News | Unser Senf zum Anschlag auf die Meinungsfreiheit

Werter Clue Reader,

wir sitzen zwischen Tür und Angel, dem Verlangen unsere wahren Gedanken auszudrücken und dem Wunsch, uns durch unser Schweigen Unantastbarkeit zu erkaufen. Wir wollen uns weiterhin der Zuordnung verweigern, die Last der klaren Positionierung irgendwo fern von unseren öffentlichen Persönlichkeiten verstauben lassen und gleichzeitig unseren Senf über euer aller Abendmahl verteilen, ihn in die Gesichter derjenigen schmieren, auf deren Wege wir Legosteine sähen möchten.
Wer uns kennt, so richtig und ohne ständig freundliche Fassade, der weiss, dass unsere Herzen noch nie für politische Korrektheit geschlagen haben und wir uns nicht schämen, einige Wahrheiten nicht als Primi inter Pares zu deuten, sondern sie zu Fakten zu erheben. Heute, lieber Leser, werden wir diese Einstellung mit dir teilen, ob es dir nun passt, oder ob du am Senf erstickst.

Wer Rahel fragt, wann ihr klar geworden ist, dass Religion keine Antworten für unsere Existenz bietet, erhält eine simple Antwort: „Als ich die Bibel gelesen habe und dann noch einmal, als ich den Koran in meinen Fingern hielt.“
Die schier unfassbaren Abscheulichkeiten, die unter dem Deckmantel gottestreuen Handelns verkauft werden, übersteigen selbst unsere, durch jahrelangen Nachrichten- und Horror-Konsum gestählte, Fähigkeit den Brechreiz zu unterdrücken. Ebenso ist es uns bis heute ein Rätsel, weshalb Menschen die unvollkommene und doch so fantastische Schönheit unserer natürlichen Welt mit fadenscheinigen Erklärungen denunzieren wollen.
Doch darum geht es nicht, denn wir gehen davon aus, dass jeder auch nur ansatzweise vernunftbegabte Mitmensch in der Lage ist, die abgrundtief menschenverachtenden und lächerlich widersprüchlichen Inhalte als Teil einer Mär zu verstehen, die keinen Platz in unserem täglichen Zusammenleben hat. Zumindest können wir euch berichten, dass wir bis zum heutigen Tag noch nicht zu Tode gesteinigt worden sind, nachdem wir unsere Wertvorstellungen mit einem Christen, Muslimen oder anderen treuen Anhängern der Gilde imaginärer Freunde geteilt haben – Die Drohung, wir würden nach unserem Ableben ewiges Leid erfahren, mag zwar äusserst unhöflich sein, hat jedoch in etwa so viel Wucht wie eine wütende Ameise.

Worum es uns geht, worum es uns immer gegangen ist und weshalb unsere Lieben regelmässig mit blutenden Ohren zu kämpfen haben, ist etwas anderes. Etwas, über dessen kontroverse Natur wir uns vor allem anderen aufregen, das uns in regelmässigen Abständen so sehr zum Kopfschütteln bringt, dass unsere Nacken abzubrechen drohen – in einem Protestakt der Selbstenthauptung, sozusagen.
Unsere offene, aufgeklärte Gesellschaft hat irgendwann beschlossen, dass wir Toleranz über alles stellen und wenngleich wir diesen Grundsatz voll und ganz unterstützen möchten, ist es uns stets schwer gefallen zu verinnerlichen, dass dieses Prinzip mehr Gewicht erhält als die Vernunft. Wir mögen uns zwar nicht mehr davor scheuen, Fundamentalisten, Extremisten und Terroristen für ihre verachtungswürdigen Taten und Ideologien an den Pranger zu stellen, inzwischen gehört das ja beinahe zum guten Ton, wie die Dekoration auf der versalzenen Suppe. Doch wir bringen diese Anschuldigungen nicht über die Lippen, ohne uns zugleich davon zu distanzieren und mit Nachdruck zu betonen, dass wir hier bloss von einigen wenigen sprechen, die mitnichten die Mehrheit derjenigen repräsentieren, in deren Nachttischen eine von Generation zu Generation weitergegebene Kriegserklärung an den Frieden liegt.

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Es stimmt, die meisten Menschen, in deren Gehirnen dieses Unkraut gesät und gepflegt wurde, sind freundlich und liebenswürdig. Sie sind unsere Nachbarn, die uns Milch ausleihen, alte Bekannte, die uns die Hand schütteln und Freunde, die wir niemals missen möchten. Und wir haben keinerlei Absicht, diese durch und durch herzensguten Menschen für etwas zu verachten, das sie selbst mit ihrem Leben ablehnen. Nein, wir sind nicht dem Irrgauben der Misanthropie verfallen und verstehen, dass unsere werten Mitmenschen dieselbe Evolutionsgeschichte in sich tragen, dass auch ihre obersten Gebote Altruismus und Kooperation sind, weit vor willkürlich zusammengewürfelten Phrasen.
Jedoch wollen wir nicht länger behaupten, diese Halbwahrheit würde unsere persönlichen Gedanken gänzlich erfassen, denn die Frage bleibt offen, inwiefern diese moderaten, liebenswürdigen Menschen eine Verantwortung dafür tragen, was ihre weniger gezügelten Brüder und Schwestern tun.
Wir können nicht alle Gläubigen in derselben Farbtopf werfen, das mag wahr sein, doch wir fragen uns, ob es nicht doch notwendig wird, offen zu sagen, dass sie alle Schattierungen derselben Farbe auf ihrem Revers tragen.

Jeder, der in die Kirche geht, dessen Weg in eine Moschee führt, welcher seine Arme zum Gebet abschnürt oder vor einem Schrein kniet, ist Bauarbeiter einer Mauer, bildet den Grundstein, auf dem unaussprechliches Übel fusst. Religion zieht Grenzen zwischen dem Wir und den anderen, bietet Ausreden für wahrhaftige Bösartigkeit und der Moderate, ob er es nun will oder nicht, ist ein Teil dieses Konstrukts.
Der Biss einer einzelnen Ameise mag lächerlich sein und wir wollen nun nicht verschweigen, dass die meisten dieser possierlichen Tierchen lediglich ihrem Tagesgeschäft nachgehen, ohne jemals ihre Kieferzangen zu wetzen. Ebenso wenig sollte jedoch unterschlagen werden, dass eben diese emsigen Meisen diejenigen füttern und grossziehen, deren schiere Menge als Welle über uns zusammenbricht.

Religion ist kein lediglich lästiger Heuschnupfen, gegen den man Medikamente einnehmen kann, genauso ist sie keine Naturgewalt, der man sich bloss stellen oder vor der man flüchten kann. Sie ist die Frucht einer uralten Saat, die noch immer keimt und die uns zuweilen über den Kopf wächst – die so manchem den Kopf kostet.
Das was wir heute tun ist Symptombekämpfung, wir trimmen die obersten Äste der Hecke, erst wenn diese unsere Fenster zuwuchert. Dort wo unser Dialog beginnt, finden Argumente ohne Leiter, ohne Gegengewalt, keinen Stand mehr und alles was uns bleibt, ist eine ausgestreckte Hand in die Richtung derer, die heruntergestossen wurden.
All die liebenswerten, anständigen Menschen, die in Märchen nach Halt suchen, stehen neben uns und blicken mit derselben Fassungslosigkeit auf die Opfer, sie trauern mit uns im Glauben, sie hätten wie wir bloss die Möglichkeit zu reagieren.
Aber das stimmt nicht. Die Bauarbeiter haben die Macht zu streiken, die Ameise hat die Option nicht weiter Futter in das Gotteshaus zu tragen und der Gärtner hat die unwahrscheinlich wichtige Kraft, die verdorbene Saat nicht in unseren Kindern zu pflanzen.

Jeder moderat gläubige, grundgute Mensch hat die Chance, dem allem ein Ende zu setzen. All dem Leid, das er selbst sich niemals wünschen würde und wir denken, es wird Zeit, dass wir unsere Freunde, unsere Familie und all die rechtschaffenen Menschen, die neben uns stehen und mit uns trauern darum bitten, ihre religiöse Autorität endlich zu nutzen, indem sie sich davon entledigen. Viel mehr noch, wir sollten sie darin unterstützen, diese Verantwortung mit ihnen teilen und ihnen auf jedem Schritt mit unserer eigenen Güte versichern, dass sie die Moral nicht zurücklassen, sondern eine Brücke zu ihr schlagen.
Was wir brauchen sind nicht Aufforderungen zum Kampf gegen diejenigen, denen wir mit Verachtung begegnen, aber auch kein Verständnis für die, deren Wertvorstellungen auf eben jenen Fiktionen beruhen, die uns allen so sehr schaden, die ein Hindernis für unser Zusammenleben und unseren Fortschritt sind.
Spott und Satire, so sehr wir sie lieben, sind dabei mehr ein Ventil für uns selbst, eine Art, dem Frust mit einem zähnefletschendem Lächeln zu begegnen, ob sie jedoch solides Werkzeug dafür bilden, den guten Menschen von seinem Irrsinn zu überzeugen, wagen wir zu bezweifeln. Schlussendlich sind verstreute Legosteine, Sticheleien, sowie geheucheltes Verständnis und Solidarität nichts weiter als Pflaster für das, was wir wirklich sagen möchten:

Wir bitten euch als Menschen, die gemeinsam mit euch auf diesem wundervollen Planeten leben, nicht bloss eure Menschenliebe und Freundlichkeit, sondern euren Verstand einzusetzen. Wir bitten euch als Menschen, die gemeinsam mit euch die Zukunft gestalten wollen, euch nicht bloss oberflächlich von Gräueltaten zu distanzieren, sondern euch dem Ursprung dieses Gedankenguts zu verweigern. Wir bitten euch als Menschen, die gemeinsam mit euch leben wollen, nicht bloss mit uns zu trauern, sondern Verantwortung zu übernehmen.

Nun gut, da geht sie also, unsere Unantastbarkeit und unser Senf liegt dort, wo man ihn uns in die Augen schleudern kann. Wir geben zu, dass dieser Befreiungsschlag keiner war, denn diese Worte sind lediglich eine Reaktion von vielen und wir hätten uns gewünscht, dass sie bissiger, roher und brutaler geworden wären. Nur zu gerne würden wir uns vor euch stellen und herauspusten, dass wir jeden verlachen, der Sicherheit und Orientierung in scheusslichen Horrorgeschichten sucht. Doch das können wir nicht, das sind wir nicht, selbst wenn wir es möchten.
Die Idee, jemanden mit unseren Worten zu verletzen, bekommt uns nicht und doch wollen wir klar und deutlich sagen, dass wir uns nicht dafür entschuldigen werden. Denn der Satz „Ich fühle mich angegriffen“ war noch nie, ist nicht und wird niemals ein Argument sein.

Mit lieben Grüssen und den besten Wünschen
Eure wütend-traurigen Clue Writer
Rahel und Sarah

Verfasst von: Rahel

2 Gedanken zu „News | Unser Senf zum Anschlag auf die Meinungsfreiheit“

    1. Hallo Jennifer,
      vielen Dank für diese interessante Fragestellung.

      Konkret beantworten kann ich dir das natürlich nicht, noch weniger könnte ich dabei für Sarah sprechen. Ich kann bloss sagen, dass ich persönlich seit Langem grosses Interesse am „Phänomen Religion“ habe, mich darüber informiere und meine Gedanken dazu sehr offen mit meinem Umfeld teile. Das gehört nun nicht unbedingt auf Clue Writing, nicht weil ich meine Ansichten verheimlichen möchte, sondern weil wir mit unseren Lesern gemeinsam Unterhaltung und Freude an Literatur teilen möchten, ohne sie belehren zu wollen.
      Ich selbst liebe bissige, bitterböse Satire, sehe aber nichtsdestotrotz mehr Potential darin, meine Mitmenschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Faszination und unwahrscheinliche Schönheit unserer natürlichen Welt hinzuweisen. Ich mag nicht an vieles glauben, doch Neugier und Wissensdurst können ein Anfang sein.

      Mit lieben Grüssen und den besten Wünschen
      Deine Clue Writer
      Rahel

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