Wohin man geht

Diese Story ist auch als Hörgeschichte und in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.

„Na, wohin führt die Reise, schöne Dame?“, fragte der schmuddelige, untersetzte Mann mit dem verschwindenden Haaransatz und ich lachte trocken, während ich mir eine Kippe anzündete. Ich mochte vieles sein, doch weder schön noch eine Dame, soviel sollte eigentlich jedem klar sein, der mich länger als nur für eine Sekunde betrachtete. Mit einem Schulterzucken tat ich die Avancen des kleinen Gauners ab und nahm einen großen Schluck von meinem Whisky, bevor ich dem Barkeeper zuwinkte, das Glas aufzufüllen. Er trat heran und ließ sich von meiner trüben Mine nicht beeindrucken, warf mir sogar ein aufmunterndes Lächeln zu. Eine wie ich war sicherlich nicht das Schlimmste, was man in einer alten Raumhafen-Bar tagtäglich zu sehen bekam, zu viele heruntergekommene Gestalten gingen hier ein und aus. Reisende von anderen Welten, denen das Geld ausgegangen war, Schmuggler, die auf ein gutes Geschäft hofften, Hehler, die Schmuggler rekrutieren wollten und jede Menge verschrobener Kistenpacker und Abenteurer, die mit billigen Passagen auf Frachtschiffen von einer staubigen Kugel im leeren Raum zur nächsten reisten. Und natürlich Flüchtlinge. Wenn ich ehrlich sein sollte, war ich mir nicht sicher, zu welcher Kategorie ich gehörte und es war mir (wiederum ehrlich) scheißegal. Ich wusste schon lange nicht mehr so genau, vor was ich mich eigentlich zu verstecken versuchte. Was ich erlebt hatte, was ich gesehen hatte oder was ich getan hatte. Am Ende spielte es auch keine Rolle mehr.
Ein Vibrieren war zu spüren und mein Glas erzitterte, als ein Sternenschiff viel zu tief über das alte, einstöckige Backsteinhaus hinwegdonnerte. Auf einer armen Randwelt wie dieser gab es keine richtige Polizei und jeder machte und tat, wie es ihm beliebte. Irgendwann würde eines der gefährlich tief fliegenden Schiffe auf das Quartier krachen und alles in einem feurigen Inferno verschlingen, doch das kümmerte mich nicht, denn ich wäre sowieso nicht mehr lange da. Mir fiel ein, dass mir vor Jahren ein Sternenschiff-Captain Geschichten aus dem Wilden Westen der Alten Welt erzählt hatte, die mich verdammt an manche Randwelten wie diese erinnert hatten. Erst als ich meinen Kopf hob und dem Barkeeper dankend zunickte, bemerkte ich, dass der komische Kerl noch immer dastand und mich musterte.
„Was?“, fragte ich und machte keinen Hehl daraus, dass ich mittlerweile leicht genervt war. Er grinste mich nur frech an und ich hätte die größte Lust gehabt, den Blaster von meinem Gürtel zu nehmen und mit einem Lichtprojektil seinen Schädel über die halbe Wand zu verteilen. Wie das aussah, wusste ich nur zu gut, wenn ich damals für mein Handeln auch bessere Gründe gehabt hatte. Zumindest sagte ich mir das immer. Schließlich, nach einem unendlich erscheinenden Augenblick der Stille, murmelte er: „Du bist okay.“
Ich konnte meinen irritierten Gesichtsausdruck in dem Spiegel über der Bar erkennen und zum ersten Mal wünschte ich mir, dass die Narbe, die von meiner Schläfe über die Lippen und bis zum Kinn führte, meine Mimik unlesbar gemacht hätte. „Wie, okay?“
Er schien kurz nachzudenken, bevor er entgegnete: „Stille Wasser, du weißt schon.“
Ich wusste es nicht. „Wenn du mich anmachen willst, kannst du dir die Mühe sparen, ich mach sowas nicht.“
„Dates oder Typen?“, wollte er amüsiert wissen und kramte ohne zu fragen eine Zigarette aus meinem Etui, das auf der Theke lag. Vor einigen Jahren hätte ich dafür eine Schlägerei vom Zaun gebrochen, doch diese Zeiten waren vorbei, ich wurde langsam aber sicher alt.
„Beides“, sagte ich und fügte nach kürzerem Nachdenken hinzu: „Eigentlich gar nichts.“
Er steckte sich die Kippe mit dem Laserfeuerzeug an und gab dem Barkeeper ein Zeichen: „Zwei Doppelte, einen für mich und einen für die Dame.“
Ich seufzte demonstrativ, offenbar gehörte er zu der Sorte von Nervensäge, die man nicht loswurde. Zu meinem Erstaunen sagte er: „Sorry für die billige Anmache, ich bin kein großes Verführer. Der Drink ist ein Friedensangebot, du musst deswegen nicht mit mir reden.“
„Danke“, murmelte ich und versuchte, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen und trank meinen Whisky aus. In meiner Erfahrung waren die meisten Leute genauso, wie sie zu Beginn wirkten, doch dieser Typ wirkte so, als wäre er im Grunde ganz erträglich. Jedenfalls wenn man über seine faden Verführungsversuche hinwegsah.
Als der Barkeeper die Drinks vor uns hinstellte und die Kreditchips des Fremden aufhob, sah ich mich in dem am frühen Nachmittag verhältnismäßig leeren Raum um. Zwei Hünen von Dockarbeitern spielten Darts und kippten Biere, ein paar kleine Gangster saßen an einem der grünen Holztische und versuchten bedrohlich auszusehen und eine ältere Frau in punkiger Kluft, vielleicht eine arbeitslose Hackerin, kauerte an einem Tisch und starrte abwesend auf ein Hologramm vor ihr.
„Ein Drecksklumpen von einem Planeten, was?“ Ich fuhr herum und konnte wieder das Grinsen von dem Fremden sehen, der mir zuprostete. „Auf all die Idioten, die hier frei herumlaufen und von einem besseren Leben träumen.“
„Hört, hört.“ Ich hob mein Glas, stieß an und setzte es an die Lippen um möglichst viel auf einmal herunterzukippen. „Und wie passt du in das Bild? Hehler?“
Er lachte. „So offensichtlich?“ Nach einer kurzen Pause sprach er weiter: „Viel interessanter ist doch, woher du kommst. Bei deinem Akzent würde ich auf Neuirische Kolonien tippen.“
„Wichtig ist doch nicht, woher man kommt, sondern nur, wohin man geht“, meinte ich nachdenklich. Ich hatte keine Lust, über die Vergangenheit zu sprechen. Man weckt keine schlafenden Dämonen und erzählt sicher nicht einem Wildfremden davon, der nur auf ein erotisches Abenteuer hoffte.
„Na dann, wohin gehst du, Reisende?“ Er ließ einfach nicht locker. Wieder zuckte ich mit den Schultern. „Keine Ahnung. Anderswo als hier.“
„Shit, du bist vielleicht wortkarg“, grummelte er. „Wahrscheinlich sagst du genau dasselbe schon seit Ewigkeiten.“
Ich überlegte kurz; vielleicht hatte er Recht. „Wir sind doch alle auf der Flucht.“
Nun war es an ihm, überrascht zu wirken. „Wie meinst du das?“
„Vor Krieg, Gewalt, Hunger, Arbeitslosigkeit, doch in den meisten Fällen, vor uns selber.“ Viel mehr blieb mir dazu nicht zu sagen und er nickte stumm, bevor er mir zuprostete; offenbar fiel ihm nichts Klügeres ein. Ich wusste nie so genau, wohin ich als nächstes gehen würde, ich nahm eine Passage auf einem billigen Frachter und kam dann auf einem anderen Planeten an. Meistens war er genauso verdreckt und heruntergekommen, in mit von Smog getrübtes Sonnenlicht getaucht. Seit mehr als zwanzig Jahren reiste ich nun schon so durch die Galaxis, wie eine Heimatlose, eine Ausgestoßene. Und es passte auch, ich hatte kein Zuhause mehr, keine Familie, nur Jobs hier und da. Gefährliche, brutale Jobs.
„An Frachthäfen hat es viele kaputte Menschen“, meinte der Fremde und unterbrach damit das Schweigen, das mir nicht unangenehm gewesen war. Ich deutete stumm ein Nicken an, rang mich jedoch schließlich doch dazu durch, etwas zu sagen. „Auf solchen Welten hat es viele von der Sorte.“
„Ich mache jede Wette, deine Geschichte ist interessant“, sagte er und ich begriff, dass es eine implizite Frage war.
„Was willst du hören?“, entgegnete ich und verscheuchte eine Fliege, die auf meiner Nase gelandet war. „Ich bin nur desillusioniert.“
„Wieso?“ Mir wären hundert sarkastische Kommentare und nochmal so viele ehrliche Antworten darauf eingefallen, doch mir war nicht danach. „Heute nicht.“
„Bist du eine von der Sorte, der alle wehgetan haben und die ihr Leben danach damit verbracht hat, allen wehzutun?“
„Fuck, wie …“ Ich unterbrach mich. Damit, dass ich so leicht zu durchschauen wäre, hätte ich nicht gerechnet. „Macht nichts. Und du bist irgendein kleiner Hehler, der sich den Tag damit versüßt, sich einzureden, er sei der König des Frachthafens und am Abend in seine Bruchbude zurückkehrt, oder?“
„Touché“, meinte er lachend und trank sein Glas leer, bevor er es knallend abstellte. „Kaputte Leute halt. Scheißleben und so weiter.“
Seine abgehakten Sätze machten erstaunlich viel Sinn, dafür, dass er einiges darüber hätte lernen können, seine Gedanken klar zu formulieren.
Wieder verfielen wir in Schweigen und ich leerte mein Glas ebenfalls und überlegte mir gerade, ob ich einen neuen Drink bestellen wollte, als die Tür aufging und ein schlaksiger Weißer und eine stämmige Dunkelhäutige in den Raum traten. An ihren Outfits mit Cargo-Hosen, Lederjacken und praktischen Raumfahrerstiefeln konnte man ihnen schon von weither ansehen, dass sie Schmuggler sein mussten. Mit der Zeit lernt man solche Leute zu lesen und bei ihnen hatte ich das Gefühl, dass sie Anhalter gegen eine kleine Bezahlung mitnehmen würden.
„Da kommt meine Passage, um von dieser Müllhalde wegzukommen“, meinte ich und erhob mich. „Danke für den Drink.“
„Keine Ursache“, seufzte der Fremde müde, während er aufstand. „Ich sollte auch mal los, mich wie der König des Frachthafens aufführen gehen. Oder eine verführen, die auch wirklich interessiert ist.“
Ich lachte trocken und deutete zum Abschied kurz einen Gruß an, bevor ich mir meinen alten, moosgrünen Rucksack vom Boden griff und auf die Schmuggler zuging, um mein Glück zu versuchen. Mir war nicht mal aufgefallen, dass ich den Kerl nicht nach seinem Namen gefragt hatte, doch eigentlich tat der nichts zur Sache, genauso wenig wie meiner.
Das hier war nur eine weitere Randwelt und eine weitere Bekanntschaft, die ich in ein paar Tagen schon fast vergessen haben würde. Das Leben ging weiter und man musste immer nach vorne schauen. Und manchmal hatte man einen dieser Momente, in denen man in seiner Flucht innehalten konnte, um kurz nachzudenken. Und zu begreifen, dass man längst vergessen hatte, vor was man eigentlich weglief.
Ich riss mich zusammen und trat zu den beiden, bevor ich zu einem Gruß ansetzte; genau, immer nach vorne schauen.

Autorin: Sarah
Titelvorgabe: Wohin man geht
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