Niemand glaubt Joseph

Joseph lehnte sich auf der Hollywoodschaukel zurück und nahm einen tiefen Zug von seinem Sargnagel. Das Zirpen der Zikaden erfüllte die schwüle Abendluft in den Everglades und der Kopf des zauseligen Mittvierzigers wurde von unzähligen Moskitos umschwirrt. „Regen liegt in der Luft“, brummte Joseph und nahm einen Schluck seines Feierabendbiers, als in einer Staubwolke ein Pick-Up-Truck heranratterte, der vor Dekaden einmal rot gewesen war. „Na also, da kommt die Schnarchnase.“
Der Truck kam mit auf dem Kies schliddernden Reifen zum Stehen, Dave, Josephs bester Freund, kraxelte umständlich aus dem Wagen und lud einen Kasten Bier aus. „Na Alter, was läuft? Haste dir ’nen Alligator zum Abendessen geschossen?“
Während Dave die Flaschen auf Josephs Veranda trug, erklärte dieser demotiviert zum Gewehr an der Wand gestikulierend: „Nö, McDonalds. Also gekauft, nicht geschossen, wie du siehst liegt die alte Bertha in der Sonne rum.“
„Ah echt? Dir hätt’ ich es ja zugetraut, mit der Flinte in einen Burgerladen zu gehen.“
„Ha ha“, gab Joseph trocken zurück, als Dave es sich neben ihm auf der Hollywoodschaukel bequem machte und das Thema wechselte: „Ich hab’ bei einem Garagenverkauf ein Gratisposter zu der Weihnachtslichterkette bekommen, die da jemand für einen Dollar verscherbelte. Dachte mir, das bringe ich dir gleich mit.“
„Was soll ich mit einem Poster?“
Vielsagend nickte Dave in Richtung des morschen Hütteneingangs. „Na was denkst du? Dekorieren. Ist ’ne hübsche halbnackte Schnalle drauf.“
„Na dann, hab noch Platz an der Badezimmertür. Und die Lichterkette?“
„Ey, die ist für meine Veranda, ich liefere dir nicht alles frei Haus. Hol dir deinen Scheck von der Sozialversicherung, wenn du edle Beleuchtung willst.“
„Du weißt genau, was ich von den Deppen in Washington halte“, wetterte Joseph los. „Is’ egal, ob’s Republikaner oder Demokraten sind, alles dieselben Esel im Porzellanladen. Die unterstütze ich nicht!“
„Na ja, sie würden ja eher dich unterstütz…“
„Nein“, fuhr er Dave ins Wort. „Das wäre ein symbolischer Gewinn für die Säcke. Ich finde bestimmt wieder einen Job, Mann.“
„Das behauptest du seit fünf Jahren“, nuschelte Dave, öffnete ein Bier und reichte es seinem Freund. „Sei realistisch, mit deiner Einstellung wirst du die nächste Dürre nicht überleben und bis dahin ernährst du dich von Roadkill, Fast Food und den Moskitos, die dir ins Maul fliegen.“
„Das ist Florida, Mann, nicht Nevada“, lachte Joseph. „Hier ist sogar der Sonnenschein feucht, da ist nix mit Dürre. Nicht mal die Klimaerwärmung kann mir was anhaben.“ Grinsend hob er sein Bier und toastete: „Auf die wahren Helden der Nation, die sich von keinem sagen lassen, was sie zu tun haben!“
Dave verkniff sich eine spitze Bemerkung darüber, dass Joseph das Poster später brav, wie er ihm geheißen hatte, aufhängen würde und stieß seine Flasche an die des anderen. „Auf ’nen gemütlichen Abend.“
Joseph trank die halbe Flasche leer und stieß einen Rülpser aus, der die Zikaden für einige Sekunden zum Verstummen brachte. „Du glaubst mir nicht“, grummelte er missmutig, da hellte sich seine Miene auf. „Die da oben lügen uns an, warte nur, bis ich dir echte Beweise zeige.“
„Ey, dieser Tumblr mit den Verschwörungstheorien zu Nine-Eleven is’ kein Beweis. Das sind lediglich ein paar Hohlbirnen, die im Internet Schwachsinn verbreiten“, prustete Dave. „Bist du etwa noch an der Sache dran?“
„Ne, ist eh glasklar, haben die da oben gelogen. Washington, nie ein Tröpfchen Wahrheit. Plus, seit ich sie mit meinen eigenen Augen gesehen habe, interessieren mich Aliens sowieso mehr. Keiner, absolut keiner von den Polit-Drecksäcken hat je zugegeben, wie real Aliens sind. Alles ’ne einzige große Lüge und das seit Rosswell. Echt, keiner spricht darüber!“ Joseph hatte sich derart in Rage geredet, er fiel beinahe von der Schaukel, als er aufstehen wollte.
„Pass auf, Mann, sonst biste mit der Fresse voran im Schlamm. Und hör auf, so ’nen Blödsinn zu verzapfen, es gibt keine Aliens. Bildest du dir ein, die parken ihr UFO im Wald vor deiner Tür?“
„Selbstverständlich nicht, die teleportieren. Habe sie gestern Nacht im Wald belauscht, sie planen vorerst nicht, die Erde einzunehmen. Haben vielleicht meine Waffensammlung gesehen und es mit der Angst zu tun bekommen.“
„Bist du jetzt total übergeschnappt oder was?“ Dave unterdrückte ein Stöhnen. „Versuch’s mal mit weniger Gras oder was auch immer du im Wald findest und rauchst.“
„Ne, Mann, wenn ich’s dir sage, da waren zwei Aliens im Wald. So groß wie Teenager, dünn, graublau, riesige Glubschaugen. Ich hab’ sie selbst gesehen.“
„Aha, okay. Also gut …“ Dave hatte nicht vor, sich auf eine Diskussion einzulassen und entschied sich verfrüht abzuhauen. „Ich sollte mich auf den Weg machen, bevor das Gewitter mit Sturmböen und Hagel kommt, vor dem die Meteorologen den ganzen Tag warnen. Wenn die Straßen zu dir raus unpassierbar sind, bin ich am Arsch, ich muss morgen auf den Bau.“
„Na dann. Wenn die Aliens auftauchen, knipse ich ein Foto und schick’s dir.“
„Tu das, ich bin gespannt!“ Damit stand Dave auf, klopfte seinem naiven Kumpel auf die Schulter und schlenderte zum Pick-Up-Truck.

Als der Motor aufheulte und erste dicke Regentropfen auf die Everglades klatschten, gab Adjutant Ki’der ein erleichtertes Kichern von sich. „Na also, ich habe schon befürchtet, wir würden ewig im Busch sitzen müssen.“
Admiral Ka’dos erhob sich zufrieden, sobald der zweite Mensch, den, der sich Joseph nannte, mit seiner Flinte im Haus verschwunden war. „Dieser Humanoide ist keine Bedrohung für uns, auch wenn er uns gesehen hat. Niemand wird ihm je glauben. Allein sein sozioökonomischer Status lässt das nicht zu.“
„Vermutlich“, murmelte Ki’der, ehe er fragte: „Sir, weshalb beharren Sie darauf, jedes Jahr auf die Erde zurückzukehren? Der nächste offizielle Besuch steht erst in einigen Jahrhunderten an.“
„Ganz einfach, mein Freund“, meinte Ka’dos mit einem faszinierten Schnauben. „Diese Spezies erinnert mich mit jedem Besuch mehr an unsere eigene vor zwei Jahrtausenden. Sie sind, wie wir mal waren. Ich sehe Potential und möchte ihre Entwicklung beobachten.“
„Okay, bloß, Sir, wieso suchen wir uns nicht führende Wissenschaftler als Beobachtungsexemplare aus? Das hier ist kaum das hellste Subjekt und …“
Das Ladegeräusch einer Schrotflinte erklang hinter ihnen und die beiden Aliens fuhren herum, standen sogleich Joseph gegenüber, der seine Waffe auf sie richtete. „So, meine Freunde, jetzt setzen wir uns alle zusammen auf die Veranda, seh’n dem Unwetter zu und unterhalten uns drüber, was ihr auf meinem Privatgrundstück verloren habt, ja? Und keine Gedankenkontrolle oder Teleportation, sonst bekommt ihr ’ne Ladung Schrot unter die graue Haut!“
Ki’der sah zu seinem Vorgesetzten rüber, der begeistert zustimmte: „Natürlich, das ist die Gelegenheit, mit einem echten Menschen zu sprechen.“ An den Adjutanten gewandt, ergänzte er: „Keine Sorge, Ki’der, uns wird nichts passieren. Sollte er aggressiv werden, kaufen wir ihm einfach eine Lichterkette, das wird ihn beruhigen.“
Mit einem resignierten Ächzen folgte Ki’der seinem Boss und wunderte sich, womit er es verdient hatte, von naiven Idioten umgeben zu sein, egal von welcher Welt sie stammten.

Autorin: Sarah
Setting: Hollywoodschaukel
Clues: Sonnenschein, Regen, Hagel, Dürre, Gratisposter
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