Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor | Die Passarelle

Dies ist der 3. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.

„Ich bin noch immer der Ansicht, dass es eine schlechte Idee war“, flüsterte Tess, währendem sie das mächtige Gesäß betrachtete, das im Takt der Schritte der fremden Frau hin und her wankte. Clint rollte für ihren Geschmack etwas zu theatralisch mit den Augen und entgegnete stur, dass er nicht mehr weiter darüber diskutieren wollte, doch sie konnte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen und nickte abschätzig in die Richtung der beiden anderen, die einige Meter vor ihnen marschierten. „Die Situation ist schon schwierig genug, auch ohne die beiden, die uns aufhalten.“
„Ich weiß echt nicht, was dein Problem ist“, sagte ihr neugewonnener Freund, trottete etwas näher zu ihr und beugte sich dann leicht nach unten, damit er noch leiser sprechen konnte. „Du hast doch selbst gesagt, dass wir sie nicht einfach zurücklassen können.“ Tess grunzte verächtlich, da er aber Recht hatte, konnte sie nichts entgegnen und kickte bloß frustriert gegen einen losen Pflasterstein. Vor drei Tagen, kurz nachdem sie mit Clint die kleine Studentenwohnung, in welcher sie sich einige Tage ausgeruht und gestärkt hatten, verlassen hatte, waren sie auf eine kleine Gruppe Infizierter aufmerksam geworden. Die Biester hatten versucht etwas schneller zu traben, waren jedoch so ungeschickt gewesen, dass sie mehr oder weniger nur übereinander gestolpert waren und als einer, der ausgesehen hatte wie ein Wrestler, hingefallen war, hatten sie die beiden entdeckt: Eine ältere Frau mit dickem Bauch und lockigem grauen Haar und ein kleiner Junge waren vor den verrottenden Kreaturen hergerannt. „Ach du Scheiße“, hatte Clint fassungslos gemurmelt und war wie paralysiert stehengeblieben, um sich die Szene genauer anzusehen. Und es war tatsächlich Tess gewesen, die nach kurzem Zögern gesagt hatte: „Auf was wartest du? Wir müssen ihnen helfen!“

Ihre neuen Begleiter, Barbara und Jack, verlangsamten ihr Marschtempo ein wenig, als sie den ersten Schritt auf die von Säulen getragene Passarelle wagten und die Grauhaarige signalisierte ihnen mit gehobener Hand, stehenzubleiben und ließ ihren Blick aufmerksam schweifen. Tess beobachtete sie, wie sie ihren Hals vorsichtig reckte und über die Brüstung nach unten, auf den Highway linste. Das alte Mädchen hatte immerhin einen klugen Kopf auf ihren Schultern, dachte sie sich und kramte dann einen Kaugummi aus der Tasche ihres Parkas. „Okay, ich sehe keine Bewegung“, rief Barbara ihnen zu und nickte in Richtung der Fußgänger-Überführung. „Aber wir sollten trotzdem leise sein, wahrscheinlich hängen noch einige in den Autos fest und wenn die anfangen loszuheulen…“ Sie musste den Satz nicht beenden, denn sie alle wussten, was passieren würde wenn einer anfing zu ächzen und so schlichen sie beinahe auf Zehenspitzen über den aufgerissenen Asphalt. Seit einigen Tagen lag am Morgen eine dünne Schneeschicht und die kleinen Wolken, die sich jedesmal vor ihren Gesichtern formten, wenn sie ausatmeten, verschwanden erst gegen Mittag, wenn die schwache Herbstsonne am stärksten wärmte. Der Winter kam schnell und mit ihm würden die regional üblichen Stürme kommen und Tess wusste, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, um zur Landebahn des Flugplatzes zu kommen. Deswegen war sie auch nicht begeistert davon, eine alte Frau und einen knapp zehn Jahre alten Jungen mitzuschleppen. Die Wetterbedingungen würden nicht nur fürs Fliegen immer problematischer werden und ihr war es lieber, nur zwei von ihnen würden überleben, als gar niemand. „Erste Regel fürs Überleben“, rezitierte sie innerlich, während sie geduckt hinter den anderen herging, „denk pragmatisch.“

Sie hatte nicht gemerkt, dass ihre Gedanken abgedriftet waren und erst als sie in Clints Rücken knallte, hielt sie verdutzt an. „Was ist?“, wollte sie wissen und sah verwirrt zu den anderen, die in einer Reihe nebeneinander standen und von ihr wegblickten. „Hier können wir nicht weiter“, stellte Barbara schließlich trocken fest und als sie sich umdrehte, um wieder zurückzugehen, sah Tess das klaffende Loch. Vermutlich war der hintere Teil der Passarelle abgebrochen, als der große Lastwagen, der nun verbeult und auf dem Dach liegend auf dem Highway vor sich hinrostete, in eine Säule gedonnert war; auf jeden Fall kamen sie hier nicht weiter und würden sich einen anderen Weg über die Schnellstraße suchen müssen. „Fuck!“ Tess grinste unwillkürlich, als sie das böse Wort, das sie gerade gedacht hatte, aus dem Mund des Jungen hörte und sah amüsiert zu, wie Clint ihm sanft auf den Hinterkopf schlug. „Na, du Spitzbube, so etwas will ich nicht hören“, belehrte er ihn lächelnd und schob den Jungen dann in die andere Richtung. „Unterschätze nie die Permeabilität von Gefühlen“, nuschelte Tess so leise, dass die anderen sie nicht hören konnten und erinnerte sich daran, sich nicht zu sehr an den Knirps zu gewöhnen, auch wenn er durchaus etwas Freude in ihr tristes Leben würde bringen können. Ihre Mine versteinerte wieder und sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, bevor sie sich räusperte und vorschlug, etwas schneller zu gehen.

„Fuck!“, schrie Clint, der wie wild mit seinem Brecheisen fuchtelte und verzweifelt versuchte, drei ehemalige Cheerleaderinnen, die wohl während einem Clubausflug von der Apokalypse überrascht worden waren, abzuwehren. Tess hatte keine Zeit, sich über ihn lustig zu machen und ihm spielerisch vorzuwerfen, er wäre ein schlechtes Vorbild für Jack, denn sie selbst rang mit verkrampft verbissenem Kiefer um ihr Überleben. Offenbar waren ihnen einige dieser halb verwesten Geschöpfe gefolgt und hatten ihnen nun den Weg zurück zur Straße abgeschnitten. Barbara, die vorgegangen war, hatte sie als erste entdeckt gehabt und war schreiend und so schnell ihr träger Körper es zugelassen hatte, zu ihnen gespurtet, währendem sie immer wieder kurz angehalten hatte, um mit erstaunlicher Zielgenauigkeit in die zähnefletschende Menge hinter ihr zu schießen.
Eigentlich waren es gar nicht so viele und wären sie auf einem Hausdach oder irgendwo auf einer Anhöhe, könnten sie diese Monster mehr oder weniger gemütlich, einen nach dem anderen, umnieten. Doch sie waren nicht auf einem Dach, sondern auf einer halb vereisten Überführung und an drei Seiten würden sie nichts weiter finden, als den freien Fall auf die mit Autowracks zugepflasterte Straße. Und so wie es aussah, wollte die immerzu anschwellende Menge der Zombies nie enden und als Tess an die limitierte Munition dachte, kam sie sich so vor, als würde sie mit nichts weiter als Kräutertee gegen das ausufernde Zellwachstum eines Krebstumors kämpfen. Sie konnten nicht entkommen.

Gerade als Tess mit ihrem schweren Stiefel in das zerstörte und verschmierte Antlitz einer einst adretten Dame kickte, griff eine starke Hand nach ihrem anderen Bein und zerrte dermaßen heftig daran, dass sie das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Schierer Terror durchzuckte ihren Körper und sie musste sich mit aller Willenskraft, die ihr trotz den Strapazen der letzten Wochen noch geblieben war, dagegen ankämpfen, nicht einfach die Augen zu schließen und sich den verfaulten Zähnen des aggressiven Dings über ihr zu ergeben. Wie durch Watte konnte sie Barbara hören, die ihr befahl sich zu ducken und glücklicherweise überlegte sie nicht lange und reagierte instinktiv darauf. Ihr Schädel schlug hart auf den kalten Boden, als sie ihre Rumpfmuskulatur entspannte und von der stinkenden Kreatur niedergedrückt wurde. Sie fragte sich für einen Bruchteil einer Sekunde, ob sie wohl ohnmächtig werden würde und wenn ja, ob das nun Segen oder Fluch wäre.
Etwas zischte haarscharf über ihre Nase und ehe sie begreifen konnte, was geschah, spürte sie wie der Todesgriff des Zombies sich lockerte und etwas Schweres, Klebriges auf sie niedersank. Ungläubig blinzelte Tess einige Male und betrachtete den nun endgültig leblosen Körper, bevor er von Barbara weggezogen wurde. „Steh auf!“, schrie sie, währendem sie frenetisch weiterfeuerte und mit ihrer rechten Hand einen Hammer in die Augenhöhle eines relativ frisch aussehenden Mädchens schleuderte.

Er war ruhig geworden auf der Fußgänger-Überführung und wäre Clint nicht so eine notorische Plaudertasche, hätten sie diese Ruhe sicher noch einige Minuten genießen können. „Scheiße“, begann er, währendem er abwesend auf die zerschossenen und zerschlagenen Zombies blickte, die scheinbar wahllos verstreut zu ihren Füssen lagen. „Ach du heilige Scheiße!“
„So etwas will ich nicht hören“, kicherte Jack und bewegte dabei seinen Kopf hin und her, so wie Kinder das taten, wenn sie jemanden nachäffen wollten und brach kurz darauf in befreites Gelächter aus. Natürlich war an der Situation überhaupt nichts lustig, sie wären beinahe alle draufgegangen, nur weil irgendein dummer Lastwagenfahrer beschossen hatte, seinen Truck gegen eine Säule zu setzen, doch das Lachen tat gut und so stimmten nun auch die Erwachsenen mit ein, bis sie sich alle die Bäuche hielten und Tränen der Erleichterung über ihre Wangen liefen.
„Nun“, sagte Barbara dann nach einer Weile und wurde wieder etwas ernster. „Ich glaube nach alledem was wir hier zusammen erlebt haben, sollte uns klar sein, dass wir keine Zeit für Spielchen haben.“ Tess fuhr sich noch immer lachend über die Augen, während Clint dem Jungen einen Schokoriegel aus seinem Rucksack zuwarf und ihm anerkennend auf die Schulter klopfte. „Ich weiß, dass ihr nicht glücklich seid mit diesem Arrangement, aber egal wie wir darüber denken, wir haben bessere Chancen, wenn wir zusammenbleiben.“ Tess schluckte den kalten Kloß herunter, der in ihrer Kehle stecken geblieben war und versuchte sich ihre Scham nicht anmerken zu lassen. Sie hatte nun wirklich nicht gewollt, dass Barbara ihre Zweifel mitbekommen würde und versuchte sich verlegen zu erklären. „Sei mir nicht böse, ja? Ich dachte nur…“
„Jaja, du dachtest wir wären nutzlos und eine Last für euch, schon klar“, fuhr ihr Barbara ins Wort und zu Tess‘ Überraschung, legte sich ein gelassener, wohlwollender Ausdruck über ihr Gesicht, bevor sie zu ihr hinüberschritt und ihr ein Feuchttuch aus ihrem Beutel reichte. „Wenn ihr uns mitnehmt und du uns ein Fünkchen Akzeptanz entgegenbringst“, begann Barbara ruhig, „kann ich deine Maschine fliegen.“
Die Ältere erkannte Tess‘ Erstaunen und gluckste einige Male ob der Verwirrung der anderen, bevor sie mit einem breiten Grinsen erklärte: „Ich bin in Alaska geboren und aufgewachsen.“ Das erklärte so einiges, dachte sich Tess und wischte sich ihre blutverschmierte Hand mit dem Feuchttuch ab, bevor sie sie Barbara entgegenstreckte und sagte: „Barbara, vielleicht werden wir doch noch die besten Freunde.“

Autorin: Rahel
Setting: Passarelle (Fußgänger-Überführung)
Clues: Landebahn, Spitzbube, Permeabilität, Akzeptanz, Zellwachstum
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