte an die Konversation beim Essen und schüttelte dabei unwillkürlich den Kopf. Es gab Momente, in denen er sich ernsthaft fragte, wieso er überhaupt noch mit diesen Typen rumhing, das ganze Gejammer, von wegen sie würden ihre Familien vermissen, ging ihm nämlich so langsam echt auf die Nerven! Egal, eigentlich wollte er sich ja gar nicht beschweren, wenn schon nichts anderes, waren die Jungs auch stets für ihn da, wenn er sie brauchte. Nun ja, bei einem war er sich nicht so sicher, denn im Prinzip kam ihm das ganz gelegen. Es gab nichts Besseres für das Ansehen in der Truppe, als sich mutig einem Verräter zu stellen.
Jay sah sich den Kampf zu Ende an, zappte dann noch eine Weile herum und entschied sich schließlich dafür, sich schlafen zu legen. Das Essen lag ihm zwar noch immer etwas schwer im Magen – er hatte sich mit Brot vollgestopft, weil er nicht auf den Hauptgang hatte warten können – aber er konnte es ja mal versuchen. Mit der Zahnbürste im Mund wanderte er seine normale Runde vom Badezimmer ins Schlafzimmer, ein Stück den Flur runter und wieder zurück und summte dabei ein Lied, das von freien Gedanken handelte. Die Melodie hing ihm schon dermaßen lange nach, dass er dem Komponisten den Teufel auf den Hals wünschte. Okay, man musste nun auch einsehen, dass nicht alle den Test bestehen können, weil sie schwach sind oder sich mit anderen Dingen beschäftigen wollen. Sicherlich konnten diese armen Leute, sie wurden ja oft zum Prügelknaben gemacht, nichts dafür, aber man wollte schließlich wissen, mit wem man es zu tun hatte. Auch wenn man es nicht offen zugeben wollte, war es eben doch wichtig, dass eine Gruppe gewisse Werte teilte. In erster Linie deshalb, weil man Konflikte vermeiden wollte. Die klare Abgrenzung von Leuten, die fundamental anders waren, war schlichtweg notwendig. Manch einer würde sogar sagen, dass man ebenfalls die Schwachen aus der Gruppe stoßen sollte – lediglich aus einem rein pragmatischen Blickwinkel betrachtet natürlich.
Er hatte seine Zahnputzzeit schon so einstudiert, dass er knapp vor der sechs Minutenmarke vor dem Waschbecken stand um rechtzeitig auszuspucken. Danach gönnte er sich noch eine Minute Privatsphäre mit einer abgegriffenen Ausgabe von „Miss Magda“, die zu großen Teilen aus dümmlichen Beiträgen für noch dümmlichere Weiber bestand, die dennoch eine beachtliche Auswahl an freizügigen Bildern zu bieten hatte.
Jay ließ sich aus dem Stand aufs Wasserbett fallen, streckte sich ausgiebig und riss seinen Mund beim Gähnen so weit auf, dass man darin einen Korb voller Feigen hätte reinwerfen können. Die gemütliche Bequemlichkeit, die er in seinem neuen Leben gefunden hatte, hielt jedoch an diesem Abend nicht lange an. Sein Bauch grummelte noch immer und er glaube nun nicht mehr, dass seine Brot-, pardon, Fleischesserei daran schuld war. Er hatte sich zum letzten Mal mit zweiunddreißig so gefühlt, als er gerade noch so mit dem Leben davongekommen war, weil er Opium unters Volk gemischt hatte. Oder war es etwas anderes gewesen? Er konnte sich nicht mehr an alles erinnern, irgendwie kamen über all die Jahre einfach zu viele widersprüchliche Informationen zusammen um den Überblick zu behalten. Trotzdem, es war ja nicht notwendig, andauernd alles so genau zu nehmen.
Es hatte relativ lange gedauert, aber irgendwann war Jay dann doch noch eingeschlafen. Die Albträume waren sicher auch mit ein Grund dafür, weshalb Jays Schlafgewohnheiten zu wünschen übrig ließen. Es gab Nächte, in denen er sich die armen Brüder seines Geburtsjahres, von denen seine Eltern ihm erzählt hatten, nicht vorstellen wollte. Mit etwas Wein ging es eben besser, so simpel war das. Er atmete ganz ruhig und gleichmäßig ein und aus und hatte sein weißes Laken aus italienischer Leine bis über beide Ohren gezogen. Seitdem neben ihm der ältere Herr eingezogen war, der sich des Öferen Kekse von kleinen Pfadfindern bringen ließ, schlief er mit Ohrenstöpsel, das Geschrei der Kinder war manchmal nicht zum Aushalten. Deswegen hörte er auch nicht, dass unten ein Fenster eingeschlagen wurde.
Es war einfach nicht zu fassen. Jay war gerade eben durch eine Menschenmaße geschubst und verspottet worden. Wenn es eines gibt, dass nun wirklich zu weit ging, dann war es das. Man verspottete ihn einfach nicht, das konnte er absolut nicht ab. Zu allem Überdruss hatten sie ihm auch noch eine Tiara aufgesetzt und ihn von Fremden auspeitschen lassen – Und dabei wussten sie haargenau, wie sehr ihm solche Schwulitäten gegen den Strich gingen. Sicher, sicher, er hatte sich nicht nur vorbildlich verhalten, aber was bitte schön erwarteten sie denn auch? Sollten sie doch ständig allen einen Gefallen tun sollen und als Maskottchen herhalten. Ein bisschen über die Stränge schlagen, das konnte Jay mit Nachdruck bestätigen, sollte wohl zu verzeihen sein, erst recht wenn man die jeweiligen Umstände in Betracht zog.
Jay zappelte wie ein kleiner Junge auf Moriah, als ihm langsam dämmerte, was die Meute nun mit ihm vor hatte und er wünschte sich inständig, die Peitschenhiebe würden nicht ständig dieselbe Backe treffen. Wenn das noch lange so weitergehen würde, könnte noch jemand ein Auge verlieren, oder zwei. Es half alles nichts, erst konnten sie ohne ihn nicht leben und jetzt ließen sie Jay einfach so hängen und das obwohl er nur immer Beste für sie gewollt hatte.
Es war genauso, wie sein Vater gesagt hatte, Menschen sind einfach undankbar und gierig, sinnierte Jay. Er hatte sein Kinn auf der Brust abgestützt und starrte schläfrig auf seine Füße. Die Position war furchtbar unbequem, ihm war heiß und irgendetwas piekte ihm in die Seite.

Fortsetzung und Schluss in: „Wie du und ich oder nicht | Teil 2“.
Autorin: Rahel
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