Ladylike

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Wie peinlich“, fluchte sie leise vor sich hin, als sie mit einer dicken Tageszeitung unter dem Arm die Toilette betrat und mit gesenktem Haupt durch den mit Marmor und Gold verzierten Raum schlich. Wieso hatte sie sich nur dazu überreden lassen, dachte sie sich, währendem sie versuchte die kritischen Blicke der edel gekleideten Damen zu ignorieren, welche sich am reich verzierten Mahagonischminktisch auffrischten. So schnell es ihre viel zu hohen Schuhe erlaubten, verschwand sie in einer der Toilettenkabinen, hängte ihre Handtasche an den verschnörkelten Haken und setzte sich auf den Klodeckel. Der heutige Tagesplan hatte ein nettes Treffen mit ihren zwei besten Freundinnen vorgesehen: Zuerst Brunch im ‚Parmesan‘, einem aufstrebenden Italiener im Botschaftsviertel, dann etwas Tee und Kuchen im Egerton House Hotel und danach ein kleiner Ausflug in das bekannte Luxus-Shoppingparadies, Harrods. Sie hatten sich wirklich wunderbar amüsiert, viel gelacht und ein wenig in Nostalgie geschwelgt, was Jenny, das durchtriebene Luder, dazu gebracht hatte irgendwann vorzuschlagen, ein Partyspiel aus ihrer Jugend auszugraben. Kichernd und glucksend hatten die drei Frauen dann begonnen, sich delikate Fragen zu stellen oder sich gegenseitig irgendwelche dummen Aufgaben zu geben, was dazu geführt hatte, dass sie vom Kellner des Egerton freundlich zum Gehen aufgefordert wurden.
„Hey Kate, geh mit einer fetten Zeitung in die Toilette“, äffte sie Marie nach, welche ihr diese blöde Pflichtaufgabe mit einem riesigen Grinsen aufgehalst hatte. Angespannt lauschte sie dem Treiben vor der dünnen Toilettentüre, um herauszufinden, ob es einen günstigen Zeitpunkt gäbe rasch hinauszuhuschen, ohne dass sie von anderen mit der Zeitung gesehen werden würde, doch die dekadenten Waschräume des Kaufhauses waren eine Attraktion für sich und deshalb meistens voll mit vom Einkaufen aufgekratzten Frauen. „Ach“, seufzte sie etwas übertrieben theatralisch und stand wieder auf, bereit sich erneut den skeptisch hochgezogenen Augenbrauen zu stellen. Aber gerade als sie die vergoldete Klinke berührte, vernahm sie einen spitzen Schrei und schreckte instinktiv zurück. Was mochte wohl geschehen sein, überlegte sie sich aufgeregt und drückte ihre Tasche an die Brust.

„Wie können Sie es wagen?!“, hörte sie eine entrüstete Frauenstimme keifen und trat dann, von Neugierde getrieben und den ersten Schrecken vergessend, aus der Kabine. Inmitten des großzügig geschnittenen Waschraums stand eine ältere Dame, die sich vor einer großen Frau mit rotblonden Locken aufgebaut hatte. Die Empörte trug ein gemustertes, offensichtlich sehr teures Outfit und schweren Schmuck, fuchtelte wild mit ihren Armen und kreischte ungehalten: „Das ist die Toilette für Ladies, Sie haben hier nichts verloren!“ Ihr Gegenüber wirkte unauffällig und elegant und angesichts der Schreierei offensichtlich etwas eingeschüchtert und verloren, so dass Kate sich ernsthaft fragte, was diese dezente Frau denn getan haben mochte, um so angefahren zu werden. Langsam näherte sie sich den beiden und als sie das Gesicht der Jüngeren erblickte, war ihr sofort klar was hier gerade passierte. „Das darf nicht wahr sein“, dachte sie sich und marschierte, nun wild entschlossen und wutentbrannt, mitsamt ihrer Zeitung und laut klackernden Absätzen, hinüber. „Hören Sie sofort auf damit! Das ist eine öffentliche Toilette und Sie haben nicht zu bestimmen, wer hier sein Geschäft erledigen darf und wer nicht!“, befahl sie der älteren Dame, welche sie erst erstaunt musterte und sich dann mit einem verächtlichen Schnauben von ihr wegdrehte. Irritiert klappte Kate ihren Mund mehrmals auf und zu, ohne zu wissen was sie hatte sagen wollen, bevor sie ihren Kopf schüttelte und sich so gut sie konnte zu sammeln, um angemessen auf die Situation reagieren zu können. Mit einem ruhigen Tonfall stellte sie sich zwischen die beiden und wandte sich direkt an die junge Frau mit den hübschen gold-braunen Augen. „Miss“, sagte sie, während sie ihre Hand sachte auf den Arm der anderen legte und sie etwas zur Seite schob. „Dort drüben ist eine freie Toilettenkabine, gehen Sie ruhig und ich kümmere mich dann um diese unhöfliche Person.“ Kate lächelte die transsexuelle Frau aufmunternd an und bot ihr dann etwas unbeholfen ihre Zeitung an. „Ah, n-nein danke“, erwiderte die Fremde etwas perplex, bevor sie schüchtern hinzufügte: „Danke, aber ich gehe vielleicht besser.“

„Ha!“, rief die Unruhestifterin lauthals aus und Kate zuckte unwillkürlich zusammen. „Genau, gehen Sie. Und zwar sofort!“ Die anderen Waschraumbesucherinnen verhielten sich auffällig ruhig, währendem sie gespannt der Auseinandersetzung lauschten und Kate bemerkte, wie sich ein unappetitlich klebriger Kloß in ihrer Kehle formte, der sich so anfühlte, als hätte sie einen ganzen Schokoriegel verschluckt; sie mochte es nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, erst recht nicht, wenn ihr nicht ganz klar war, was sie tun sollte. Nichtdestotrotz drehte sie sich wieder um und stellte sich vor die gutbetuchte Dame. „Ich muss Sie bitten das zu unterlassen und die nette Frau endlich pinkeln zu lassen“, brachte sie spontan heraus und war umgehend stolz auf sich, dass sie es geschafft hatte ihre Contenance zu wahren. Doch leider sprang die Gute nicht darauf an und nörgelte aufgebracht weiter. „Wie bitte? Dieses… dieses ‚Ding‘ spaziert hier einfach in die Toilette für Ladies und ich soll jetzt an den Pranger gestellt werden?!“ Nun endgültig entnervt räusperte sich Kate heftig, zupfte den Riemen ihrer Tasche zurecht und stellte sich dichter vor das hysterische alte Weibsbild. „Glauben Sie denn, dass Sie sich ladylike verhalten? Nach Ihrer eigenen Logik hätten Sie von allen hier am wenigsten Recht darauf sich in der Damentoilette aufzuhalten.“ Das schien gesessen zu haben, denn die Angesprochene reagierte mit einer schmollenden Grimasse und einem kleinlauten Brummen und Kate grinste breit, in der Überzeugung, sie hätte ihre Opponentin mit Witz und Cleverness in die Flucht geschlagen.

„Wie heißen Sie denn?“, fragte sie die adrette Transsexuelle und atmete beruhigt auf, als sie bemerkte, dass die anderen Frauen sich nach und nach wieder ihren Geschäften widmeten, anstelle davon sie zu beobachten. „Molly, mein Name ist Molly.“ Kate war froh, Erleichterung im Gesicht ihrer Gesprächspartnerin zu erkennen und wiegte sich in dem Glauben, der ganze Spuk hätte nun ein Ende gefunden und sie würde bald, mit der vermaledeiten Zeitung in der Hand, aus der vielbesuchten Toilette verschwinden können, um ihren Freundinnen beim Tee von den Geschehnissen erzählen zu können.
„Molly?“, hallte es durch den prunkvollen Waschraum und dieses Mal war es nicht nur Kate, die genervt die Augen schloss. „Molly ist ein Frauenname, dieser Perversling da ist doch keine Frau!“
„Wissen Sie was?“, wetterte Kate ohne nachzudenken los und stapfte mit großen Schritten, bei welchen ihre High Heels donnerten, als wollten sie ihrem Zorn Nachdruck verleihen, auf die ignorante Dame zu. „Solch bösartige Heuchler wie Sie, die Ziegelsteine scheißen, wenn sie mit etwas konfrontiert werden, das sie nicht kennen, gehen mir gehörig auf die Nerven.“ Die Dame fluchte indigniert und belustigtes Geflüster war zu hören, während sich Mollys Wangen röteten, so dass Kate sofort vom schlechten Gewissen übermannt wurde; sie hatte Molly nur helfen wollen und hatte sie nun mit ihrer lauten Schimpftirade in Verlegenheit gebracht. Betreten ließ sie den Kopf hängen und sagte: „Entschuldige, Molly.“

In dem Augenblick entdeckte sie Jenny und Marie, die mit eingestemmten Armen neben der schweren Eingangstür standen und sich das ganze offensichtlich mitangesehen hatten. Jenny nickte ihr mit ernstem Ausdruck zustimmend zu und kam zu ihr hinüber um ihr die Zeitung aus den Händen zu reißen. Entschlossen rollte sie das Papier zusammen und noch ehe Kate etwas dagegen hätte unternehmen können, war ihre Freundin zu der gehässigen Ziegelsteinscheißerin gestapft und hatte ihr die dicke Tageszeitung über den Hinterkopf geschlagen.  „Himmel, Jenny!“, stieß Kate aus, konnte sich aber das Lachen nicht mehr verkneifen, als diese sie unschuldig ansah und fragte: „Was? Ich verhandle nicht mit Terroristen.“ Nun verfiel der ganze Raum in heiteres Gelächter, einige der Toilettentouristen begannen sogar damit, lauthals zu jubeln und zu applaudieren, bis die Dame mitsamt ihrem kitschigen Schmuck und ihrem Chanel-Kostüm zeternd und schäumend vor Wut unter Beifall das Klo verließ.
Marie hatte sich unterdessen zu Molly gesellt, schüttelte ihr freundlich die Hand und schlug dann vor: „Wieso gehen wir vier nicht ins ‚Philosophy‘ und trinken einen Kaffee? Hier bleiben sollten wir wahrscheinlich nicht.“ Kate stimmte hastig zu, doch Jenny, die noch immer die Zeitung, welche eigentlich Schuld daran war, dass sie überhaupt hier gelandet waren, fest umklammert hielt, protestierte: „Wieso denn? Schließlich war es nur Papier, ich habe dieser alten Schachtel ja keine Bierflasche über den Schädel gehauen.“ Daraufhin prustete Molly ausgelassen los, so sehr, dass sie sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischen musste, bevor sie kichernd sagen konnte: „Gehen wir, ich lade euch ein.“

Autorin: Rahel
Setting: Öffentliche Toilette
Clues: Frauenname, Parmesan, Schokoriegel, Ziegelstein, Bierflasche
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