Unterwelt

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Manchmal bringst du mich echt auf die Palme, Mann!“, rief K-Dog und beäugte seinen weißen Turnschuh, der bis vor einigen Minuten noch brandneu gewirkt hatte. Jetzt war er von einer bräunlichen, matschigen Flüssigkeit überzogen; zumindest vermutete er, dass das Zeug braun war, denn er hatte nicht die geringste Lust dazu, sich im Halbdunkel mit der Taschenlampe auf die Füße zu leuchten. Big Al konnte nicht aufhören zu lachen, was K-Dog nur noch mehr reizte.
„Echt, gleich gibt’s was in die Fresse“, fuhr K-Dog seinen grölenden Freund an, der sich davon aber nicht beindrucken ließ. Seit K-Dog in der Gang aufgestiegen war, gab es nur noch einen, der ihn so behandelte, als würde er ihn nicht für voll nehmen und das war Big Al, mit dem er momentan seine Zeit in der Kanalisation verbringen musste. Al war immer ein loyaler Freund gewesen, hatte aber über all die Jahre hinweg den etwas älteren K-Dog nie sonderlich ernst genommen, manchmal fand er seine übertriebenen Gangsterallüren einfach zu amüsant.
Big Al hatte sich von seinem Lachanfall erholt, denn er schaffte es, einen verständlichen Satz herauszubringen: „Du musst doch zugeben, dass es witzig war, erst trittst du in einen Hundehaufen und jetzt auch noch voll in die Brühe.“
„Ich will doch nicht hier unten in Scheiße waten“, entgegnete K-Dog wütend und trat entnervt gegen einen rostigen Eisenträger. „Ich hoffe, dass sich der Job auch gelohnt hat.“
„Natürlich“, erwiderte Big Al und nickte dabei in Richtung des großen Sacks, den er über die Schulter geworfen hatte. „Der Krempel ist sicher genauso viel wert wie er wiegt und die Bullen haben wir auch schon seit langem abgehängt.“
K-Dog sah sich für einen Augenblick paranoid um, bevor er wieder die Fassade seiner gespielten Selbstsicherheit vorschob. „Ja, du hast Recht, die Cops sind wir los.“
„Hey, schau mal“, wechselte Big Al das Thema und deutete auf eine Abzweigung, die in einen trockenen Gang führte, „da schaut es sauberer aus.“
K-Dogs Miene hellte sich etwas auf. „Okay, gehen wir da lang.“

„Komm schon Mann, wir haben uns verirrt“, murrte Big Al. „Wir brauchen einen Plan.“
K-Dog schnaubte. „Klar haben wir uns verirrt, bei unserem verdammten Glück! Ich hab es echt satt! Das hätte ein ganz einfacher Blitzeinbruch sein sollen, aber natürlich musste uns dabei ein Polizist beobachten.“ Big Al zuckte fatalistisch mit den Schultern, wobei er beinahe den Sack fallengelassen hatte. „Jetzt hör schon auf zu jammern, suchen wir uns lieber einen Ausweg aus diesem Labyrinth.“
„Was denkst du denn, haben wir die ganze letzte Stunde gemacht?“, wetterte K-Dog weiter. „Echt, viel bekloppter kann die ganze Sache nicht werden und …“
„Halt“, unterbrach ihn Big Al und deutete nach vorn. „Da ist Licht.“
Sein Kumpel war verstummt, nun konnte er es auch erkennen und er sprach im Flüsterton weiter: „Schleichen wir uns an, nicht, dass uns jemand entdeckt. Und wenn es Penner sind, kennen sie sicher den Ausgang.“
„Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache“, entgegnete Big Al, folgte aber seinem Freund, da der den Einwand nicht beachtete. Nicht allzu weit entfernt, am Ende des Ganges, fiel ein Lichtstreifen durch eine nur einen Spaltbreit geöffnete Metalltür. Als sie näher kamen, konnte Big Al ein Geräusch aus dem dahinterliegenden Raum hören, ein gleichmäßiges Rauschen oder Rascheln, das sich das in regelmäßigen Abständen kurz unterbrochen wurde, bevor es wieder zu vernehmen war. Er vermutete zwar, dass es irgendwas mit dem Wasser in der Kanalisation zu tun hatte, doch man konnte in seiner Branche nie vorsichtig genug sein, also bedeutete er K-Dog, seine Waffe zu ziehen. Sie langten bei der Tür, einer rostigen, dicken Metallplatte, an und hielten. Was auch immer auf der anderen Seite war, es gab nur einen Weg, es herauszufinden. K-Dog hob seine Knarre, die er stilecht seitwärts hielt, und stieß dann die Tür mit einem heftigen Tritt auf.

Big Al hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit. Vor ihnen lag ein alter, bunkerartiger Raum, der wie eine Wohnung eingerichtet war: Es gab ein Bett, eine kleine Küche, sogar ein Fernseher stand auf einem verzierten Tischchen. Es waren massenhaft brennende Kerzen aufgestellt und als würde damit nicht alles schon genug wie eine Szene aus einem schlechten Horrorfilm wirken, waren dazu auch noch die Wände mit vielen Symbolen in roter Farbe bemalt, die Big Al nicht entziffern konnte. Doch das, was ihn am meisten überraschte, war die Ursache des Geräuschs. Sie stand in der Mitte des Raums, eine junge Frau, in etwa in seinem Alter, schlank, sehr bleich und trug ein bodenlanges, schwarzes Kleid, in der Hand hielt sie einen Reisigbesen, mit dem sie den Boden gewischt hatte. Als die beiden Gangster eingetreten waren, hatte sie den Kopf gehoben und eine Strähne ihres schwarz gefärbten Haares aus dem Gesicht gestrichen, bevor sie in ihrer Bewegung erstarrt war, als sie K-Dogs Kanone gesehen hatte. „Oh, sorry“, murmelte dieser verwirrt und steckte die Waffe weg, da sie offensichtlich keine Bedrohung war. Die Frau hatte sich erstaunlich schnell gefangen und beschwerte sich gleich: „Schon mal was von Anklopfen gehört?“
„Wir suchen nur einen Weg aus der Kanalisation“, murmelte Big Al, da ihm nichts Besseres einfiel. „Ich bin übrigens Al und das ist Dog.“
Sie kniff skeptisch die Augen zusammen, bevor sie mit einer schwer zu lesenden Mine entgegnete: „Freut mich, ich bin Raven. Und was wollen zwei Straßengangster mit dem Geschenkesack des Weihnachtsmannes?“
K-Dog musste nun trotz seines schmutzigen Turnschuhs und seiner üblen Laune lachen. „Und das fragt mich ausgerechnet eine Gothic-Braut mit einem Hexenbesen, die im Untergrund haust?“
Raven musterte ihn, lächelte dann aber unverbindlich und stellte den Besen zur Seite. „Auch Vampire müssen putzen. Möchtet ihr einen Drink?“
Big Al wandte sich seinem Kumpel zu, der nickte. „Klar, wieso nicht? Was machst du überhaupt hier unten?“
„Ich lebe hier, was denkst du denn?“, antwortete Raven, schritt zu der Kochnische und kramte einige Flaschen aus dem veralteten Kühlschrank. Big Al, der vor ein Regal getreten war, schaute sich die Dekostücke an. Er konnte Teile einer Ritterrüstung erkennen, ein Schwert, einen Gladiatorenhelm und haufenweise Einmachgläser, die mit den verschiedensten Dingen gefüllt waren. Die meisten davon wirkten gruselig und er erschauderte, wenn er auch nicht erkennen konnte, was darin aufbewahrt war. Schließlich zwang er sich, auf eines der unverfänglicher wirkenden Gläser zu deuten und fragte: „Was ist denn da drin?“
Schwarzer Sand aus Lanzarote“, sagte sie nach einem Blick über ihre Schulter. „Früher, als ich noch kein Problem mit Sonnenlicht hatte, habe ich einige Zeit in der Gegend gelebt. Und schwarz passt doch ziemlich gut zu meiner Dekoration.“
Big Al musterte ein anderes Glas, in dem etwas Dunkles und Verschrumpeltes lag, das er nicht erkennen konnte. „Und das?“ Sein Kumpel war herangetreten und schaute gespannt zu, blieb jedoch hinter seinem Rücken stehen. Raven, die mit drei Gläsern zurückgekommen war, erklärte: „Fledermaus.“
„Igitt!“, rief K-Dog aus und machte einen Schritt zurück vom Regal, versuchte die Gänsehaut auf seinen Unterarmen zu ignorieren und fragte, als er die roten Drinks sah: „Ist da auch was Ekliges drin?“
„Nein, das sind Bloody Marys“, entgegnete Raven und reichte ihm ein Glas. Big Al wandte sich um und nahm seinen Drink ebenfalls an, bevor Raven ihm einen Platz auf dem Sofa anbot. Ihm kam die Situation mehr als nur absurd vor, immerhin hatte ihre Nacht nur mit einem normalen Einbruch angefangen. Da die Neugier die Überhand gewann, fragte er: „Und, was ist deine Geschichte?“
„Seit ich von einem Vampir gebissen wurde, bekomme ich im Sonnenlicht Migräneanfälle, darum bin ich in die Kanalisation gezogen“, erzählte Raven und nahm zwischen den beiden Freunden Platz. K-Dog, der sein Glas geleert hatte, brach erneut in Gelächter aus. „Kleine Verrückte. Du weißt schon, dass es keine Vampire gibt, oder?“
Big Al setzte dazu an, etwas Beschwichtigendes zu sagen, denn er hoffte darauf, dass sie ihnen den Weg zum Ausgang zeigen konnte und wollte nicht, dass K-Dog ihr auf die Nerven ging. Doch er kam nicht mehr dazu, denn Raven hatte sich zu K-Dog herübergelehnt, ihr Gesicht an seinem Hals vergraben und zugebissen. Er schrie überrascht auf, wehrte sich und griff nach seiner Waffe, doch es war zu spät. Ein Schuss löste sich, dann erschlaffte K-Dogs Körper und die Pistole fiel mit einem klappernden Geräusch auf den Boden. Big Al war aufgesprungen und hatte einige Schritte rückwärts auf die Tür zu gemacht, da er selbst nicht bewaffnet war, hatte er die Arme schützend erhoben. Raven sah mit blutverschmiertem Mund von dem leblosen Körper auf, seufzte zufrieden und lächelte ihm beruhigend zu. „Keine Sorge, zwei schaffe ich nicht auf einmal, ich muss auf meine Figur achten.“
„Verdammte Scheiße“, wisperte Big Al atemlos, als er hinter seinem Rücken die Tür zu fassen kriegte und langsam aufzog. Raven hob eine Hand und er hielt inne, wenn er auch nicht wusste, wieso. „Die Sache mit deinem Freund tut mir Leid“, sagte sie, bevor sie hinzufügte: „Aber er war eine Nervensäge und ich hatte keine Lust, ihn für tausend Jahre hier zu behalten.“
„Wieso tausend Jahre?“, fragte Big Al mit unterdrückter Panik. Raven sah beschämt zu Boden. „Ich habe mein Blut in eure Drinks gemixt, du wirst also zum Vampir werden. Ich hätte dich vorher fragen sollen, aber mir war letzthin ziemlich langweilig hier unten.“ Etwas fröhlicher fügte sie hinzu, während sie die Leiche mit den Füßen wegzustoßen versuchte: „Hab keine Angst, mit Kabelfernsehen ist die Unsterblichkeit ganz erträglich.“

Autorin: Sarah
Setting: Kanalisation
Clues: Palme, Hexenbesen, Geschenkesack des Weihnachtsmannes, Gladiatorenhelm, Schwarzer Sand
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10 Gedanken zu „Unterwelt“

  1. Vielen Dank, ich habe mich doch sehr amüsiert. Vor allem über den Schlusssatz, den könnte man sich in der Tat einrahmen. Interessante Kombination – und tatsächlich so gegensätzliche Dinge vereint :)

    1. Ich habe mich beim Schreiben auch ziemlich amüsiert, ich finde es auch immer lustig zu sehen, was mir bei sehr verscheidenen und spezifischen Clues in den Sinn kommt… Manchmal ist es totaler Unsinn, was auch der Sinn davon sein kann ;)

  2. Gefällt mir. Alle Wörter bestens untergebracht. Eine Gangsterstory mit gruseligem Ausgang. Ziel erreicht, die Clues fallen nicht auf, trotz „Geschenkesack des Weihnachtsmannes“. Da habe ich mich zu Anfang schon gefragt, wie du den wohl unterkriegst. Perfekt.
    Und der Schlusssatz ist besonders schön. Wenn ich ein Vampir wäre, würde ich ihn mir tätowieren lassen. :-)

    1. Das freut mich natürlich zu hören, vielen Dank :) Und ja, der Geschenkesack des Weihnachtsmanns hat mir tatsächlich etwas zu grübeln gegeben, aber ich muss offen gestehen, dass ich mir ziemlich ins Fäustchen gelacht habe, als ich endlich auf die Idee gekommen war… Und Kabelfernsehen ist sicher ein Ansatz, obwohl ich bei manchen Sendungen lieber sterblich wäre, als sie bis in alle Ewigkeit sehen zu müssen ;)

      Liebe Grüsse,
      Sarah

    1. Vielen Dank, es freut mich, dass sie dir gefallen hat. Manchmal muss man etwas Neues probieren und Gangster und Vampire hatte ich bisher noch nicht ;)

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