Ein schlechter Scherz

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Hast du die Abwesenheitsnotiz im Mailprogramm eingerichtet?“, erkundigte sich Sandra. Sie marschierte mit einem DIN-A4-Blatt zur Tür, auf dem informiert wurde, dass die Konditorei ferienhalber für drei Wochen geschlossen ist. Julia, ihre Angestellte seit letztem Herbst, räumte den Besen weg und brüllte durch den Raum: „Hab’ ich.“
„Diesmal ohne Kalauer?“
„Natürlich“, kicherte Julia, ehe sie plötzlich erheitert gluckste: „Du, Sandra?“
Die Chefin hantierte ungeschickt mit dem Zettel in der einen und dem Klebeband in der anderen Hand an der Glastür herum und bereute, keine zusätzlichen Finger griffbereit zu haben. „Was?“
Julia hatte bereits das Handy aus ihrer Handasche gepult und las ab: „Treffen sich zwei Rosinen. Fragt die eine die andere: ‚Warum hast du denn einen Helm auf?‘ Antwortet die andere: ‚Ich muss gleich in den Stollen.‘“
„Hä?“, wunderte sich Sandra und fügte mit einem halb-amüsierten Stöhnen an: „Du bist unmöglich. Wieso habe ich dich eingestellt?“
„Weil ich leckeren Stollen backe und nett zu den Kunden bin. Herr Neumeyer fragt mich immer nach dem neuesten Witz, also bin ich vorbereitet.“ Julia strich sich das blond gefärbte Haar aus dem Gesicht und goss die Pflanzen im Schaufenster. „Verreist du eigentlich?“
„Nein, ich bleibe zu Hause. Meine Schwester kämpft noch mit ihrer Gehirnerschütterung, weil sie sich in der Straßenbahn nicht festhalten konnte und Kurt hat ein neues Planschbecken für die Enkel in den Garten gestellt. Wahrscheinlich wird er bei einem seiner praktischen Streiche so tun, als wäre er darin ertrunken. Mein werter Herr Ehemann ist ein größerer Witzbold als Herr Neumeyer.“
„Ich sehe schon, du hast voll die Verpflichtungen“, lachte Julia. „Halt mal, bald ist zwei Uhr. Wir brechen besser auf, bevor der Präsident seine Rede hält, sonst gibt’s kein Durchkommen mehr.“
„Schon so spät? Geh ruhig vor, ab in den Urlaub mit dir! Ich kontrolliere nochmal, ob ich auch alle Geräte ausgeschaltet habe und schließe dann ab.“
Ehe Julia sich für den verfrühten Ferienstart bedanken konnte, wurde die Tür geöffnet und ein Mann in Anzug mit einem Aktenkoffer betrat den Laden. „Guten Tag, die Damen“, grüßte er.
„Schönen Tag. Es tut mir leid, aber wir schließen gerade.“
„Kein Problem.“ Nonchalant setzte er sich an einen der Bistrotische. „Ich bin bloß da für die Aussicht.“ Vage zeigte er zum Rednerpult auf dem Platz draußen, wo sich langsam eine Menschenmenge bildete. Ungerührt legte er seinen Aktenkoffer auf die Tischplatte und begann ihn aufzumachen.
Skeptisch linste Sandra zu Julia und bedeutete ihr unauffällig, in den Hinterraum zu verschwinden und das Handy bereitzuhalten – erfolglos, Julia übersah die Geste und Sandra schämte sich für ihre übertriebene Reaktion auf den Fremden. Vermutlich hatte sie zu viele Thriller geschaut, dass sie beim Anblick des Fremden instinktiv an einen Profikiller dachte. Statt vom verrücktesten Szenario auszugehen, grinste sie über sich selbst und wiederholte schließlich bestimmter: „Entschuldigung, wir haben Urlaub – Sie müssen leider gehen.“
„Das kann ich nicht, ich bin von der persönlichen Security des Präsidenten“, gab er gelassen zurück und brachte ein zerlegtes Scharfschützengewehr zum Vorschein, was Julia einen spitzen Schrei entlockte. „Ich bin dazu da, allfällige Attentäter und Terroristen aufzuhalten. Der Dachboden Ihres Hauses ist dazu bestens geeignet. Führen Sie mich bitte hoch? Wir konnten Sie leider nicht früher informieren, da unsere Arbeit vertraulich ist.“
Sandras Kehle hatte sich zugeschnürt, ihre Gedanken überschlugen sich. Für wie blöd hielt er sie? Die Story war völlig absurd, wer würde ihm sowas abkaufen? Da er allerdings bewaffnet war und sie nicht sterben wollte, zwang sie sich, ihre Angst zu verbergen. „Ach, wenn das so ist. Selbstverständlich, ich bin gerne behilflich. Bitte, folgen Sie mir.“ Sie drehte sich zu Julia, formte mit den Lippen das Wort „Polizei“. Die junge Angestellte nickte und sagte: „Ich mache unten schon mal alles fertig, okay, Sandra?“
Sie würgte den Kloss in ihrem Hals herunter und stimmte zu: „Klar. Danke dir.“ Das durfte nicht passieren, jede Kleinigkeit wirkte wie in einem schlechten Film, dachte sie sich, während der Fremde ihr mit der Waffe unterm Arm ins Treppenhaus hinterher schlurfte. Er hatte garantiert vor, einen Mord zu begehen, und das in ihrem Haus! Ob die Polizei rechtzeitig kam, ob sie bis dahin noch lebte, oder er sie und Julia auch umbrachte, wer konnte das wissen? Sie stiegen Stockwerk um Stockwerk hoch, bis sie vor der engen Estrichtreppe anlangten.
Sandra schluckte. „Bitte, da hoch.“
„Nach Ihnen“, meinte der Fremde freundlich, dennoch bestimmt. Er wollte in der Tat, dass sie mit auf den Dachboden ging – das musste ein böser Traum sein, er hatte vor, sie aus dem Weg zu räumen, keine Zeugen zu hinterlassen! Nur, wieso hatte er Julia allein unten gelassen? Mit jedem Schritt war sie verwirrter, verunsicherter, bis sie einen Entschluss fasste. Sie würde es nicht riskieren, gäbe diesem Kerl nicht die Chance, etwas anzurichten. Als sie die letzte knarrende Stufe verließ und auf den Dachboden trat, wandte sie sich um und zögerte keine Sekunde, holte aus und kickte dem ungebetenen Gast mit dem Absatz gegen die Stirn. Er verdrehte die Augen, ließ das Gewehr fallen und stürzte hintenüber die steile Stiege hinunter. Mit einem grauenhaften Geräusch schlug er auf den Steinplatten des Treppenabsatzes auf und blieb, den Kopf unnatürlich angewinkelt, liegen. Unterdrückt schluchzend hastete Sandra nach unten, kletterte über den Körper und rannte so schnell sie konnte in die Konditorei. Kaum im Laden angekommen vernahm sie schon Polizeisirenen, die aus der Ferne her durch die Gassen hallten und sie rief aufgelöst: „Julia!“
„Ich bin hier“, flüsterte die Angesprochene, erhob sich hinter dem Tresen. „Ist er auf dem Dachboden?“
„Ich glaube … ich glaube, ich habe ihn umgebracht“, stammelte Sandra, als sie sich auf einem Stuhl zusammenbrach. Julia starrte sie entsetzt an, murmelte irgendwas, das nicht bis zu ihr durchdrang. Erst das laute Klingeln ihres Handys riss sie aus der Apathie. Sie nahm den Anruf mechanisch entgegen, Julia war derweil verstummt und beobachtete sie mit einem bestürzten Ausdruck.
Am anderen Ende der Leitung erklang Kurts Lachen. „Meine Liebe, so gut habe ich dich noch nie reingelegt! Dir den Sohn der Maiers als Auftragskiller vorbeizuschicken war der Streich meines Lebens, er hat sogar aus dem Abfall seines Klempnergeschäfts eine Waffe gebastelt. Ich hoffe, du bist ihm nicht allzu böse, ich habe ihn dazu angestif…“ Sandra entglitt das Telefon, da trafen Polizeiwagen und Uniformierte des Sondereinsatzkommandos vor der Konditorei ein.

Autorin: Sarah
Setting: Konditorei
Clues: Präsident, Gehirnerschütterung, Kleinigkeit, Abwesenheitsnotiz, Kalauer
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