Der klassische Kampf zwischen Gut und Blöde

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

„Was für einen Harlekin schleppst du wieder an?“, seufzte Dean und lehnte sich gegen die Wand. Seine schlecht verarbeitete Wächteruniform juckte am ganzen Körper, etwas, womit man klarkommen musste, wenn man eine Stelle am Arkham Asylum innehatte. Damit und mit all den Touristen, die nach Arkham, Massachusetts wollten und versehentlich den Zug zur Irrenanstalt für Straftäter bestiegen hatten. Dean fragte sich gelegentlich, welcher Idiot den saublöden Einfall gehabt hatte, neben dem Asylum einen Bahnhof zu bauen, immerhin war es weder eine Attraktion noch ein Verkehrsknoten. Andererseits musste er sich eingestehen, dass bei der Menge an Straftätern die Lieferung per Bahn ein Segen war, denn die Straßen wären permanent verstopft.
Cassidy, der eine sehr überschminkte Person über den Bahnsteig zum Hintereingang schleifte, meinte: „Keine Ahnung, sicher so ein Wannabe-Joker, von denen gibt es mittlerweile einen Haufen. Wen kümmert‘s?“
„Fledermäuse und Cops, mein Freund“, lachte Dean, der bereitwillig die Tür entriegelte. Die beiden Wächter bugsierten die Harlekinsgestalt ins Innere der tristen Einrichtung, welche die Endstation für so viele Unholde darstellte. „Sag mal – wie war dein Urlaub in der Schweiz?“
„Überall stehen da Berge rum, man sieht sie an einem klaren Tag sogar von Zürich“, kommentierte Cassidy trocken. „Die Schokolade ist dafür ganz okay.“
Dean grummelte. „Du solltest echt mal auf deine Figur achten, Mann!“
„Ach halt die Klappe!“, grollte der korpulente Wächter.
Sogleich brach die Gefangene in einer Tirade aus: „Leute, mehr Pathos bitte, ich werde gerade für mein Leben weggeschlossen! Es ist eine Frechheit, wie ihr euch hier aufführt, als wäre das irgendein Comic, in dem sich Wächter nur über dies und das unterhalten, weil sie Nebenfiguren sind, die sowieso draufgehen. Denkt bitte daran, ich darf mich für die nächsten Jahrzehnte in meiner Zelle an dieses oberflächliche Gelaber erinnern, also macht euren Job gefälligst richtig, ja?“
Für einen Augenblick herrschte betroffene Stille, schließlich entgegnete Cassidy kleinlaut: „Okay, sorry.“
Stumm marschierten sie weiter durch die Anstalt, das Klackern ihrer Uniformstiefel und der hohen Absätze der Schurkin waren das einzige Geräusch, welche das Knarren im Gebälk und das Tropfen von Wasser begleiteten. Dean kam nicht umhin, zu rätseln, was für eine Person sie da vor sich hatten, normalerweise wurden sie als Aufseher beschimpft, bespuckt oder ihnen wurde ihr gewaltsames Ableben in der erdenklichst farbenfrohsten Sprache angedroht. Wiederum waren kriminelle Wahnsinnige nicht unbedingt dafür bekannt, sehr geradlinig vorzugehen, also war es wohl lediglich eine Frage der Zeit gewesen, bis mal jemand weder hämisch spottete, noch drohte. Cassidy hatte offenbar wesentlich weniger Hemmungen, weiterzusprechen. „Was hast denn du ausgefressen?“
„Versucht, die Stadt hochzujagen, wie fast alle hier“, sagte sie schulterzuckend. „Bislang erfolglos.“
Dean ächzte, er war von ihr nun doch enttäuscht, hätte sich bedeutend mehr Fantasie gewünscht. Selbst in einer Anstalt voller krimineller Wahnsinniger kehrte früher oder später die Monotonie ein.
„Hab dich nicht so“, schmollte sie. „Man kann dir ja auf weite Distanz ansehen, wie schlecht du die Idee findest.“
„Schon, bloß … Wie soll ich das ausdrücken?“ Nach kurzem Zögern erläuterte der Wächter: „Die Hälfte von allen hier hatte genau dieselben Einfall. Irgendwie hätte ich dir mehr zugetraut.“
Sie kicherte. „Wie was – Weltherrschaftspläne? So wahnsinnig bin ich nun auch nicht!“
Cassidy grunzte sarkastisch: „Klar.“
„Halt, halt, halt, haaaaalt“, rief die Gefangene, war stehen geblieben und hatte es in der Tat geschafft, die kleine Gruppe zum Halten zu bringen. Sie blitzte Dean herausfordernd an: „Wenn du so klug bist, was hättest du denn gemacht?“
„Na, ganz einfach: Etwas, das weniger vollkommen verrückt ist! Wieso willst du die verdammte Stadt hochjagen? Raub eine Bank aus und setz dich mit den Millionen irgendwohin ab, wo es ruhig ist! Bei all den Spinnern da draußen wärst du die geringste Priorität und könntest problemlos entkommen. Aber eben, hättest du dir sowas überlegt, wärst du keiner der unzähligen Fälle, die in Arkham landen.“ Damit gab er ihr einen sanften Schubser und die Prozession setzte sich erneut in Bewegung. „Für dich ist es sowieso zu spät.“
„So schnell, wie du zu dieser Geschichte gekommen bist, hast du dir darüber bereits häufiger Gedanken gemacht, oder?“ Sie war nicht so dumm, wie es sich für einen dieser kriminellen Scherzkekse gehörte, bemerkte Dean mit Respekt. Cassidy hatte sie längst ausgeblendet und tagträumte vor sich hin. Einem Impuls folgend, nickte Dean und auf ihrer Miene breitete sich ein schauriges Grinsen aus, als sie sich erkundigte: „Du und ich, Ausbruch, Bankraub, jetzt?“
„Nein, danke“, gluckste Dean. „Wenn schon, dann würde ich das alleine durchziehen, ich brauche keine Spinner aus der Irrenanstalt an meiner Seite.“
„Was hält dich davon ab?“, drängte sie weiter. „Genau, Selbstkontrolle. Ohne jemanden wie mich würdest du es nie tun.“
„Mit dir erst recht nicht“, knurrte Dean, nun bereuend, in einem temporären Moment der Umnachtung dieser Kuckucksnest-Person seine geheimste Phantasie verraten zu haben. „So ein Blödsinn.“
Statt eine Antwort zu hören, bekam Dean einen heftigen Schlag in den Bauch versetzt, wider Erwarten nicht von der Gefangenen, sondern von seinem Kameraden. Mit einem erstaunten Aufstöhnen ging er in die Knie, als Cassidy den Pin einer der zylindrischen Tränengas-Granaten an seinem Gürtel herauszog und die Handschellen der Gefangenen aufschloss. „Okay, ich bin dabei – tun wir es!“
Hustend und weinend, gegen das beißende Brennen im Hals ankämpfend, blieb Dean zurück und keuchte: „Das war mein Plan, ihr Drecksäcke!“

Blitze zuckten über den Himmel und der Regen prasselte in schweren Tropfen auf die Anstalt nieder, als Dean nach einem Monat Suspendierung nach Arkham zurückkehrte und durch das schwere Tor trat. Er konnte froh sein, hatten seine Vorgesetzten ihn nicht gefeuert. Er war auf den Aufnahmen der Überwachungskameras zu sehen, wie er erst einer Kriminellen erklärte, welches Verbrechen sie verüben sollte und sich dann zu allem Übel mit seinem eigenen Tränengas überwältigen ließ. Kein guter, geschweige denn löblicher Eintrag in seine Personalakte, soviel war klar.
Mit gedrückter Stimmung stand Dean auf dem Bahnsteig und wartete auf das Eintreffen des Gefangenentransports. Wagen für Wagen rollte mit kreischenden Bremsen an ihm vorbei, während der Wächter sein Leben, seinen Job und ganz besonders seine vermaledeit große Klappe verfluchte, die ihn in diese Lage gebracht hatte. Einige Unflätigkeiten vor sich hin brummend, riss er das schwere Tor des letzten Waggons auf und erstarrte. Das durfte doch nicht wahr sein, dachte er sich – da war sie wieder, diese Clownsvisage, und lächelte ihn an wie ein junges Mädchen. „Hey, hast du mich vermisst?“
„Ha, sie haben dich tatsächlich beim Bankraub erwischt“, spottete Dean. Das Karma zeigte zumindest ein wenig Fairness, tröstete er sich.
Amüsiert ließ die Gefangene seine Blase zerplatzen. „Nein, ich bin zurückgekommen, weil ich mir nach dem Bankraub endlich richtige Atombomben leisten konnte. Sorry, ich habe ehrlich versucht, deinen Rat umzusetzen aber das war so la-ha-haaangweilig.“ Das letzte Wort dehnte sie schier unendlich in die Länge und verdrehte dabei die Augen.
„Dann ist Cassidy wohl der einzige, der bei dieser Sache profitiert hat“, murrte Dean. Eigentlich gönnte er es dem Kameraden ja, wäre er nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
„Nicht wirklich“, lachte die gescheiterte Stadtzerstörerin. „Er hat sich beim Test auf die erste Bombe gesetzt, weil er sie für einen Stein gehalten hat. Er war ein bisschen …“ Sie senkte verschwörerisch die Stimme. „… du weißt schon, kuckuck!“
Heimlich musste Dean sich eingestehen, dass er es den ganzen letzten Monat über bereut hatte, seinen Plan nicht durgezogen zu haben – bis jetzt, da ihm wieder einfiel: Am Ende siegte Gut stets über Blöde.

Autorin: Sarah
Setting: Arkham
Clues: Zug, Bahnsteig, Joker, Zürich, Tränengas
Für Setting und Clues zu dieser Story bedanken wir uns bei Klaus Neubauer. Wir hoffen, die heutige Geschichte hat euch gefallen. Teilt sie doch mit euren Freunden auf den Social Media und schaut bei der Gelegenheit auf unseren Profilen vorbei, wo wir euch gerne mit mehr literarischer Unterhaltung begrüßen. Eine besondere Freude macht uns eure Unterstützung auf Patreon, die wir euch mit exklusiven Inhalten verdanken. Und wenn ihr möchtet, dass wir einen Beitrag nach euren Vorgaben verfassen, könnt ihr uns jederzeit Clues vorschlagen.

2 Gedanken zu „Der klassische Kampf zwischen Gut und Blöde“

    1. Hallo lieber Klaus,
      Hui das freut mich zu hören, pardon, lesen! Ich habe „Sucide Squad“ auch letzthin gesehen, denke, dass ich nicht zuletzt deswegen auf die eine oder andere anspielung kam ;)
      Wenn diese Story mal in den Podcast kommen sollte, wäre das natürlich eine, die dann von dir gelesen werden müsst :)
      Mit lieben Grüssen und den besten Wünschen
      Für die Clue Writer
      Sarah

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