Der Geruch der Vergangenheit

Konrad folgte mir auf dem Fuße, als ich in die vollgestellte Archivkammer trottete und Manfred, der eher wie Konrads Anhängsel und nicht wie dessen Diensthundeführer wirkte, plapperte ungehalten vor sich hin. „Und dann wollte Doris den Koni doch tatsächlich ins Bett lassen“, empörte er sich mit dem übertriebenen Gelächter eines Mannes, der wusste, dass er nicht witzig war und ich nickte höflich und gönnte ihm ein großzügiges Grinsen. Meine unbequemen Anzugsschuhe klackten auf dem mit schwarzen Fliesen ausgelegten Boden des Gerucharchivs viel lauter, als auf dem stinkenden Linoleum, das im Rest des Büros ausgelegt worden war und das war nicht der einzige Grund, warum ich mich nicht gerne hier aufhielt. „So, hier sind wir. Reihe 4A“, erklärte ich trocken und wollte mich gerade zum Gehen abwenden, als Manfred mich an der Schulter zurückhielt und mich im Flüsterton bat, doch noch kurz zu bleiben.

Etwas verunsichert schaute sie sich um und kam sich mit ihrem adretten Kostüm inmitten der Tagesausflügler wie ein Paradiesvogel vor. „Mensch, Mama, wie lange dauert denn das noch?“, begann Johannes und zog eine Schnute, die keinen Zweifel an seiner Langeweile zuließ. „Du hast versprochen, dass wir heute ins Alexa gehen.“ Steffi wollte sich ihren Ärger nicht anmerken lassen und versprach ihrem heranwachsenden Sprössling, der ihr zuweilen den letzten Nerv zu rauben drohte, dass sie gleich nach der Führung das Einkaufszentrum besuchen würden und ausnahmsweise schien diese Taktik sogar aufzugehen. „Okay“, brummte Johannes resigniert und spielte dann still mit seinem Smartphone, währendem die kleine Gruppe in den nächsten Raum gebeten wurde. Die alten Holzschreibtische standen noch immer in Reih und Glied hintereinander und obwohl der hässlich grüne Verputz überall abgeblättert war und die alten Telefone schon lange nicht mehr geklingelt hatten, glaubte sie, dass jederzeit ein Stasi-Beamter hier hereinspazieren und sie ausfragen würde.

„Sie verstehen, dass dieses Gespräch unter uns bleiben muss?“, fragte mich Manfred eindringlich und wartete angespannt und mit aufgeblähten Nüstern auf meine Zustimmung. „Selbstverständlich“, entgegnete ich dann, nachdem ich die offensichtliche Angst des kleinen Mannes, der mich ständig mit seinem sabbernden Hundemonstrum ärgerte, eine Weile genossen hatte und trat einen Schritt zurück, so dass ich zwischen ihm und dem begehrten Einmachglas stand. „Aber mir ist noch immer nicht ganz klar, wofür Sie eigentlich meine Hilfe brauchen. Immerhin habe ich keinen Einfluss auf die Ermittlungen.“ Mein Gegenüber schweig kurz, kratzte sich am kahlen Kopf und schien meinen Einwand auf Herz und Nieren zu überprüfen, bis er schließlich erläuterte: „Nun, unterschätzen Sie Ihre Macht nicht. Nur weil die da oben Ihnen einreden wollen, dass sie nur ein Rädchen im Getriebe sind, heißt das nicht, dass sie nicht auch ein Stachel sein können.“ Daraufhin lachte ich nervös auf und es kam mir augenblicklich so vor, als würde er versuchen, mich wie ein dummes Weib um den kleinen Finger zu wickeln. Noch war ich nicht bereit, mich von diesem zwielichtigen Herrn zum verräterischen Stachelschwein machen zu lassen, doch bevor ich etwas dazu hätte sagen können, bellte Konrad ohrenbetäubend laut. „Sei still, du dummer Hund!“

„Und hier sehen Sie das Archiv, in denen die Geruchskonserven aufbewahrt wurden.“ Sie ignorierte Johannes‘ Gähnen und schloss andächtig die Augen, als sie inmitten der Gläser stand, die alle mit ausgeblichener Schrift gekennzeichnet waren und vergilbte Tücher beinhalteten. Hier, dachte sie im Stillen, hatte alles begonnen. Ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinunter und Steffi verschränkte ihre Arme vor der Brust, bevor sie ihre Lider wieder öffnete und den fensterlosen Raum nach etwas absuchte. „Da hinten“, stieß sie freudig hervor und ohne sich weiter um die Reisegruppe zu kümmern, zog sie ihren Sohn hinter sich her, bis sie vor einem schief hängenden Schild stehen blieb. „4A, hier ist es.“
Johannes ließ sein Handy in der Hosentasche verschwinden und blickte mit geweckter Neugier zu seiner Mutter, deren Hand behutsam über die staubigen Regalbretter fuhr. „Bist du sicher?“, wollte er wissen und als sie ihm mit Tränen in den Augen zunickte, umarmte er sie sanft.

Der Deutsche Schäferhund, dessen Hinterläufe im Gegensatz zu seinem westdeutschen Pendant nicht verkümmert waren, saß nun wieder brav neben seinem Herrchen und wirkte so ruhig, als wäre der Maulkorb eine unnötige Quälerei, trotzdem war mir nicht ganz wohl dabei, seinen Blick auf mir zu spüren. „Wo waren wir?“ Ich hielt es nicht für nötig, auf Manfreds rhetorische Frage zu antworten und wollte sogleich wissen, wann und vor allem wie die Bezahlung für meinen Verrat am Vaterland bei mir eingehen würde. „Sobald die Körpergeruchsproben vernichtet worden sind und die Ermittlungen plangemäß ins Leere laufen, wird Ihnen einer meiner Leute einen Bargeldkoffer überreichen“, flüsterte er und versicherte sich erneut, ob die mehr als großzügige Summe ausreichen würde, um meine unbedingte Mitarbeit in seinem Vorhaben zu versichern. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“, sagte ich schlussendlich, wobei ich mich wunderte, wie viel das Wort eines Verräters denn überhaupt wert sein könnte.

Johannes bat seine Mutter leise darum mitzukommen, als die Führung durch das Stasi-Büro abgeschlossen wurde und winkte den Ausflugsleiter, der etwas verwirrt über die emotionale Reaktion der Touristin herüberkommen wollte, mit einer höflichen Geste weg. „Komm Mama, wir müssen langsam gehen.“ Nur widerwillig trennte sich Steffi von dem Einmachglas, in dem der Geruch ihres Vaters für die Ewigkeit gefangen war, ließ es dann aber los und hauchte ihm einen wehmütigen Kuss zu, bevor sie sich bei Johannes einhakte und den Archivraum für Geruchskonserven verließ. Sie war dankbar, dass sie diesen schweren Gang nicht alleine hatte machen müssen und als sie hörte, wie Johannes sie mit seiner tiefen Stimme zu trösten versuchte, war sie sich sicher, dass sein Großvater stolz auf sie und ihren Sohn gewesen wäre. „Weißt du“, holte sie lächelnd aus, „du hättest dich prima mit deinem Opa verstanden, er war auch so ein Tüftler wie du.“
„Aber sicher“, schmunzelte Johannes und witzelte während dem ganzen Weg zum Haupteingang des Staatssicherheitsgebäudes darüber, dass ihr Vater wahrscheinlich das Handy und den Hybridantrieb erfunden hätte, wäre er nicht in dem kalten Stasigefängnis gestorben – vielleicht hatte sie ihm zu viele Geschichten über ihren Vater erzählt, dachte sie sich grinsend.

Manfred und Konrad waren schon einige Tage nicht mehr hier aufgetaucht und so langsam machte ich mir Sorgen und fragte mich, ob wohl etwas schief gegangen war. Mein Schreibtisch war wie immer peinlich genau aufgeräumt, doch anstelle davon, mich dem Stapel unerledigten Papierkrams anzunehmen, starrte ich seit geraumer Zeit auf eine Akte, die nur darauf wartete dem zuständigen Ermittler zugestellt zu werden. Meine Aufgabe war nicht schwierig, ich würde nur die Nummer einer falschen Geruchskonserve eintragen müssen und damit würde das einzige Indiz verloren gehen, das Herr Schimanski mit dem Spionagevorfall in Verbindung brachte. Eine einzige Zahl lag zwischen mir und mehr Geld, als ich jemals hätte verdienen können, aber es war ebendiese Zahl, die mich zum Verräter machen würde.
„Marlene, würdest du mich bitte zu Mattner durchstellen?“ Das Wetter war düster, der Nieselregen hatte noch immer nicht aufgehört und der Gedanke an meine ebenso graue Beamtenwohnung, die man mir auf dem MfS-Gelände zur Verfügung gestellt hatte, machte mir die kommenden Überstunden geradezu schmackhaft. Meine Sekretärin deutete mit ihren schrecklich lackierten Fingernägeln auf das nagelneue Telefon, dessen Klingeln mich zuweilen in Rage brachte und ich atmete erst tief durch, bevor ich den Hörer abhob und sagte: „Herr Mattner, ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, dass ein Bestechungsversuch vorgenommen wurde. Ich befürchte es ist notwendig, die Angelegenheit mit den Vorgesetzten zu besprechen.“

Autorin: Rahel
Setting: Stasi-Büro
Clues: Nieselregen, Paradiesvogel, Fliesen, Hybridantrieb, Stachelschwein
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