Interstellare Flaschenpost

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Ich“, holte Captain Goodall aus und schaute einige Sekunden wortlos durch das Fenster auf den violett-gelblich schimmernden Spiralnebel, „Ich danke Ihnen für die Meldung, Lieutenant.“
„Selbstverständlich, Sir.“ Finley stand leicht versetzt hinter seinem Vorgesetzten. Von außen wirkte er gelassen, innerlich überschlugen sich seine Gedanken schneller, als ihr Müllfrachter durch den Weltraum raste.
„Wer ist noch darüber informiert?“ Goodall streifte über das knapp drei Meter dicke Glas, welches die Kommandobrücke vom Vakuum trennte.
„Niemand außer Tabea vom Fangdienst, Ihnen und mir, Sir“, gab der Angesprochene zurück und deutete auf die kleine Ausbuchtung an seiner Körpermitte, wo sein Kommunikationsimplantat saß. „Soll ich sie herbeordern?“
„Ist ihr klar, was sie da aus dem All gefischt hat?“, wollte der Captain wissen und sah Finley an, der verneinend gestikulierte. Erneut folgte langes Schweigen, bis er sich tief, beinahe theatralisch seufzend auf seinen Sessel fallen ließ. „Gut, sie braucht nichts zu erfahren.“
„Aye, Sir.“ Der Lieutenant wanderte ziellos von einer Konsole zur nächsten, verweilte schlussendlich vor der holografischen Projektion des Scans. Beiden Raumfahrern fehlten die Worte, um die Situation richtig eizuordnen. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, jemals über so eine Entdeckung zu stolpern, zumindest nicht an Bord eines Müllfrachters, dessen Aufgabe es war, Zivilisationsschrott in die Sonne zu befördern.
„Sie sind sich absolut sicher? Die Quelle ist …“ Goodall hielt inne, lehnte sich zurück und rieb über die blank polierte Tischplatte. Die verkrampfte Stille hing weiterhin über ihnen, selbst das konstante Raunen der Apparaturen schien im endlosen Schwarz des Kosmos zu verhallen.
„Absolut, Sir“, erwiderte Lieutenant Finley schließlich mit fester Stimme. „Zweifelsohne. Ich habe die Flugbahn mehrfach berechnet, das Objekt kommt aus einem unbewohnten Quadranten. Die Gegend ist noch nicht mal kartographiert.“
„Unbewohnt“, murmelte der Captain nachdenklich. „Vielleicht doch nicht.“
„Ja, Sir, diese Vermutung ist naheliegend.“ Er beobachtete die sich drehende Projektion, nie zuvor hatte er etwas vergleichbares gesehen. „Die goldbeschichtete Aluminium-Scheibe, Sir, das ist eine Nachricht.“
„Ja, den Eindruck habe ich auch“, pflichtete ihm Goodall flüsternd bei. „Ziemlich eindeutig sogar.“
„Womöglich ein Relikt?“, schlug Finley in der Hoffnung vor.
„Bezweifle ich.“ Captain Goodall tippte einige Befehle auf der Systemkonsole ein und bestätigte: „Ja. Der Decoder erkennt die Symbole nicht. Unsere alten Schriften sind im Biospeicher hinterlegt, käme das Objekt also von uns, gäbe es Hinweise auf verwandte Zeichen.“
„Dann ist es wirklich …“, holte der Lieutenant aus und verlor sich in regungsloser Faszination, die dreidimensionale Abbildung ihres ungewöhnlichen Funds vereinnahmte ihn komplett.
„Lieutenant Finley, wir haben es mit einer Botschaft von einer fremden Spezies zu tun.“ Es auszusprechen machte die Sachlage weder einfacher noch angenehmer.
„Ha!“, brüllte Finley, wirbelte herum und meinte aufgeregt: „Es ist eine Bauanleitung!“
Das nervöse Hüpfen seines Untergebenen ignorierend konzentrierte sich Goodall und begutachtete die Gravur auf der goldenen Scheibe. „Für was?“
„Sir, ich glaube es handelt sich um ein Abspielgerät“, sagte er, rief die Steuerung für den Scanrechner auf und kalibrierte das Leseprogramm. „Mit ein wenig Glück kann ich die Wiedergabe im Simulato…“ Plötzlich erklangen bizarre Laute, erfüllten den dimm beleuchteten Raum und eine körnige Zeichnung eines Kreises erschien auf dem Holoschirm. Kurz darauf flackerte die sternenförmige Illustration auf, die bereits auf dem Äußeren der Platte abgebildet war, daneben eine Aufnahme einer ihnen unbekannten Galaxie.
„Ach du scheiße“, entfuhr es Captain Goodall, während exotisch anmutende Ziffern auftauchten, die an eine Gleichung erinnerten. Nach und nach offenbarte sich ihnen eine vollkommen neue Welt, kontextualisiert durch seltsame Letter, Fotografien von Planeten und schematische Darstellungen, untermalt von  melodischen Tönen. „Verdammt!“
„Ja, Sir. Verdammt.“ Finleys ganzer Körper erzitterte, außer Stande sich aufrecht zu halten, glitt er zu Boden und starrte auf die Flaschenpost, die sie in der Leere des Alls zufällig gefunden hatten. „Verdammt“, wiederholte er leise, als er sie zum ersten Mal erblickte: Die Verfasser.
„Das …“, stammelte Captain Goodall, schluckte und stieß in seiner Überforderung ein brummendes Geräusch aus, das Finley aufstehen ließ. „Das sind sie!“
„Sie sind faszinierend. Ob sie wohl noch existieren?“

„Was tun wir jetzt?“ Die Frage hing eine Weile unbeantwortet in der Luft, ihre Implikation wog schwer auf den Raumfahrern.
„Sir. Wir müssen den Fund melden.“ Finley linste angespannt zum Ranghöheren, dem der Stress der letzten Stunden deutlich anzusehen war. „Wir müssen. Richtig?“ Er schnaubte resigniert, hätte sich am liebsten in seiner Kajüte versteckt.
„Ja“, ächzte der Captain sichtlich aufgewühlt. „Das Protokoll sieht vor, einen derartigen … nun, nennen wir es ‚Zwischenfall‘, umgehend bei der zuständigen Stelle anzugeben.“
„Die zuständige Stelle, Sir?“ Finley hatte eine Ahnung, eine äußerst schlechte.
Senator C’onqui Stador.“ Der Lieutenant erschauderte, ihm war, als wäre die Temperatur im Raumfrachter gefallen. Goodall ging es genauso, bloß gelang es ihm, den Ruck am baumelnden Damoklesschwert stoisch hinzunehmen.
„Oh.“
„Ja. Oh.“ Abermals verstummten die beiden. Sie waren mit einem moralischen Dilemma konfrontiert, dem sie unmöglich entgehen konnten.
„Sir, dieser Planet, diese Wesen, wenn wir den Fund melden, dann werden sie … ausgelöscht. Der Senator, nein, wir, werden mit ihnen dasselbe machen, wie damals mit den Bewohnern von C7-114-Gamma, ihre Heimat bis aufs letzte Gramm Sand ausbeuten.“ Es hatte ihn Überwindung gekostet, das Offensichtliche auszusprechen, die Stimmung sackte augenblicklich auf einen neuen Tiefpunkt.
„Ich verstehe Ihre Vorbehalte, Finley. Ich verstehe sie sehr gut.“ Goodall stieß sich an seinem Pult ab, rollte auf dem Sessel zum Fenster und betrachtete den Galaxiennebel, aus dem diese interstellare Flaschenpost gekommen war.
„Sir, wenn Sie …“, begann der Lieutenant, vergewisserte sich, dass sich außer ihnen tatsächlich keiner auf der Kommandobrücke befand und fuhr fort: „Wenn Sie meinen Rat wünschen …“
„Schon okay.“ Captain Goodall erhob sich und marschierte zur Hauptkonsole, wo er erklärte: „Ich habe nicht vor, eine weitere Besetzung zuzulassen, deshalb lösche ich sämtliche Daten aus dem System, in denen das Objekt auftaucht. Wer kontrolliert schon die Bücher eines Müllfrachters?“
„Sir, das ist Hochverrat.“ Lieutenant Finley gesellte sich zu seinem Vorgesetzten, sah ihn gleichzeitig bekümmert und erleichtert an.
„Seien Sie unbesorgt, ich bin der Captain, es ist meine Entscheidung.“ Das Logbuch vom Fangdienst erschien auf dem Holoschirm, Goodall wählte den betreffenden Zeitraum aus und wandte sich dem anderen zu. „Sie sind schuldfrei, Finley, sollten C’onqui Stadors Schergen dahinterkommen, werde ich Ihr Mitwissen nie erwähnen. Gehen Sie in ihre Kajü…“
„Ich helfe“, unterbrach ihn Finley ruhig. „Diese Wesen haben unseren Schutz verdient.“

Autorin: Rahel
Setting: Kommandobrücke
Clues: Eindruck, Schwert, Rat, Senator, Sand
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