Underdog

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Baron Freiherr von und zu Wuffens hatte schon viele Abenteuer erlebt und nun das stolze Alter erreicht, in dem seine Wanderungen kürzer wurden und er länger am Fußende des Bettes schlief. Doch jedes Mal, wenn sich der Baron vor seinen Futternapf setzte, hatte er noch immer den Eindruck, dass die Wiederbefüllung bestenfalls schleppend erfolgte, ganz so als wollten ihm die Menschen auch im hohen Alter nicht den Spaß erlauben, übergewichtig zu werden. Nun gut, er wusste, dass die Familie ihn mochte, immerhin war er Baron von Wuffens, ein Hund wie kein anderer, doch manchmal könnten sie ihm dies mit mehr Nahrung anstelle von übermäßigen Streicheleinheiten zeigen! Doch der Baron regte sich jeweils kaum lange darüber auf, denn unter dem Tisch hatte er beinahe unbegrenzte Möglichkeiten zur Ablenkung all seiner Sinne. So war er versteckt unter dem herunterhängenden Tischtuch, das er manchmal, wenn er nur den Kopf hervorstreckte, wie das Cape von Superdog nutzen konnte.
Auch wenn gerade nicht unzählige menschliche Beinpaare in das Versteck des Barons ragten, so war es hier doch kein Bisschen langweiliger, denn immerhin war er ein Hund von Welt, der es verstand, sich mit mehr zu unterhalten als der Erwartung, wann das nächste Mal etwas Essbares auf den Boden fallen würde. Das letzte Mal, als er eine rasche Bewegung am Rand seines Gesichtsfelds gesehen hatte, war er hingehastet, nur um enttäuscht feststellen zu müssen, dass das heruntergefallene Lebensmittel (das seinen Namen nicht verdient hatte) ein Rosenkohl gewesen war. Natürlich hatte er ihn trotzdem verschlungen, denn es hätte ihn ja jemand aufheben können, was unter keinen Umständen geschehen durfte, doch wenn er ehrlich war, so schauderte es ihm stets beim Anblick dieses Zeugs, dessen Grün schon von weitem mit einen enttäuschenden Geschmack für Karnivoren drohte.
Der Baron gab ein schnüffelndes Seufzen von sich, er hatte mal wieder den Faden verloren. Wo war er doch gleich gewesen? Ach ja, genau, dabei, dass es hier unten nicht langweilig war. Er konnte sich ausstrecken und ungestört schlafen, was er meistens tat, oder einfach nur dösen und dazu an seinen Weltherrschaftsplänen feilen, die er eines Tages in die Tat umsetzte. Ja, er würde es allen zeigen, dem arroganten Mister Bello, der nur zwei Häuser weiter wohnte, dem sarkastischen Jimmy Kater, mit dem er sich die Wohnung teilen musste und vor allem dem hinterhältigen Nasenbär, mit dem er in seinen jungen Jahren im Tierpark einen Streit vom Zaun gebrochen hatte. Alle mussten sie herausfinden, wie ein großer und einflussreicher Baron umsichtig die ganze Welt regieren konnte und es dabei sogar zustande brachte, alle Straßenköter mit Futter zu versorgen …
„Waddup, Dawg?!“, unterbrach ihn der laute Ruf aus der Dunkelheit über ihm. Panisch fuhr er zusammen, sprang auf und wäre beinahe auf dem Fliesenboden ausgerutscht.
„Jimmy, du verdammte Arschgeige“, wetterte der Baron und sah zu dem Kater auf, der sich wohlig auf der Sitzfläche eines unter den Tisch geschobenen Stuhls zusammengerollt hatte und nun frech auf ihn heruntergrinste. „Das ist nicht witzig!“
„Ich fand es ziemlich lustig, wie du fast auf dein langes Gesicht gefallen bist“, schnurrte Jimmy und sprang vom Stuhl hinunter, wobei sein Schwanz dem Baron ins Gesicht klatschte. Er ignorierte den nervigen Mitbewohner und wollte sich gerade der Stülpe widmen, die er am Vormittag von der Garderobe gestohlen hatte, doch der Kater gab keine Ruhe: „Sag mal, grübelst du noch immer an deiner Rolle in der Weltpolitik herum?“
„Na ja, es kommt vor“, meinte der Baron und fügte rasch und selbstsicher hinzu: „Aber das wirst du merken, wenn ich die Welt regieren werde.“
„Ich denke eher, dass du morgen wieder zum Tierarzt musst, weil deine Impfungen fällig sind“, entgegnete Jimmy trocken und stakste damit von dannen. Etwas paranoid sah sich Baron von Wuffens unter dem Tisch um, denn ihm gefiel der Gedanke an den Tierarzt ganz und gar nicht. Es lag unter der Würde eines Hundes von seiner Herkunft, sich mit Nadeln piesacken zu lassen, sein Körper war ein Tempel und … Das Rasseln des Trockenfutters, dass in seinen Napf gekippt wurde, unterbrach seinen Gedankengang und ließ ihm dein Speichel im Mund zusammenlaufen. Er sprang auf und rannte mit der ganzen Geschwindigkeit, die seine alten Hinterläufe hergaben, in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

Verwirrt schlug Baron Freiherr von und zu Wuffens seine Augen auf und sah sich unter dem Tisch um. Was für ein Traum! Er hätte nicht zu einem besseren Zeitpunkt aufwachen können, denn noch erinnerte er sich an den Geschmack des Futters in seinem Mund, ganz so, als ob er es gerade erst gegessen hätte. Außerdem hatte er seine Weltherrschaftspläne schon seit seiner Jugend begraben, er würde nicht auf die Idee kommen, das Tierreich kontrollieren zu können. Er hatte zwar keine Ahnung mehr, wann genau er eingeschlafen war, doch als er den Kopf hob, konnte er sehen, dass Jimmy Kater friedlich auf dem Stuhl döste und keinerlei Interesse an den Abenteuern des Barons zu zeigen schien. Eigentlich spielte es auch keine große Rolle, was genau er träume, Hauptsache, es ging um Futter und nicht um fiese Sprüche, die sein Mitbewohner zum Besten gab. Er roch an der Stülpe, die er offenbar während dem Traum unter seinem Kopf gehalten hatte und atmete dabei genügend Staub ein, um ein lautes „Hatschi“ von sich zu geben. Sofort konnte er eine quietschige menschliche Stimme vernehmen: „Mama, ich habe den Hund gefunden, er ist wieder unter dem Tisch. Jetzt können wir endlich zum Tierarzt fahren.“ Verdammt, das hatte er ganz vergessen!

Autorin: Sarah
Setting: Unter dem Tisch
Clues: Cape, Grün, Nasenbär, Hatschi, Stülpe
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4 Gedanken zu „Underdog“

    1. Liebe Makrelenmarmelade,
      Dass deine Freizeit ausgerechnet mit unseren Stories gefüllt werden kann, freut mich natürlich ungemein!
      Ich wünsche weiterhin gutes Lesen, und da ich weiss, wer du bist, auch gleich gute Besserung. :)
      Es verneigt sich die Clue Writerin,
      Sarah

    2. Ich weiss auch wer du bist und bin mir noch nicht sicher, ob ich dir die Makrelenmarmelade jemals werde vergeben können :P

      Makrelenmarmelade wünscht dir…
      Rahel

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