Gaststory | Showtime

„Das Wort Nephrektomie kommt, wie fast alle Fachbegriffe der Medizin, aus dem Griechischen. ‚Nephros’ ist die Niere, ‚ektemnein’ bedeutet ‚herausschneiden’. Dieses theoretische Wissen ist Ihnen bereits bekannt, nehme ich an. Eine solche Totalentfernung der Niere werde ich Ihnen heute vorführen. Eventuell wird es ein wenig blutig werden, aber daran sind Sie als Studierende der Medizin ja gewöhnt oder sollten es zumindest sein. Ach ja, und bitte fallen Sie mir hier nicht in Ohnmacht, sonst könnten ihnen vielleicht ein paar Innereien fehlen, wenn sie wieder aufwachen. Schließlich gehen der Universität bei so vielen Studenten langsam die Leichen aus.“

Er warf einen Blick in die Runde und grinste. Nach seiner langjährigen Erfahrung als Transplantationschirurg des Universitätsklinikums war sein Humor trocken und schwarz wie der Staub einer Vulkanlandschaft. Vor den Augen seiner Zuschauer nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann, seufzte betont theatralisch, zog sich die Handschuhe über seinen Handgelenken lang, sodass sich der Gummi dehnte und geräuschvoll zurückschnalzte. Niemand wagte es, einen Ton von sich zu geben.

„So, und jetzt meine Lieben: Showtime!“

Schon zu jenen Zeiten, als er noch aktiv als Chirurg tätig war, war er für diese ebenso abgedroschene wie obligatorische Phrase zu Beginn einer jeden Sektion bekannt gewesen. Heute gehörte sie ebenso zum Konzept seiner Vorträge an der medizinischen Fakultät wie die gelegentlichen Schlucke vom selbstgebrauten und dementsprechend starken Schnaps. Dass er dafür mit der Verwaltung noch keine Probleme bekommen hatte, verdankte er nicht zuletzt dem Respekt, den seine Studenten anscheinend vor ihm hatten.

Er wandte sich dem blanken Torso zu. Es war ein junger Mann, den er sich zum Zwecke der Vorführung einer einfachen lumbalen Nephrektomie besorgt hatte. Seine weiße Haut leuchtete im kalten Licht der Neonröhren, die das kleine Hinterzimmer am Institut für Forensik erhellten. Um ihn herum befand sich höchstwahrscheinlich niemand, der bereits einen chirurgischen Eingriff aus dieser Nähe miterlebt hatte. Für die meisten war es sogar das erste Mal, dass sie direkt mit einer Leiche in Berührung kamen. Ein knarzendes Geräusch durchfuhr die Stille, als er den Körper mittels einer ruckartigen Bewegung in eine seitliche Position brachte.

„Ziehen Sie sich bitte Mundschutz und Handschuhe über. Dann gehen Sie wie folgt vor: Durchtrennen Sie zuerst den Musculus obliquus externus abdominis möglichst im Faserverlauf, den Internus abdominis aber immer quer dazu. Den Musculus transversus abdominis durchtrennen Sie dann wieder im Faserverlauf. Und bitte passen Sie mir auf den Nervus subcostalis auf, der, wie Sie hier sehen können, ventral verläuft.“

Er schob vorsichtig weitere Schichten Muskulatur im Interkostalraum beiseite, ohne die Pleura zu beschädigen und legte die Niere durch Abschieben des Peritoneums von der Gerotafaszie frei. Jetzt erst erfüllte sich bereits abgestandene Luft mit dem charakteristischen, leicht fauligen Geruch des inneren Abdomens, den er so sehr liebte. „Der Duft des Bauchraums ist nicht jedermanns Sache, ich weiß“, stellte er fest, als er in die bleichen Gesichter blickte.

„Hier können sie gut die Vena renalis ausmachen. Kommen Sie ruhig näher und werfen sie einen Blick darauf.“

Sobald ein Körper geöffnet und seine Handschuhe blutbeschmiert waren, wurde er zu jenem gutmütigen alten Mann, den man in ihm vermuten würde. Fast väterlich erklärte er, was zu beachten sei, welche Nerven besonders vorsichtig zu behandeln seien und welche umliegenden Organe beschädigt werden könnten. Dann nahm er die bereitgelegten Overholts und zog sanft die Hilusgefäße zur Seite.

„Bei einem lebenden Menschen ligieren Sie danach noch, was wir heute aus Zeitgründen auslassen müssen. Und beachten Sie auch die Harnleiter und Nervenbahnen. Dann können Sie an und für sich nichts falsch machen. So, und zumachen dürfen Sie selbst.“

Seine Zuseher waren sprachlos, als er seinen Blick triumphierend durch den Raum gleiten ließ. Die entnommene Niere lag sauber in seiner ausgestreckten Hand.

Er stellte ein Gefäß mit Gaze und anderem Verbandsmaterial bereit, befühlte noch einmal das entnommene Organ und wiegte es fast zärtlich in seinen Händen. Seine Studenten waren immer noch leise, keiner von ihnen hatte eine Frage geäußert, keiner wagte es, auf den geöffneten Körper zuzugehen. Eine gespenstische Stille legte sich über den Raum. Er blickte sich um: „Wenn sich niemand traut, dann sehen Sie wenigstens genau zu.“

Mit gezielten Stichen nähte er die Öffnung zu. Der junge Mann war noch warm und weich, als er ihn schließlich mit einem Tuch bedeckte. Danach streifte er sich in aller Ruhe und mit zufriedenem Gesichtsausdruck die Handschuhe ab, säuberte die Instrumente und entfernte sorgfältig die Spuren seines Eingriffs. Dann wieder ein Blick in die Runde, doch es blieb still.

Die wenigen Anwesenden lagen ruhig auf den für sie bereit gestellten Liegen und warteten selbst auf ihre Obduktion. Schade, dass sie nichts mehr hören konnten. Sein Vortrag war diesmal wirklich gut gewesen.

Die entnommene Niere ließ er in eine bereitgestellte Vase gleiten. Das mit warmem Wasser gefüllte Gefäß aus gebranntem Ton war nicht nur unauffällig, sondern wurde bereits in der Antike verwendet, um Lebensmittel aufzubewahren. Als er die Klinik verließ, dämmerte bereits der Morgen. Er gähnte – und freute sich auf ein nahrhaftes Frühstück.

Autorin: Judith
Setting: Hinterzimmer
Clues: Phrase, Innereien, Vase, Konzept, Gaze
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