Oster-Special | Big Boss’ Eier

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Hinweis: Obwohl diese Kurzgeschichte märchenhafte Elemente hat, ist sie nicht eine typische Kindergeschichte.

„Ja, verdamm’ mich, da ist der Hase!“, stieß Bauer Bernhard aus, hievte sich ächzend aus seinem Schaukelstuhl und marschierte über die Veranda. Nach einem langen, und offen gestanden äußerst ärgerlichen Tag wie diesem, war es ihm ein Fest, das gefleckte Tierchen zu beobachten. Mit hängenden Löffeln starrte es ihn aus seinen Knopfaugen an und zuckte mit dem Näschen. „Heike, komm! Der Rammler ist wieder im Garten.“
„Echt?“, tönte es aus der Küche, da eilte sie herbei. Für putzige Viecher ließ seine Frau sogar ihren geliebten Sauerteig fallen. Vorfreudig tippelte sie auf Zehenspitzen an ihm vorbei zum Geländer und flüsterte: „Wo, wo ist sie?“
„Da, vor deiner Nase, Heike“, grinste Bernhard und zeigte auf die furchtlos freche Häsin, die seit einigen Wochen ihren Vorgarten unsicher machte und jeweils pünktlich zur Abenddämmerung auftauchte. Sie putze ihre Pfötchen, rieb sich über den pelzigen Bauch und hoppelte einige Hüpfer auf die Treppe zu. Heike strahlte regelrecht, beugte sich vor, streckte die Hand nach ihr aus und beinahe gelang es ihr, das vorwitzige Tierchen zu streicheln.
„Pass auf, du machst ihr Angst“, mahnte Bernhard und seine Liebste wich einen Schritt zurück. Doch statt wie erwartet verschüchtert auf Heikes Annäherungsversuche zu reagieren, wackelte das mutige Häschen mit den Ohren und kam auf sie zu.

Sandra kicherte verstohlen, als die beiden Menschen ihr vom Haus weg aufs Feld folgten. Die gestandene Hasendame war ihres Zeichens Schwindlerin, und zwar die beste im Umkreis von drei Wäldern. Deshalb hatte Markus sie für seinen Coup engagiert und ihr eingebläut: „Keine Zeugen.“ Ihre Aufgabe war es, den Bauer und seine Frau, die Köchin so weit wie möglich von der gesicherten Anlage zu locken, sodass die Crew bei der Arbeit ungestört blieb. Wochenlang hatte sie sich auf den Tag vorbereitet, jeden Abend damit zugebracht, Vertrauen zu den Riesen aufzubauen, sie zu dressieren. Trotz ihrer zahlreichen Nachfragen hatte Markus ihr wenig über die Mission verraten. Sie wurden von einem mysteriösen Hasen angeheuert, der sich Big Boss nannte und eigentlich nur der Osterhase sein konnte. Vielleicht irrte sie sich. Wie üblich war Markus der Einzige, der alle beweglichen Teile des Puzzles kannte, schließlich nannte man ihn nicht umsonst den Mastermind.
Einer der Menschen jauchzte spitz, Sandra sah sich um und wartete, bis die beiden aufgeholt hatten. Sie schätzte den korrekten Abstand, nicht zu nahe, um sich fangen zu lassen und nicht zu weit weg, um das Interesse der Zielpersonen zu verlieren. Zugegebenermaßen wurde ihr Beruf im Gaunermilieu allmählich anstrengender, zumal es Jahr für Jahr aufwändiger wurde, ihre niedliche Fassade aufrechtzuhalten. Sie bog am Feldrand ab, guckte über ihre Schulter und stellte zufrieden fest, dass der Bauer und die Köchin ihr weiterhin an den Fersen klebten. „Ha!“, murmelte sie außer Atem. „Ich hab’s noch drauf.“

„Die Riesen sind im Wald“, meinte Harry und brummte bestätigend. Seine Gelegenheit, sich mit seinen zweifelsfrei imposanten Fähigkeiten zu brüsten, war gekommen. Der Draht umspannte die gesamte Wiese und gab ein elektrisches Surren von sich, das jeden anderen eingeschüchtert hätte. Nicht so Harry, der betrachtete das schmerzhafte Hindernis mit einem überlegenen Lächeln auf dem Schnäuzchen. Kein System der Welt war vor dem Hasenhacker sicher, die Anlage, die der Hofbesitzer installiert hatte, war mitnichten eine Ausnahme. „Los geht’s“, nuschelte er vor sich hin, pickte ein Stückchen Brot vom Stapel neben sich und warf es über den Zaun. Sekunden später dröhnte ein schiefes Blöken über die Weide und der Ziegenbock kam angetrabt. „Na, willst du mehr?“, kreischte er den stinkenden Hofteufel an, bevor er einen weiteren Brotwürfel vor dessen Füße schleuderte. Brot, gepfeffert mit Hasenköttel, sind die Leibspeise der Bestie, also ließ sie sich nicht zweimal bitten, als Harry zur Seite rückte und ihr den ganzen Haufen präsentierte. Die Nüstern des Bocks weiteten sich und schon galoppierte er auf ihn zu, stoppte erst einige Zentimeter vor dem Zaun. Nun war Präzision und Timing gefragt. Konzentriert balancierte er ein Stück Brot auf der Pfote und hielt es dem schnaubenden Vieh unter die Nase, das sich danach ausstreckte. „Noch ein bisschen weiter“, grunzte Harry angestrengt und jubelte innerlich, als der gehörnte Schädel dort war, wo er ihn haben wollte. Flink klaubte er ein weiteres Brötchen vom Stapel, zeigte es seinem übelriechenden Gegenüber und warf es in hohem Bogen über dessen Rücken. Das gefräßige Tier hob ruckartig den Kopf, seine Hörner verhakten sich im Draht und als es der Leckerei hinterherrannte, riss die elektrische Barriere mit einem lauten Knall entzwei. „Ich bin drin“, rief Harry seinen im Gras lauernden Kumpanen zu und fügte leise an: „Ha! Ich bin der Superhacker.“

Egon langte an der Holzwand der gesicherten Anlage an und tastete sich voran. Auch er hatte für die Spezialoperation trainiert und war dank seiner akrobatischen Begabung die beste Besetzung für den Posten des Einbruchspezialisten. Er durfte sich keine Fehler leisten, die Zeit war knapp, denn Sandra konnte die Menschen gerade mal für einige Minuten beschäftigen. Der Auftraggeber bezahlte gut, um nicht zu sagen vorzüglich, und es wurde gemunkelt, er habe mit der Zielperson ein Hühnchen zu rupfen. Der Big Boss sei lange mit dem Bauern im Geschäft gewesen, bis der Lump den großen Hasen hintergangen und einen Vertrag mit der Fox-Gang geschlossen habe. Natürlich waren das bloß Gerüchte, wahrscheinlich wusste nicht einmal Markus Mastermind, welche Motivation hinter der absurd hohen Belohnung steckte und im Prinzip war es egal, Hauptsache jeder bekam seinen Anteil.
Egon machte einen Bogen um das tropfende Rohr der Dachrinne, nahm eine Satz auf den Scheiterhaufen und quetschte sich schlussendlich auf der anderen Seite hinter das reifenlose Rad des maroden Treckers, der seit einer Ewigkeit neben der Anlage vor sich hin rostete. Jeder Millimeter seines Wegs war minutiös durchgeplant, immerhin war er ein Vollprofi und seine Crew verließ sich auf ihn. Als er in Position war, pfiff er wie vereinbart dreimal, signalisierte damit den anderen, dass alles reibungslos lief, und schlüpfte durch das Loch in der verrotteten Wand. „Ha!“ Egon machte einen Rückwärtssalto und frohlockte: „So flink wie ich ist niemand.“

Sophia war bereit für die Glanzleistung ihrer Karriere. Die Bühnenkünstlerin hatte ausgiebig für ihren Auftritt geprobt, hatte sogar nochmal ihren ehemaligen Schauspiellehrer besucht, obwohl sie beide seit dem Vorfall bei der Premiere von Bambi zerstritten waren. Alle Crewmitglieder hatten ihren Teil der Mission erfüllt, jetzt hing alles von ihr ab. Sie schluckte, zitterte ein wenig, dann schlug sie sich selbst ins Gesicht. „Nicht jetzt, Sophia“, wies sie sich selbst zurecht, heute war der falsche Tag für Lampenfieber. „Markus glaubt an dich“, redete sie sich Mut zu und ignorierte den erwartungsvollen Blick von Harry, der den Ziegenbock mit dem angekokelten Bärtchen fütterte. „Du schaffst das!“ Sie holte tief Luft und brüllte so laut ein Häschen brüllen konnte mit verstellter Stimme. Sie schaffte das Unmögliche und klang wie ein wütender Fuchs!
Plötzlich schnatterten Hühner los, flatterten wild durcheinander und als Egon das Gittertor von innen aufstieß, wiederholte Sophia ihre erstaunlich glaubwürdige Fuchsimitation und die Hühnerschar strömte panisch nach draußen. Ohne eine Sekunde zu verschwenden, trafen sich Harry, Egon und Sophia im Stall und machten sich ans Werk, die unbewachten Eier zu klauen. Eines nach dem anderen rollten sie zum Bächlein hinter dem Stall. Dort lagen ausgemusterte Vogelnester vom letzten Frühling bereit, die der Mastermind Markus gesammelt und mit etwas Köttelpaste wasserdicht versiegelt hatte.
„Nun macht hin“, drängelte Harry seine kriminellen Kameraden, belud das drittletzte Nestchen und schob es ins Wasser. „Sandra kann die Riesen nicht ewig hinhalten.“ Mit den anderen schwamm das Nest stromabwärts, wo Markus es bei der kleinen Brücke Empfang nehmen würde.
„Perfekt“, bemerkte Sophia und klopfte den beiden Häserichen auf die Schultern, nachdem sie die letzte Ladung Eier verpackt und auf die Reise geschickt hatte. „Durchgetaktet wie ein Uhrwerk. Sobald Markus die Ware beim Big Boss abliefert, sind wir reich!“ Egon gab ein zustimmendes Geräusch von sich, ehe er an Harrys Bommelschwänzchen zupfte und die Crew sich aufteilte.
„Ha!“, flötete Sophia glücklich. „Ich kann’s eben doch.“

„Ich komme.“ Sich am Kinn kratzend schlurfte Bernhard zur Tür. „Du bist spät dran“, nahm er seinen Bruder Fritz nörgelnd in Empfang.
„Ja, ja“, winkte der andere ab, trat ein, hängte sein Jagdgewehr an die Garderobe und nickte Heike zur Begrüßung zu. „Du, sag mal, wieso sind deine Hühner über den ganzen Hof verteilt?“
„Was?“ Bauer Bernhard lugte hinaus und tatsächlich, das Federvieh gluckerte zwischen den Stallungen herum, was er mit einem genervten „Mist“, zur Kenntnis nahm. „Habe vor lauter Hasen wohl vergessen, das Tor zu schließen.“
„Hasen?“, wollte Fritz verwundert wissen. „Meinst du den Ha…“
„Ach, die Hühner finden selbst nach Hause“, unterbrach Bernhard seinen Bruder und schob ihn in Richtung Küche. „Es ist schon fast neun Uhr, wegen dir verhungern wir noch.“
„Ja also, wenn du schon von Hasen sprichst: Da, für euch“, begann Fritz, setzte sich auf seinen Stammplatz an Heikes Esstisch und stellte stolz lächelnd eine Tüte darauf. „Auf dem Weg zu euch habe ich unten beim Brückchen einen fetten Hasen entdeckt und dachte mir, ihr freut euch bestimmt über einen Braten.“

Autorinnen: Rahel und Sarah
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