Ein Mordsspaß

Kassandra mochte es, lange zu baden. Wenn sie ehrlich zu sich sein sollte, lag sie manchmal so lange in der Badewanne, dass ihre Finger und Zehen so verschrumpelten, dass sie die Linien ihrer Fingerabdrücke selbst nicht mehr wirklich hätte erkennen können. „Der ideale Zeitpunkt, ein Verbrechen zu begehen“, murmelte sie, bis ihr die sich ablösenden Häutchen einfielen, die man nach dem Baden immer hatte. „Vielleicht doch nicht“, fügte sie abwesend hinzu. Nicht, dass sie vorgehabt hätte, jemanden zu ermorden, nein, aber sie sah genug Krimiserien und las genug Detektivromane, um ihrer Fantasie manchmal freien Lauf lassen zu müssen. Und da sie in der Badewanne nie las (immerhin hatte sie nur das Licht einer flackernden Kerze, denn die grässliche Deckenbeleuchtung wollte sie nicht anmachen), drifteten ihre Tagträumereien sehr rasch in die Richtung von Mordplänen ab.
Ein starker Niesreiz riss Kassandra aus ihren Gedanken und sie tastete mit den bereits aufgedunsenen Fingern nach dem Blusenkleid, das auf dem Hocker neben der Wanne lag, um ein Päckchen Taschentücher darunter hervorzukramen. Doch selbst währenddem sie sich schnäuzte und sich schließlich erleichtert ausstreckte, hörte sie nicht auf, den perfekten Mord zu planen. Viele Details hatte sie längst ausgearbeitet, doch es gab auch noch manche Dinge, die akkuraterer Planung bedurften. Sie würde ihr Opfer nicht an einem belebten Ort ermorden, wie in einem Supermarkt oder in einer Kaserne. Auch wenn sie so vielleicht mehr Verdächtige hätte, welche im besten Fall den Kopf würden hinhalten müssen, dies wäre nicht ihr Stil. Sie würde auch nicht subtil oder elegant mit Gift vorgehen, denn das würde sie (falls sie denn ihr Opfer kennen würde) sofort zur Verdächtigen machen (wie unter Krimilesern bekannt, werden die meisten Giftmorde von Frauen verübt). Nein, es musste etwas Brachiales und Gewalttätiges sein, die Urgewalt eines Knalls oder Schlages vereint mit der Effizienz eines Serienmörders. Die Ideen von Axt und Kettensäge hatte sie schnell verworfen, beide Dinge waren ihr zu brachial. Nach langem hin und her hatte sie sich schließlich für eine Schrotflinte entschieden. Nicht gerade eine stereotype Waffe für sie, was allfällige Profiler und Alltagspsychologen sicherlich nicht schlecht von ihrer Spur abbringen würde, denn immerhin hatte Kassandra nicht einmal einen Waffenschein. Doch dies war nicht das Problem, sie würde einfach in das Schützenhaus des Nachbardorfes einbrechen und dort alles klauen, was sie wollte, denn sie wusste dank dem Tratsch in ihrem Bekanntenkreis, dass machne nachlässigen Sportschützen manchmal Waffen oder Munition dort vergaßen, obwohl sie dies eigentlich nicht durften. Oder noch besser würde sie sich ein Schützenhaus in einer ganz anderen Region des Landes suchen, das würde die Polizei sicherlich von ihrer Fährte ablenken.
Kassandra wurde wieder aus ihrem Theoretisieren gerissen, da mittlerweile das Bad ziemlich kalt geworden war und es ihr fröstelte. Rasch drehte sie den Wasserhahn fürs Warmwasser voll auf und konnte fühlen, wie sich die Badewanne wieder aufwärmte und versuchte, mit den Füssen das Wasser zu verteilen. Ihr iPhone gab den nervtötenden Standard-SMS-Klingelton von sich und Kassandra lehnte sich murrend über den Rand der Wanne, um danach zu angeln. Als sie es schließlich zu fassen kriegte und einen Blick auf das Display warf, ließ sie das Handy gleich wieder aufs trockene Badetuch fallen; von ihrem Exfreund wollte sie jetzt wirklich nicht gestört werden, erst recht nicht, wenn sie dabei war, den perfekten Mord zu planen! Genervt wie sie war entschied sie sich dazu, Stefan gleich als Opfer in ihr kleines Szenario mit einzubauen, denn sie fand, dass er wirklich unausstehlich war. Während sie sich wieder zurücklehnte und die von der flackernden Kerzenflamme an die Decke geworfenen Schatten anstarrte, fuhr sie in ihrem fiktiven Plan fort, ging ihn Punkt für Punkt durch, bis sie schließlich beim Alibi anlangte, der letzten schwachen Stelle in ihrer Gedankenspielerei. Sie würde keine anderen Leute in die Sache einweihen wollen, denn wenn man ehrlich sein wollte, war jeder potentieller Mitwisser ein Schwachpunkt. Nein, sie brauchte ein wasserdichtes Alibi, etwas, das alle glauben machen würde, sie hätte nicht dort sein können. Ihr geliebtes iPhone würde sie zu Hause lassen müssen, denn wie man nach unzähligen Folgen CSI und Tatort wusste, konnte man diese Dinger sehr leicht orten. Doch genau das würde ihr ein Alibi verschaffen. Sie musste nur ihr Telefon so manipulieren, dass sie kurz vor der Tat jemanden anrufen konnte, obwohl sie völlig anderswo war als das Telefon selbst. Wie genau das geschehen sollte, wusste Kassandra zwar noch nicht, denn sie hatte nicht besonders viel Ahnung von Mobilfunktechnik oder Computern. Doch sie lernte schnell und so war sie zuversichtlich, dass sie nach einem Besuch in der Bibliothek oder einer Recherche im Internetcafé auch diese Hürde rasch meistern würde.
„Jetzt bist du fällig, Stefan“, murmelte sie selbstgerecht, bevor sie plötzlich voller Misstrauen aufblickte und sich umsah. Natürlich war niemand da, doch über ein geplantes Verbrechen laut nachzudenken qualifizierte sie nicht gerade zu der kalten und hochintelligenten Mörderin, welche sie in ihrer Fantasie gerade war. Kassandra seufzte und langte nach der Wasserflasche, die neben der Badewanne auf dem Boden stand und nahm einen Schluck. Das Planen von Verbrechen konnte ganz schön durstig machen. Noch war Kassandra am Träumen, fernab der langweiligen Realität des Alltags. Noch hätte sie sich nicht denken können, dass sie in wenigen Jahren als eine der brutalsten Serienmörderinnen in die Annalen der Kriminalgeschichte eingehen würde.

Autorin: Sarah
Setting: Badewanne
Clues: iPhone, Wasserflasche, Misstrauen, Kaserne, Blusenkleid
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