Weihnachts-Special | Josefs Bitch

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Oh, hey, Josef!“, brüllt Markus durch die winzige Gaststätte. Paulus und er haben sich vor über zwei Stunden getroffen, seitdem sitzen sie an ihrem Stammplatz und plaudern über dies und das. Das aktuell spannendste Thema ist selbstverständlich die Wiederkehr ihres Kumpels Josef. Dieser war nach der Volkszählung vor einigen Jahren nicht auf direktem Weg zurückgekommen, sondern erst nach Ägypten ausgewandert. Erfahren hatten sie das alles erst viel später von einem Verwandten der Familie, sodass sie davon ausgegangen waren, ihr Freund sei für immer verschollen. Dementsprechend groß ist die Begeisterung, als der dritte ihrer Gruppe über die Schwelle tritt.
„Mann, du hast dir Zeit gelassen“, schmunzelt Paulus, schiebt sich mitsamt Stuhl vom Tisch weg und streckt die Arme einladend aus.
„Hm, ja“, gibt Josef brummend von sich und nimmt die Umarmung widerwillig an. „Ja, es hat gedauert.“ Er ächzt und lässt sich auf den freien Platz neben Markus fallen, welcher ihm kräftig auf die Schulter klopft. „Schön dich zu sehen, Alter. Was geht?“
„Jo, ganz okay. Bei euch so?“ Er ist ergraut, das erging ihnen allen so, aber Josef wirkt nicht nur älter, sondern tatsächlich vollkommen ausgelaugt.
„Ey Jojo, du siehst krass kacke aus“, plärrt Paulus teils amüsiert, teils besorgt. „Wasn los?“
„Halt’s Maul.“ Josefs saurer Ausdruck wird von einer abwinkenden Geste begleitet. Es gibt einige Gründe, weshalb er dieses unvermeidbare Gespräch nicht führen will, ja, sich sogar mehrere Wochen nach der Ankunft zwei Dörfer weiter vor seinen Kumpels versteckt hatte.
„Ja, kann es denn sein?“, unterbricht der Wirt exakt im richtigen Augenblick die Runde. Der Greis kommt gebückt herangedackelt, putzt sich die Nase am Ärmel seines Gewands ab und schnauft dem Heimgekehrten ätzend säuerlichen Atem ins Gesicht. „Bist du es, Josef?“
„Ich bins“, erwidert der Angehauchte, rückt weg und fügt hinzu: „Gibste mir ‘n Schlückchen Wein aus? Zur Feier des Tages, sozusagen?“
„Sicher, sicher“, flötet das betagte Männchen sichtlich erfreut über den längst überfälligen Besuch seines einst besten Kunden. „Ein Minütchen.“ Damit latscht er zur Theke seiner beliebten, wenn auch schäbigen Schänke.
Eine Weile bleibt es still am Tisch der drei Wiedervereinten, dann räuspert sich Paulus. Ein schlechtes Zeichen, wie Josef weiß. „Junge, sag, wieso hat das so lange gedauert?“ Erneut grummelt Josef vor sich hin, seine Laune will sich partout nicht bessern und das obschon er sich bereits einige Schlucke des Fusels gegönnt hat.
„Haben darauf gewartet, dass dieser Herodes-Typ abkratzt. Scheiße, der Kerl hatte gewaltig einen an der Waffel“, meint er zögerlich.
„War das der Kranke, der was mit Kindern hatte?“, erkundigt sich Markus, ehe er sich ein Stück Brot abbeißt.
„Ne, Mann“, fährt Paulus dazwischen. „Soviel ich weiß, hat der sie geschlachtet. Oder, Josef?“ Der Angesprochene nickt und will etwas sagen, da wird er gefragt: „Was hattest du mit dem Arschloch zu tun?“
Da war er, der Moment der Wahrheit, ewig würde er sich ohnehin nicht davor drücken können, also sollte er mit der Sprache herausrücken, es hinter sich bringen. Josef atmet tief durch, hält kurz die Luft an und erklärt schließlich: „Wir mussten unseren Sohn verstecken.“
Die schockierte Stille hält leider kaum länger als drei Sekunden und wie Josef vermutet hat, ist es Paulus, der sie bricht: „Du bist doch nicht noch mit dieser … dieser durchgeknallten Hure …“
„Paulus!“, stoppt ihn Markus forsch mit geballter Faust auf den Tisch schlagend. Er wendet sich an Josef, welcher merkbar angespannt aufgestanden war, bereit, die Ehre seiner Frau zu verteidigen. „Sorry Mann.“
Der Gescholtene zuckt vielsagend mit den Schultern. „Ach komm, sie war schwanger mit dem Gör eines anderen, sowas geht ja mal gar nicht!“
Josef seufzt frustriert und legt den Kopf in den Nacken. „Es nennt sich ‚unbefleckte Empfängnis‘, du Arschloch. Mein Bub ist der Sohn Gottes, der Erlöser.“ Schnippisch flüstert er in Paulus‘ Richtung: „Du kannst uns später danken.“ Dann setzt er sich wieder, entreißt dem daherschlurfenden Wirt die Weinschale und gönnt sich einen Schluck.
„Boa Jojo, wie blöd bist du?“, schnaubt Paulus verächtlich, bevor er zu glucksen beginnt. „Klar, Alter, ‚unbefleckte Empfängnis‘ oder wie ich es nenne: ‚Das Weib hat diesen Gabriel-Spasten aufs Kreuz gelegt und genagelt, weil sie auf seine schwul-weiße Robe stand‘. Tadaa“, macht er heiter und schiebt sich eine Olive in den Mund.
„Naja“, meldet sich Markus zu Wort. „Ist schon seltsam, wenn Fremde im Schlafzimmer deiner Verlobten auftauchen, das musst du zugeben.“
„Jo Alter, vor allem, was soll das heißen, ‚Frohe Kunde‘?“, stochert Paulus und lacht laut. „Also ich bringe ja meiner Alten die frohe Kunde selbst.“
„Ach, mit dem Stern und so, klingt das glaubw…“, will Markus versöhnlich einwenden, da spricht Josef weiter: „Nix gegen den Engel“, empört sich Josef, denn es gibt Dinge, über die man nicht zu spaßen hat. Die Abgesandten des Herrn gehören eindeutig dazu. „Gabe ist in Ordnung, Leute. Der hat sogar einen seiner Mitarbeiter zu mir geschickt, der mich vor dem Kinderschlächter Herodes warnte.“
Mit einer ausladenden Geste deutet Paulus auf die Pfeife, die sich der Heimgekehrte eben stopft. „Haste dir da nich eher ‘n ganz spezielles Kräutchen reingezogen? Würd einiges erklären.“
„Ach, du kannst mich mal.“
Des Spottens keineswegs müde, scherzt Paulus unbeirrt: „Lässt dich die Alte endlich ran? Falls nein, haste die Arschkarte gezogen.“
Josef knurrt entnervt und ist kurz davor, die Schänke, vielleicht sogar Nazareth wutentbrannt zu verlassen. Dummerweise hat er die Order erhalten, genau hier zu bleiben, immerhin heißt sein Ziehsohn ‚Jesus von Nazareth‘. Also nippt er stattdessen an seinem Wein und hofft, der rote Nektar würde seine Stimmung heben und Paulus erträglicher machen. Dieser redet sich indes in Fahrt: „Scheiße, ne. So ne üble Beziehung wünsch ich nich‘ mal meinem schlimmsten Feind. Da hast du dir ne voll hinterfotzige Bitch angelacht, die würd ich mit dem Balg auf die Straße schmeißen, da wär ich skrupellos. Du bekiffter Vollidiot träumst dir die Tatsachen halt lieber hübsch und hältst den Stecher deiner Alten für irgend son‘ Geflügel. Arm, Jojo, echt arm.“
„Ich blick ja die Sache mit den Engeln auch noch nicht ganz“, murmelt Markus im Versuch, die Unterhaltung in andere Bahnen zu steuern. „Wenn sie fliegen können, wieso erscheinen sie dir im Traum? Ich mein ja bloß … Wie schwierig kann es für einen Engel sein, bei dir vorbeizuflattern?“
„Hör auf abzulenken“, wettert Paulus, der das Schälchen mit den Oliven leergegessen hat. „Sorry, Jojo, die Story is‘ zu gut. Kriegst einen in die Fresse und hältst gleich noch die andere Wange hin. Tu dem Bengel und dir einen Gefallen und hau ab, du verweichlichst den Scheißer sowieso nur.“
„Leck mich, Alter“, murrt Josef. Früher, als er lediglich ein schlichter Zimmermann war und sich nirgends für den Erlöser der Menschheit hatte rechtfertigen müssen, war sein Leben besser gewesen, so ehrlich muss er mit sich sein dürfen.
Markus schlägt aufmunternd vor: „Wenn an der Sache was dran ist und genug Leute daran glauben, werden sie Kirchen nach ihm benennen.“
„Und wie heißen die?“ Paulus hatte nicht vor, sich diese Steilvorlage entgehen zu lassen. „‚Kirche des Typen, der von seiner Braut betrogen wurde‘ oder ‚Meine Trulla lässt sich von Engeln flachlegen Tempel zu Nazareth‘?“
Josef, dem die Sache endgültig zu bunt und bildlich geworden ist, widerspricht mit wütend donnernder Stimme: „So blöd bin ich nich‘. Ich bin ein Zimmermann, ich erkenne einen Vollpfosten genauso wie einen Holzkopf, wenn ich einen sehe – und du bist beides davon!“
„Und ob du so blöd bist, Jojo. Aber das liegt in der Familie, deine Eltern vergaßen ja auch, von wem du abstammst und konnten sich nicht mal einigen, wann du Geburtstag hast. Sag, du royaler Holzkopf, bist du am neunzehnten März oder am sechzehnten Dezember geboren?“ Paulus grölt, ohrenbetäubend laut und dreckig.
Selbst der stets um Ruhe und Frieden bemühte Markus kann nicht länger an sich halten und kichert verhalten. „Sorry, Mann“, prustet er. „Der hat gesessen. Quasi voll in die Eier.“
„Als ob du die für was brauchst“, prostet der mittlerweile ziemlich betrunkene Paulus ihm zu, was sofort Markus‘ Neugier weckt: „Hey, stimmt. Sag mal, Jojo: Kriegt denn das Jesuskindchen auch Geschwister? So eine kleine Sippschaft?“
„Na klar, die sind in Planung“, antwortet Josef stolz, zumindest etwas, bei dem er sich sicher ist. Wenn gerade niemand seinen Nachwuchs massakrieren will, muss er die Gelegenheit wahrnehmen und selbstverständlich seine eigenen Bälger haben.
„Sucht ihr euch dafür wieder einen Engel, verbreitet der gute Herr Ziehvater die ‚Fro-hoe‘“, er zieht das Wort ausgelassen in die Länge, „‚Kunde‘ dieses Mal selbst oder nennst du einfach die Homies des Jesu-Görs so? “
Nachdem die beiden Männer, welche Josef eigentlich für seine Freunde gehalten hatte, sich von ihrem Lachanfall erholen, stellen sie fest, dass dieser seinen Wein ausgetrunken und die Schänke verlassen hat.

Wenn ihr wissen möchtet, was aus Josefs Nachwuchs geworden ist, könnt ihr hier weiterlesen. Wir hoffen, die heutige Geschichte hat euch gefallen und wünschen euch megalotastische Feiertage. Teilt sie doch mit euren Freunden auf den Social Media und schaut bei der Gelegenheit auf unseren Profilen vorbei, wo wir euch gerne mit mehr literarischer Unterhaltung begrüßen. Eine besondere Freude macht uns eure Unterstützung auf Patreon, die wir euch mit exklusiven Inhalten verdanken. Und wenn ihr möchtet, dass wir einen Beitrag nach euren Vorgaben verfassen, könnt ihr uns jederzeit Clues vorschlagen.

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