Weshalb man aus der Mücke manchmal einen Elefanten im Porzellanladen machen muss

„Nein“, sagte er mit einer Überzeugung, die ihn von allen Anwesenden wohl am meisten überrascht hatte und sah zu, wie seine geliebte Gattin einige Male irritiert blinzelte. „Wie ‚Nein‘?“, wollte diese dann doch noch wissen und die Zornesfalte zwischen ihren Augenbrauen wurde immer tiefer, bis sie schließlich ihre Hände auf die Hüften stemmte und fortfuhr: „Was soll das heißen, nein?“
Verlegen und etwas ängstlich blickte er sich in dem Ausstellungsraum der Porzellan-Manufaktur, welcher ihn eher an einen überladenen Secondhand-Laden erinnerte, als an ein nobles Geschäft, um und suchte nach einem Geistesblitz, um den anbahnenden Streit verhindern zu können, bis er begriff, dass er das im Prinzip überhaupt nicht mehr wollte. Eigentlich hätte er sich mittlerweile damit abfinden müssen, dass sie diejenige war, die alle Entscheidungen traf und es wäre absolut blödsinnig, sich gerade wegen etwas so lächerlichem wie Geschirr mit ihr anzulegen, doch er hatte einfach genug. Ohne hinzusehen griff er nach dem nächstbesten Teller auf der Auslage, hielt ihn Lena entgegen und sagte durch verkniffene Lippen: „Ich will den hier!“
Ungläubig schwieg sie einen kurzen Moment, bevor sie vehement den Kopf schüttelte und sich wieder dem Verkäufer zuwandte und ihn ignorierte, wohl um sich weiter beraten zu lassen, ob nun Enten oder Kraniche besser zu ihren Dinner-Partys passten.
Eine Frechheit, dachte er sich und bemerkte nicht einmal, wie der Kloß in seiner Magengrube immer weiter anschwoll und seine Frustration langsam aber sicher in rasende Wut ausartete. „Lena!“, schrie er so laut, dass der unbeteiligte Verkäufer zusammenzuckte und peinlich berührt einige Schritte zurückwich. „Hast du mir nicht zugehört? Ich will den hier haben!“ Am liebsten hätte er den Teller wie ein Frisbee in ihre Richtung geschleudert und ihr damit den Kopf abgeschlagen, als er das schnippische Lächeln entdeckte, welches sie ihm immer zeigte, wenn sie seine Meinung für minderwertig und unwichtig hielt. „Da ist ein Elefant drauf“, stellte sie dann nur scheinbar nüchtern fest und wollte sich schon wieder wegdrehen, wohl um den jungen Herrn zu suchen, der sich hinter den Tresen gerettet hatte, doch er wollte nicht nachgeben, nicht dieses Mal.
„Na und? Ich mag Elefanten“, hisste er, obwohl es nicht stimmte und es ihn so oder so überhaupt nicht interessierte, welches verfluchte Viech sich unter seinem Essen versteckte; denn ob da nun ein Kranich, ein Elefant oder ein verdammter goldener Bandwurm gekritzelt worden war, Lenas matschige Lasagne würde dadurch auch nicht genießbarer werden.

Vermutlich wusste es Lena noch nicht, aber es ging um viel mehr als überteuertes Porzellan, es ging um seine Würde, die sie ihm seit ihrer Hochzeit Stück für Stück genommen und sorgfältig an einem für ihn unerreichbaren Ort aufbewahrt hatte. Es ging darum, dass er es satt hatte, sich in seiner Ehe wie im Faschismus zu fühlen, ständig ausgeblendet oder nur als Geldesel wahrgenommen zu werden.
Lena seufzte theatralisch und warf dem verstörten Verkäufer einen verlegenen Blick zu, als wollte sie sich für das Benehmen ihres Mannes entschuldigen, was diesen nur noch mehr auf die Palme brachte. „Meinst du nicht, der Kranich würde besser zum restlichen Service passen?“, fragte sie dann schließlich in einem unschuldigen Tonfall und eigentlich hätte er ihr dafür nicht böse sein können, denn immerhin hatte er es bisher immer zugelassen, dass sie ihn so manipulieren konnte, vermutlich war sie deswegen zutiefst schockiert, als er mit einer ausladenden Geste die gesamte Auslage auf den Boden fegte. Der Angestellte quietschte erschrocken und rannte sofort aufgebracht zu dem bunten Scherbenhaufen, in der vergeblichen Hoffnung ein heiles Stück aus der Schussbahn des rasenden Mannes zu retten, während Lena eine Weile einfach nur da stand und ihn anstarrte, bevor sie kleinlaut bemerkte: „Himmel, nun mach doch nicht aus einer Mücke einen Elefanten.“

„Es reicht!“, brüllte er und kickte gegen den Fuß eines eleganten Glasregals, so dass alles darauf gefährlich zu wackeln begann. Es hatte ja früher oder später so kommen müssen, schoss ihm durch den Kopf und ein wenig schämte er sich dafür, dass es so lange gedauert hatte; doch daran konnte er nun auch nichts mehr ändern und so war er froh, dass er endlich den Mut aufgebracht hatte, wie ein entzündetes Fass voller Kerosin hochzugehen und seiner Frau ein für alle Mal die Leviten zu lesen.
„Ich mache alles für dich, arbeite mich halb zu Tode, so dass du dir affigen Luxus leisten kannst und damit vor deinen dummen Freundinnen mit meinem Reichtum angeben kannst, komme jeden Abend nach Hause und helfe dir mit Dingen, für die du den ganzen Tag Zeit gehabt hättest, nur um mir von dir Vorwürfe anhören zu müssen und mich nächtelang von deinem Gejammer terrorisieren zu lassen. Aber jetzt ist damit Schluss, hast du verstanden?“
Nun stapfte ein älterer Herr vom Hinterzimmer in den Verkaufsraum, vermutlich der Besitzer der Porzellan-Manufaktur, doch ehe er etwas sagen konnte, flog der Elefanten-Teller vor Lenas Füsse und zersprang in winzige Stücke, die ein wenig an einen vergifteten Mückenschwarm erinnerten. „Sieh doch zu wie du alleine zurecht kommst, du nimmersattes, nörgelndes Miststück“, wetterte er durch seine Zähne hindurch, bevor er seine Brieftasche aus der Hosentasche zog und sie Lena an die Brust warf. „Hier, damit kannst du die Gemeindesteuern und deinen nächsten Einkauf bezahlen, darum geht es dir doch?“
Er ließ zwei durchaus verwirrte Porzellan-Freunde und seine erschütterte zukünftige Ex-Ehefrau einfach im Laden stehen und atmete im Auto befreit tief durch, erleichtert, zu guter Letzt doch noch gesagt zu haben, was hatte gesagt werden müssen. Doch irgendwann, als der Elefant wieder zur Mücke wurde, dämmerte ihm allmählich, dass es sehr teuer werden würde, Lena nach diesem Ausbruch wieder zurückzugewinnen, denn so sehr er sie hasste, genauso sehr liebte er sie.

Autorin: Rahel
Setting: Porzellan-Manufaktur
Clues: Kerosin, Elefant, Geistesblitz, Faschismus, Gemeindesteuern
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