Die letzten Eidgenossen

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Geheimer Armeebunker, Mürren (BE), Schweiz, 1. August 2082

„Könntest du mir hier drüben mal behilflich sein?“, keuchte Martin gereizt und lehnte sich mit hochrotem Kopf gegen die schwere Maschine, die entfernt an eine gigantische Zentrifuge erinnerte. „Ich kann das Ding ja kaum alleine heben, wie soll ich es da installieren?“
Basil, der ein paar von der Decke herunterhängende Kabelbündel untersucht hatte, wandte sich um. „Okay, okay“, murrte er demotiviert. „Ich bin gleich da, dauert nur einen Augenblick.“
„Verdammt, wir haben nicht ewig Zeit“, wetterte Martin gereizt. „Jetzt hör schon auf, pingelig deine Drähte zu untersuchen und hilf mir lieber, das Teil zu montieren.“
Widerwillig wandte Basil sich von der Arbeit ab und kickte mit seinem Kampfstiefel einen kleinen Stein zur Seite, der auf dem gegossenen Betonboden lag. Während er zu Martin schlurfte, murrte er: „Als ob irgendwas davon noch eine Rolle spielen würde.“
Martin ließ sich von seinem Kameraden nicht aus der Ruhe bringen und wiederholte den Satz, den er gefühlt schon hundertmal gesagt hatte: „Wir machen unseren Job, auch wenn es unser letzter ist, beschweren uns nicht und stellen keine Fragen.“
Grimmig und mit wiedergefundener Sturheit packte Basil mit an und half, das schwere Gerät hochzuheben. Etwas zu spät bemerkte er, dass er keine Ahnung hatte, wo das Ding hingehörte und er fragte gepresst: „Wo …?“
„An die Wand, gleich neben die Buchse für den Strom“, antwortete Martin außer Atem. Mit größtmöglicher Vorsicht und nicht minder großer Anstrengung schleppten die beiden Männer die Maschine zu ihrem Platz und setzten sie vorsichtig ab. Atemlos setzten sie sich auf den Boden, um sich eine kurze Pause zu gönnen. Basil nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche und fuhr sich mit der schmutzigen Hand über die Stirn, um sich die Schweißtropfen wegzuwischen, bevor er resigniert sagte: „Das Ganze hat doch keinen Sinn.“
„Jetzt sei nicht so ein Pessimist“, rügte ihn Martin und versuchte dem Kameraden einen aufmunternden Blick zu schenken, was ihm aber offenbar nicht wirklich gelang. „Hier sind wir verhältnismäßig sicher und wir haben sogar ab und an frisches Gemüse zu essen.“
„Der Sellerie heute war aber grauenhaft verkocht“, wandte Basil ein. „Außerdem ist der harntreibend, das ist auch nicht wirklich praktisch bei der Arbeit.“
Martin seufzte theatralisch und kroch über den schmutzigen Boden des Bunkers neben dem Gerät zur Wand, um das Kabel anzuschließen, als er Schritte hören konnte und sich umwandte. Er erhob sich und strich seinen schmutzigen und alten Kampfanzug zurecht, während Basil ihm zuraunte: „Das muss wieder die ‚Madame Docteur‘ sein.“
Claire trat in den Raum und sah sich kurz um, ehe sie in ihrem französischen Akzent sagte: „Danke, ihr habt ja schon alles angeschlossen.“
„Kein Problem“, erwiderte Martin, als sie herantrat und eine der Maschinen einschaltete, die mit einem tiefen Brummen zum Leben erwachte. „Was machen die Dinger eigentlich genau?“
Claire deutete auf das Gerät, an dem sie gerade arbeitete. „Das hier erzeugt Longitudinalwellen.“
„Und was bringt uns das?“, wollte Basil wissen. „Haben wir im Moment nicht ernsthaftere Probleme?“
Leicht genervt antwortete Martin: „Sie meint Todesstrahlen, oder hast du etwa an Wasser gedacht, nur weil du etwas von Wellen gehört hast?“
„Ganz Europa ist gefallen, wir haben das Mittelland verloren und spielen jetzt mit Todesstrahlen herum, die sowieso nicht funktionieren“, beschwerte sich Basil. „Wenn die Bomber kommen, machen sie uns platt, wir haben keine Chance.“
Claire wandte sich kurz von dem Bildschirm ab und erklärte: „Eigentlich sind es nicht Todesstrahlen, sondern Wellen.“
Martin war ebenfalls skeptisch, doch er wusste, dass diese Maschinen ihre letzte Hoffnung waren. „Und damit kann man tatsächlich Flugzeuge abschießen?“
„Vielleicht“, antwortete Claire zurückhaltend, bevor sie zur nächsten Maschine trat und sie hochfuhr. „Wenn die Berechnungen stimmen, könnte es funktionieren. Wenn nicht – pas de chance.
„Na super.“ Martin war der Sarkasmus deutlich anzuhören. Auch wenn er es sich weniger anmerken ließ, seine Erwartungen waren nicht höher als die von seinem alten Kumpel, den er vor Jahren in der Rekrutenschule kennengelernt hatte. Das Knacken seines Funkgerätes, dem einzigen noch funktionierenden Kommunikationsmittel, riss ihn aus seinen düsteren Gedanken und er lauschte der Stimme in seinem Ohrstecker. Nach kurzer Zeit sagte er möglichst ruhig: „Wir werden bald wissen, ob Claires Todesmaschine funktioniert, mehrere Bomber fliegen in unsere Richtung.“
„Ich bin gleich soweit, une seconde!“, antwortete die ehemalige Physikprofessorin und tippte verbissen einige Befehle ein. Martin wandte sich zu Basil um, der sich eine Zigarette, wahrscheinlich seine letzte, angezündet hatte. „Bist du bereit?“
Basil schüttelte den Kopf und blies den Rauch durch eine Schießscharte hinaus. „Natürlich nicht, aber wir haben wohl keine Wahl.“ Mit einer gespielt dramatischen und feierlichen Stimme und einem halbherzigen Grinsen fügte er hinzu: „Immerhin sind wir wahrscheinlich die letzten freien Eidgenossen.“
Martin konnte nicht anders, er musste lachen und insgeheim dachte er sich, dass das Ende nicht so schlimm sein konnte, wenn Basil seinen Humor noch nicht ganz verloren hatte.

Fortsetzung und Schluss in: „Die allerletzten Eidgenossen“.
Autorin: Sarah
Setting: Geheimer Armeebunker
Clues: Buchse, Sellerie, Eidgenosse, Humor, Madame
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2 Gedanken zu „Die letzten Eidgenossen“

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