Gaststory | Freitag

Akarisa sprang hinter den beiden Sicherheitsoffizieren aus dem Landungsboot und sah, wie sie Schallkanonen in den Himmel richteten. Gefolgt von Kapitän Tatamar und der wissenschaftlichen Kommandantin Nindamin gingen sie auf das ziemlich zerfetzte Raumschiffswrack zu, das fünfzig Meter vor ihnen auf dem blanken Felsen inmitten dieser Einöde lag.
Immer wieder sucht Akarisa den Himmel ab, doch er sah zum Glück nur Wolken und keine Riesendrachenvögel.
„Ich empfange immer noch ein ganz schwaches Signal, aber es kommt nicht aus dem Wrack“, berichtete Nindamin während sie die ungefähre Richtung auf ihrem Analysegerät überprüfte.
„Darum kümmern wir uns später!”, entschied Kapitän Tatamar. „Was machen die Vögel?”
„Nichts zu sehen, Kapitän”, meldete Heharsam.
Akarisa sah sich das Wrack an. Er konnte auf dem hinteren Teil noch den Namen des kleinen Schiffes menschlicher Bauart erkennen: Wilder Hüpfer.
„Die Vögel haben das Raumschiff regelrecht vom Himmel geholt”, bemerkte Nindamin, untersuchte dabei die aufgerissene und zum Teil verrostete Außenhülle.
„Die Menschen hatten keine Ahnung, was sie hier erwartet. Aber wenn der Transmitter von außerhalb des Wracks sendet, hat vielleicht jemand überlebt”, vermutete Heharsam.
„Ich gehe rein”, bot Akarisa an. Der Kapitän nickte und so zwängte sich der junge Toach durch einen engen Spalt ins Innere des Raumschiffs. Er brauchte nur eine Sekunde, um sich an das schwache Licht zu gewöhnen, das durch kleine Risse ins Innere fiel. Das Raumschiff wirkte, als habe hier auch nach dem Absturz jemand Gegenstände geräumt. Von der ursprünglichen Ausrüstung gab es nur noch wenige Überbleibsel, nur ein Schrank wirkte so, als stünde er noch an seiner ursprünglichen Position. Die breiten Schubladen daraus waren verschwunden.
„Was ist mit dem Cockpit?” verlangte Kapitän Tatamar zu wissen. Akarisa orientierte sich kurz und ging in das angrenzende Abteil.
„Der Positionstransmitter und ein paar Zellen der Notstromversorgung sind entfernt worden – mit improvisierten Werkzeugen”, meldete Akarisa.
„Haben Sie menschliche Überreste gefunden?”
„Nein!”
„Kommen Sie wieder heraus, Akarisa. Jetzt sollten wir erst mal die Quelle des Signals finden, bevor die Vögel auf uns aufmerksam werden”, bestimmte der Kapitän.
„In diese Richtung”, sagte Nindamin und zeigte nach Norden, wo die weite öde Ebene in Richtung eines höher gelegenen Plateaus lief. Akarisa konnte dort verschwommene Figuren am Himmel erkennen: Die Riesendrachenvögel hatten an der Kante der Hochebene ihre Nester gebaut.
„Heharsam, Sie bleiben hier, verteidigen unser Schiff! Ahanim, Sie geben uns Deckung”, befahl Kapitän Tatamar. Die beiden Sicherheitsoffiziere brachten als Bestätigung ihre Schallkanonen in Anschlag. Über den kargen Stein ging es ganz leicht bergab.
„Etwa zwei Kilometer”, schätzte Nindamin die Entfernung ab und sie gingen schweigend weiter.
„Ich habe schon früher von der Wilder Hüpfer gehört”, erinnerte sich später der Kapitän. “Vor dreiundvierzig Jahren sind drei junge Menschen mit diesem Schiff verschwunden. Einige behaupten, sie hätten das Schiff gestohlen, andere sagen, es habe einem der Väter der drei Jungen gehört. Man vermutete, dass die drei während ihres Studiums Urlaub machen wollten, dann ist etwas schief gelaufen.”
„Wie kann man nur auf die Idee kommen, mit so einem kleinen Schiff eine so weite Strecke zurückzulegen?”, kommentierte Akarisa.
„Von Armatin bis hier hin sind es mindestens vier Jahre!”, berechnete Nindamin.
„Achtung, Angriff!”, rief plötzlich Ahanim und schoss nur zwei Sekunden später mit der Schallkanone über die Köpfe der Toach hinweg auf die sich schnell nähernden Drachenvögel. Akarisa zählte vier dieser beeindruckenden Tiere und zog sicherheitshalber auch seine Waffe. Einer wurde getroffen, stieß schmerzerfüllt einen gellenden Schrei aus, während die anderen zunächst weiter auf das Landeteam zuflogen. Ein zweiter Schuss überzeugte einen weiteren, besser umzukehren, während sich jetzt erneut Vögel von der Hochebene aufmachten und auf die Eindringlinge zukamen.
„Ich brauche Hilfe!”, erklärte Ahanim.
„Zielt auf die Schwänze. Wir wollen sie nicht töten!”, befahl der Kapitän. Akarisa bestätigte und zielte mit seiner Waffe auf das nächste Tier. Er traf sein Ziel, der Drachenvogel zuckte zusammen, fiel wie ein Stein einige hundert Meter nach unten, bevor er sich fing und wieder zurückflog. Ihm folgten weitere Vögel, die vom Kapitän und Nindamin getroffen wurden, das Röhren der Schallkanone war in dem ganzen Vogellärm kaum noch zu hören. Dutzende der Raubtiere hatten sie in der Zwischenzeit eingekreist, die vier Toach hatten Probleme, sie alle in Schach zu halten.
„Hier gibt es eine Höhle!”, rief plötzlich Nindamin und deutete auf einen dunklen, von grünen Ranken umwucherten Eingang in einer Senke, kaum zwanzig Meter von ihnen entfernt.
„Alle da rein!” befahl Tatamar. Er hatte schließlich aufgegeben, nur auf die Schwänze der Vögel zu zielen. Sie hatten schon drei der Drachenvögel getötet, während sie sich zurückzogen, wurden die Kadaver von ihren eigenen Artgenossen umschwärmt.
Im Schein seiner Doppellampe sah Akarisa sofort, dass es keine Höhle sondern ein künstlich angelegt Tunnel war, in den sie sich geflüchtet hatten. Über ihnen gab es in regelmäßigen Abständen Schlitze zwischen grauen Steinplatten, durch die wenig Licht fiel. Die ebenfalls eindringenden Ranken waren beschnitten worden.
„Gehen wir!”, befahl der Kapitän. Sie mussten sich in dem niedrigen, engen Tunnel ducken. Zwei Reihen übereinander versetzter Steinblöcke bildeten lückenlose Wände. Akarisa bemerkte, dass jeweils zwei Steinplatten gegeneinandergestellt einen Abschnitt der Decke bildeten. Hin und wieder schienen die Platten porös zu sein oder hatten Risse. Woraus sie bestanden, konnte Akarisa nicht bestimmen. Richtiger Stein schien es auf jeden Fall nicht zu sein.
Schließlich endete der Tunnel an einem Vorhang, der aus zwei gewaltigen Schwanzfedern der Riesendrachenvögel bestand. Ahanim trat als erstes aus dem Tunnel.
„Unglaublich!”, sagte er, zwei Sekunden später konnte Akarisa schon selber sehen, was er meinte: Sie standen in einem Gebäude, das ganz aus diesem seltsamen Stein hergestellt worden war. Es war an der höchsten Stelle vielleicht knapp vier Meter hoch, hatte einen Durchmesser von acht Metern. In der Mitte stand als zentraler Balken ein Oberschenkelknochen von einem Drachenvogel, getrocknete Ranken liefen von dessen Spitze zu der runden, aus Steinen geschichteten Mauer. Das Dach war mit dünnen Platten aus Stein gedeckt, zwischen Mauer und Dach fiel Licht durch schmale Schlitze in das Haus.
„Hier wohnt ein Mensch!”, Nindamin deutete begeistert auf die Einrichtung: Einige Teile schienen aus der Wilder Hüpfer zu stammen, andere waren selbst gebaut worden. Die Wohnung wirkte ordentlich und aufgeräumt.
Akarisa sah durch einen der Durchgänge nach draußen. Hier gab es keine wild wuchernden Ranken, dafür einen großen, gefegten Platz, auf dem er einen großen Stapel von überrankten Steinen sehen konnte. Früchte wuchsen daran, so groß wie sein Kopf, mit grüner ledriger Haut und roten, fleischig wirkende Haken. So sahen also die Früchte dieser seltsamen Ranken aus, erkannte Akarisa.
„Hier gibt es Nahrungsmittel”, berichtete er den anderen.
„Da kommt was durch den zweiten Tunnel!”, flüsterte plötzlich Ahanim. Sofort suchten alle Deckung. Akarisa kroch wieder in den Tunnel, durch den sie gekommen waren, lugte zwischen den Federn hindurch. Er hörte schwere Schritte und dann etwas, das ganz entfernt an Gesang erinnerte. Akarisa fragte sich, ob er jetzt die Waffe oder das Analysegerät ziehen sollte. Sicherlich wäre der Mensch – wenn es denn einer war – auch bewaffnet. Wie sonst hätte er hier überleben können?
Dann öffneten sich die Federn auf der anderen Seite und ein Mensch kletterte unbekümmert in den Raum. Er trug nur eine Hose aus Fell, seine Haare waren wild und lang, er hatte einen Bart, seine Haut war dunkel geworden. Er hatte sich kleine Steinplatten unter die Sohlen gebunden, wodurch er schon auf weite Entfernung zu hören war. Während sich der Mann aufrichtete, kam Kapitän Tatamar aus seiner Deckung.
„Entschuldigen Sie unser Eindringen …” begann er vorsichtig und der Mensch schrie erschrocken auf, machte einen großen Satz nach hinten und fiel dabei auf den Rücken.
„Ein Toach!”, rief er, als er sich wieder etwas gefasst hatte, ließ sich von Tatamar und Ahanim dankbar auf die Beine helfen. Außer sich vor Freude schüttelte er dem Kapitän die Hand.
„Ich bin Avid Deroh”, rief er und sah mit seinen schlechten Zähnen grinsend von einem zum anderen Toach. „Habt ihr meinen Transmitter endlich gefunden?”, freute er sich endlich gerettet zu werden.
„Ja, er hat uns direkt zu Ihnen geführt. Vom Orbit aus war Ihr … Haus nicht zu erkennen.”
„Gute Tarnung, was? Alles wegen der Drachenvögel. Diese Stachelgurken wachsen sehr schnell, wenn man sie gut düngt“, sprudelte es aus ihm heraus während er fröhlich auf die Ranken in den Beeten vor dem Haus deutete. „Mein Haus ist vor den Vögeln sicher, aber vor den Gurken muss ich es immer wieder retten!”
„Gibt es noch weitere Überlebende?”, fragte Tatamar weiter.
„Nein. Nein, Koll und Sinam wurden von den Vögeln gefressen”, erinnerte er sich traurig. “Die Vögel haben uns noch in der Luft angegriffen. Hey, haben die Viecher nicht auch Euer Schiff angegriffen?”, überlegte er dann erschrocken.
„Wir verteidigen uns mit Schallkanonen”, informierte ihn Ahanim.
„Die hätten wir damals gut brauchen können. Die Vögel kamen immer näher …”, erinnerte sich der Gestrandete. Akarisa erkannte, dass mit der Erinnerung auch die Angst zurückkam. Er beschloss, das Thema zu wechseln.
„Und das hier haben Sie alles selbst gebaut?”
„Ja!”, rief Deroh, sofort wieder begeistert. „Ich hatte ja fast vierzig Jahre Zeit! Ich habe Häuser gebaut, mehrfach schon, bis ich herausgefunden habe, wie ich mit den Gurken klar komme. Dann habe ich meine Gewächshäuser gebaut, auf denen die Gurken wachsen können. Es gibt einen Tunnel bis fast zur Wilder Hüpfer, durch den ich die ganze Ausrüstung geholt habe. Und dann noch die Tunnel zum Bach, zum Knochenfeld und natürlich rüber zur Klippe!”
„Woher haben Sie diese Steine?”, wollte jetzt Nindamin wissen. Da lachte Avid Deroh laut auf und schlug sich vor Freude auf die nackten Schenkel.
„Die habe ich selbst gemacht! Ich nahm eine alte Schublade, befüllte sie, stürzte sie auf den nackten Stein in die Sonne und ließ alles trocknen. Und so bekomme ich diese Steine: Fest und doch leicht! Sie bestehen nur aus Vogelkacke! Die Drachenvögel machen einen großen Bogen um ihre eigenen Exkremente. Die Stachelgurken wachsen aber nur darauf und sehen Sie diese Felle?”, fragte er und deutete auf seine Hose. “Die sind von Gurkenräubern. Ich habe sie so genannt! Nagetiere, fast einen Meter lang. Schmecken scheußlich, liefern aber Fell. Ich rette mein Haus vor den Gurken, die Gurken vor den Nagern und die Gurken ernähren mich! So läuft das hier! Habt ihr auch Nahrung für Menschen dabei? Ich kann keine Stachelgurken mehr sehen!“
„Kapitän Tatamar, es nähern sich einige Vögel dem Landungsboot”, meldete plötzlich die Stimme von Heharsam über einen Funkkanal.
„Wir müssen zurück! Kommen Sie mit!”, bat Tatamar.
„Sofort, nur einen Moment!”, rief Deroh, holte ein zerfleddertes Büchlein aus einer verbeulten Dose, dann krabbelten Sie alle in den Tunnel.
„Ich habe jeden Tag der letzten vierzig Jahre in meiner Chronik festgehalten!”, rühmte er sich. “Heute ist mein Lieblingstag: Der Freitag!”

Autor: Mathias Leopold
Setting: Einöde
Clues: Überbleibsel, Fell, Transmitter, Schrank, Vogelkacke
Mehr über Mathias Leopold sowie alle Links zu seinen Seiten findet ihr auf seiner Gastautorenseite. Wir hoffen, die heutige Geschichte hat euch gefallen. Teilt sie doch mit euren Freunden auf den Social Media und schaut bei der Gelegenheit auf unseren Profilen vorbei, wo wir euch gerne mit mehr literarischer Unterhaltung begrüßen. Eine besondere Freude macht uns eure Unterstützung auf Patreon, die wir euch mit exklusiven Inhalten verdanken. Und wenn ihr möchtet, dass wir einen Beitrag nach euren Vorgaben verfassen, könnt ihr uns jederzeit Clues vorschlagen.

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