Alles voll Porno, Mann!

Kiki stöhnte so laut sie konnte, während Brad auf das Ende der unendlich scheinenden Szene wartete. Er fand, dass sie eine der Pornodarstellerinnen war, die ihre Arbeit schon seit geraumer Zeit nicht mehr mit Herzblut erfüllten und sich ab und an auch langweilten, doch trotzdem ihr Bestes gaben, weil sie dies in jedem Job tun würden.
„Schnitt, machen wir fünfzehn Minuten Pause“, rief Brad, als die Szene endlich fertig abgedreht war und trat von der Plattform hinunter, die er anstelle seines Regie-Stuhls genutzt hatte und Greg, der junge Kameramann, stellte seinen Apparat ab und zündete sich eine Zigarette an. Brad war zum Schluss gekommen, dass es aussichtslos war, dem Burschen beizubringen, dass man am Set nicht rauchen durfte. Noch schien Greg die Szenen interessant zu finden, doch Brad war überzeugt, dass das nicht mehr lange anhalten würde und glaubte schon erste Zeichen zu erkennen, dass die Begeisterung seines Kameramanns nachließ. Verbrachte man mehrere Stunden am Tag damit, auf die Genitalen von Darstellern zu starren, verlor man sehr schnell das Interesse an selbigen. Noch vor einem halben Jahr, als Greg neu zu ihrer Crew gekommen war, schien er zur Gattung der jungen Leute gehört zu haben, die geglaubt hatten, sie taten hier etwas Außergewöhnliches, Spanendes, vielleicht sogar Verbotenes. „Das wird ja voll Porno, Mann“, hatte er Brad vor einiger Zeit gesagt, was diesen beinahe dazu gebracht hatte, den Kopf wiederholt gegen die Tischplatte seines Schreibtisches zu knallen, auf dem Kiki und Susanna noch in der Nacht zuvor eine Szene gespielt hatten. Sie waren eine Low-Budget-Produktion und mussten oft improvisieren, was Brad manchmal in den Wahnsinn trieb, denn sein Büro hätte er schon gerne für sich selbst gehabt.
Kiki riss ihn aus seinen Gedanken, als sie neben ihn trat und fragte: „Schatz, ist es okay wenn du heute Abend einkaufen gehst? Ich koche dafür.“
„Klar, du kennst mich ja“, entgegnete Brad dankbar, da er lieber im Supermarkt stand als am Herd. Er und Kiki hatten vor einem halben Jahr geheiratet, nachdem sie sich hier am Pornofilm-Set verliebt hatten, irgendwo zwischen all den Peitschen, Latex-Kostümen und Sexspielzeugen. Brad fand es ein wenig lustig, dass sie ein sehr typisches Ehepaar waren, das an Samstagen händchenhaltend durch die Mall schlenderte, gerne Bridge spielte und einen Volvo-Kombi fuhr. Auch ihre Hochzeit war sehr bürgerlich gewesen, wenn auch eher in einem kleinen Rahmen. Leider hatte Kikis Familie nicht zu dem Anlass kommen wollen, weil sie ihre Arbeit nicht billigten und nicht zufrieden damit waren, dass sie zu allem Übel auch noch einen Pornofilm-Regisseur heiratete.
Mittlerweile war auch Susanna herangetreten, in ihren lächerlich dünnen, goldenen Bademantel gehüllt, der aussah, als wäre er ein Requisit für den Film und nicht ihre Pausenkleidung. Sie wühlte in ihrer Tasche nach einem Apfel – jeden Tag aß diese Frau um elf Uhr vormittags eine Frucht, wie ein Uhrwerk. Kiki hatte Greg derweil eine Zigarette abgeschwatzt und rauchte nun ebenfalls, was Brad zu dem Kommentar verleitete: „Himmel, wenn das die Behörden herausfinden, wird das teuer. Dann bezahlt aber ihr die Strafe.“
Kiki lachte und meinte: „Wir sind nur zu viert hier und das schon seit Ewigkeiten, da hat doch kein Gesundheitsinspektor die Möglichkeit, sich ungesehen hereinzuschleichen. Außerdem würde es dir nichts bringen, wenn ich die Strafe bezahle, du hast ja auf Gütergemeinschaft bestanden.“
„Na super“, murrte Brad. Er und Kiki frotzelten einander absichtlich die ganze Zeit und er war nicht wirklich wütend, das gehörte zu ihrer Beziehung wie der morgendliche Orangensaft.

„In fünf Minuten machen wir weiter“, brüllte Brad seinem Kameramann zu, der in Richtung der Toilette verschwand. Irgendwie fand er es amüsant zu sehen, wie Greg immer desillusionierter wurde und er freute sich schon auf den Tag, an dem Greg genauso gelangweilt auf all die entblößten Körper starren würde. Seufzend setzte er sich auf den einzigen Sessel im Raum und grinste seine Frau an, die versuchte ihre vernestelten Haare zu kämmen. Sie würde bald in ein Alter kommen, in dem die meisten Darstellerinnen entweder aufhörten und sich einen anderen Job suchten oder aber in Filmen für ein engeres Zielpublikum spielten. Susanna hingegen war noch ziemlich jung und würde wohl noch eine Weile weiterdrehen können, wenn sie denn wollte, überlegte sich Brad, während er Susanna beim Essen beobachtete. Da fiel ihm ein, dass er sie bei Gelegenheit mal fragen könnte, ob er sie beim Obstessen würde filmen dürfen, immerhin wäre das sicher eine gute Anfangsszene.
Kiki erschrak ihn, als sie neben ihn trat und ihm auf die Schulter tippte. „Hey, in welchem Traumland bist denn du versunken?“
Brad fuhr zusammen und drehte sich zu ihr um. „Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, was wir tun wollen, wenn wir älter werden“, murmelte er.
„Älter werden wir mit jedem Tag“, lachte Kiki und fügte dann hinzu: „Ich könnte Busfahrerin werden, das wollte ich immer mal tun.“
„Was, wie?“, fragte Brad überrascht, der überzeugt war, Kiki noch nie von einen Traumberuf sprechen gehört zu haben. Sie hatte immer nur gesagt, dass sie mochte, was sie tat und möglichst lange dabei bleiben wolle.
„Ist doch logisch, dass ich auch über andere Berufe nachdenke“, antwortete Kiki. „Ich werde auch nicht jünger und langsam aber sicher finde ich den Job langweilig.“
„Und wie kommst du da auf Busfahrerin?“, wollte Brad erstaunt wissen. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie sich bei den städtischen Verkehrsbetrieben bewerben würde.
„Das wollte ich als kleines Mädchen immer“, entgegnete sie träumerisch. Natürlich haben meine Eltern das nicht gutgeheißen, in ihren Kreisen ziemte es sich nicht, wenn ein Mädchen einen Männerberuf machte. Darum haben sie mich auf die Schauspielschule geschickt, wohl in der Hoffnung, dass ich eines Tages heiraten und Hausfrau werden würde, wenn sie mich zu einem brotlosen Job verdonnern.“ Sie prustete los: „Mit dem, was ich jetzt mache, haben sie dabei auf jeden Fall nicht gerechnet.“
„Kiki, die Busfahrerin“, murmelte Brad amüsiert. An diese Vorstellung würde er sich erst gewöhnen müssen, doch sie gefiel ihm irgendwie.
„Eigentlich komisch, haben wir nie darüber gesprochen“, sagte sie nachdenklich. Sie machte eine kurze Pause, in der ihr Mann zustimmend nickte, dann erkundigte sie sich: „Und wie sehen deine Pläne aus? Willst du für immer Regisseur bleiben oder steht in deinem Leben eine große Erneuerung an?“
„Hm“, machte Brad nachdenklich, eigentlich hatte er sich dazu nie besonders viele Gedanken gemacht. „Ich könnte ja in die Werbefilmbranche wechseln, aber dieses Geschäft kommt mir irgendwie schmutziger vor als Pornos zu drehen.“
Kiki verkniff sich das Grinsen, als Susanna in ihrem komischen Bademantel dazu kam, sie würden das Gespräch wohl zuhause fortführen müssen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass er sich überlegte, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Wenn er offen zu sich selbst war, dann hatte er genug von den neuen Leuten, die sich jeweils aufführten, als wäre ihr Job so versaut, dass man nur hinter vorgehaltener Hand darüber sprechen konnte. Auch wenn es lustig sein mochte, sie bei ihrer Ankunft in der Realität zu beobachten, so musste man doch zuerst einige Monate lang dumme Sprüche über sich ergehen lassen und das war die kleine Genugtuung nicht wert. So schlecht konnte die Werbebranche doch nicht sein, sinnierte er, als Gregs Stimme ihn zusammenfahren ließ: „Was ist, machen wir jetzt weiter oder nicht?“
Seufzend erhob sich Brad und ging zurück zu seiner Plattform. Wenigstens hatte er den jungen Kerl schon dazu gebracht, nicht mehr „Voll Porno“ zu sagen, das hatte echt genervt.

Autorin: Sarah
Setting: Pornofilm-Set
Clues: Himmel, Möglichkeit, Plattform, Hochzeit, Erneuerung
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4 Gedanken zu „Alles voll Porno, Mann!“

  1. Mir gefällt die Wendung mit dem Älter-Werden sehr! Der Text ist relativ dicht geschrieben, das Erzähltempo stimmt, nur am Ausdruck kann gefeilt werden – manchmal waren mir die Satzanfänge zu ähnlich und irgendwie wirkte alles etwas … locker.

    1. Liebe Evy,
      Vielen Dank fürs Feedback,insbesondere die Verbesserungsvorschläge! Ich bin immer froh, zu hören, wo etwas noch verbessert werden kann.
      Und dass die Satzanfänge meine Achillessehne sind, hast du sehr treffend bemerkt ;)

      Liebe Grüsse
      Sarah

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