Der Weltengenerator

Diese Story ist auch als Hörgeschichte und in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.

„Soso, was hat der große Weltengenerator heute Abend vor?“ Charlie legte ihre in solidem Schuhwerk gekleideten Füße auf die Konsole, konnte noch gerade verhindern, mit dem Bürostuhl wegzurollen und wandte sich Professor Yi zu. Dieser fand den Running Gag der Sicherheitsexpertin nicht sonderlich lustig, brummte unverständlich vor sich hin und ließ sich auf der Couch in der Aufenthaltsecke des Bunkers nieder. „Es ist Terraforming, Charlie, nicht ein Videospiel. Hochkomplexe biochemische sowie physikalische Prozesse werden erfordert, um aus einem toten Planeten ohne Atmosphäre ein neues Zuhause für Menschen zu kreieren.“
Die erprobte Kämpferin verdrehte seufzend die Augen. „Ach, komm, etwas Humor bitte. Außerdem nennen sie dich beim Konsortium so. Du schaffst zwei bewohnbare Welten pro Jahr, das ist mehr als irgendein anderer.“
Es fiel dem Professor schwer, seiner derzeit einzigen Gesellschaft böse zu sein, immerhin konnte sie ziemlich unterhaltsam sein, wenn sie ihn mit diesem dämlichen Spitznamen verschonte. Normalerweise wären sie ein größeres Team, da der Terraforming-Prozess bereits abgeschlossen war, waren die anderen Teammitglieder allerdings weitergezogen, sodass sie beide die einzigen menschlichen Wesen auf diesem Planeten waren. Sie blieben da, um die Roboter dabei zu überwachen, das Equipment abzubauen und schließlich die Welt an die Regierung zu übergeben. „Ich schaffe nur so viel, weil ich hart arbeite, aber den eigentlichen Job erledigen ja die Maschinen“, relativierte er. „Ich sitze lediglich im Bunker und befehle sie herum. Wieso da jeder sich aufführt, als wäre ich der große Weltengenerator ist mir rätselhaft.“
„Ich möchte auch mal wieder hart arbeiten“, murrte Charlie. „Doch nein, man stellt eine dekorierte Offizierin ein, einen verdammten Terraforming-Bunker zu beschützen. Außer zu trainieren und in den aufgeforsteten Ecken deiner Welt zu spazieren, kann ich mich kaum nützlich machen.“
„Du wirst dafür besser bezahlt als beim Militär“, warf der Professor ein. „Es sind nun mal wertvolle Gerätschaften sowie Maschinen, zudem sitzen wir auf einer Menge Firmengeheimnissen. Momentan brauche ich deine Hilfe nicht, die Technik läuft bestens, also geh ruhig auf einen deiner Spaziergänge. Die Wetterkontrollgeräte funktionieren, ich kann dir eine laue, trockene Nacht anbieten.“
„Super, das werde ich!“ Charlie stieß sich von der Konsole ab und sprang mit frischer Motivation auf. Mit ihren klobigen Schuhen und den schwarzen Kampfmontur-Hosen sah sie in dieser Hightech-Anlage ohnehin wie ein Fremdkörper aus, dachte der Professor. Im Wald passte der Haudegen besser ins Bild. Ihr Com an den Gürtel steckend, die Ladung ihrer Strahlenwaffe prüfend, griff sie nach kurzer Überlegung die Machete, ehe sie aus der Tür trat. „Falls die Lianen wieder gewachsen sind“, erklärte sie auf die Klinge deutend. „Ruf mich an, falls du was brauchst.“

Der Nachthimmel über der unbesiedelten, jungen Welt war unbeschreiblich, kein einziger Lichtstrahl verdeckte Sterne und Milchstraße, der Abenteurerin bot sich ein wunderschöner Ausblick. Von dem grasigen Hügel, auf dem sie sich hingelegt hatte, glaubte sie, gar die Rundung des Horizonts erkennen zu können. Eine Sternschnuppe schoss vorbei, dann eine weitere. Kaum auszumalen, wie dieser Planet vor einem Jahr eine tote Einöde gewesen war, ohne jedes Leben oder atembare Luft, in welcher dieser Felsbrocken nicht in der Atmosphäre verglüht, sondern in den Boden eingeschlagen wäre. Die Menschheit war weit gekommen, hatte stetig dazugelernt, von der Elektrizität bis hin zum Reisen über der Lichtgeschwindigkeit, sie hatte sich an den Punkt gebracht, an dem sie jetzt waren. Selbst wenn sie manchmal die Action aus ihren Militärtagen vermisste, war Charlie dennoch froh, Teil eines solch wunderbaren Unterfangens zu sein. Zur Wissenschaftlerin hätte sie niemals das Zeug gehabt. Nun, zumindest war ihre Tätigkeit ebenfalls wertvoll und kam mit dem Bonus, zusehen zu können, wie neue Welten entstanden. „Ein malerischer Ort“, flüsterte sie, sich erhebend.
Das Com knackte, Professor Yis plärrende Stimme zerstörte die Idylle. „Charlie, ein unbekanntes Schiff nähert sich. Ich wäre froh, wenn du zurückkehrst.“
Rasch bestätigte die Sicherheitsexpertin und hastete los. Landende Sternenschiffe waren ein gängiges Ereignis, bloß gehörten sie üblicherweise zu ihrem Industriekonsortium und lieferten Gerätschaften. Der unbekannte Besuch konnte alles sein, von einem neugierigen Reisenden bis hin zu einer Bedrohung – so oder so würde sie heute endlich wieder für ihr Geld arbeiten können.

Fünf Monate später

„Ich weiß ja nicht, TRJ-N5783 ist ein blöder Name für einen Planeten, das merkt sich niemand“, lachte Hank, als er die letzte Ausrüstungskiste auf den betonierten Boden des Bunkers stellte und sich dann mit einem Seufzen darauf setzte. „Wie lange sind wir in dieser luftdichten Sardinenbüchse von einem Bunker gefangen?“
Professor Yi verzog kurz die Mundwinkel, zu sehr erinnerte ihn die militärisch-lapidare Haltung und die Gestik des Sicherheitsmannes an dessen Vorgängerin. „Noch gut zwei Wochen“, antwortete er dem Neuen, bevor er ausführte: „Die Maschinen müssen erst die Terraforming-Türme aufbauen und die ersten Schritte vorbereiten, ehe die Vegetation zur Sauerstoffproduktion angebaut werden kann. So lange gibt es ausschließlich im Bunker Luft, die Sie mit ihren Zigarren verpesten können, sobald wir eine Atmosphäre haben, werden diese Räume eine Nichtraucherzone.“ Der Professor bereute sogleich, harsch geklungen zu haben, es war einfach nicht sein Tag.
„Schon gut, sorry“, brummte Hank. „Wie wird dieser Klumpen heißen, wenn er einen richtigen Namen kriegt?“
Professor Yi gab einige Daten in eine Konsole ein. „Charlie.“
„Eine Welt mit einem menschlichen Namen? Hatte der große Weltengenerator keine Einfälle mehr oder was?“
„Ich bin …“ Der ältere Mann fasste sich an die Stirn, schüttelte murmelnd den Kopf, „wie auch immer“ und verschwand aus dem Kommandoraum in seine Quartiere. Hank fragte Quinn, einen von Yis Assistenten: „Was ist denn dem Weltengenerator über die Leber gekrochen?“
„Du solltest ihn nicht so nennen, das ärgert ihn“, begann der junge Wissenschaftler und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, die er dann auf seiner Konsole abstellte. Leiser fuhr er fort: „Deine Vorgängerin hieß Charlie und ist gestorben, als sie dem Prof das Leben gerettet hat.“
„Scheiße, was ist passiert?“ Hank wurde unruhig, er hatte diesen Security-Posten angenommen, weil er seine Ruhe haben wollte, Schlachtfelder hatte er für ein Leben genug gesehen. Dieser Gig sollte da vergleichsweise gemütlich sein, man musste nur ein paar Wissenschaftler unterhalten, zudem Lieferanten auf Waffen absuchen, zumindest hatte man ihm das gesagt.
„Keine Ahnung, Yi weigert sich darüber zu sprechen“, meinte Quinn schulterzuckend. „Man erzählt sich, jemand wollte ihn wegen seinen Fähigkeiten entführen, die feindlichen Regimen viel Geld wert sind. Das sind natürlich Gerüchte, sicher weiß ich bloß, dass Charlie die Gangster niedergemacht hat und dabei tödlich verwundet wurde.“ Der junge Mann im Laborkittel pausierte, wirkte trauernd. „Ruhe mit den Sternen.“
Quinn widmete sich wieder seiner Konsole, tippte eine letzte Eingabe, schnappte dann seine Tasse und stand auf. „Na ja. Das ist das Leben.“ Sich zum Gehen bereitmachend, fügte er hinzu: „Gute Nacht.“
„Nacht“, antwortete Hank und erhob sich ebenfalls. Als die automatische Tür hinter Quinn zugeglitten war, schlenderte er zu einer der Konsolen, machte es sich auf dem Bürostuhl bequem und starrte abwesend auf die Bilder der Außenkameras. Eine rotbraune, flache Einöde erstreckte sich in jede Richtung vom Bunker aus, in wenigen Wochen wäre genau dort eine Wiesenlandschaft, hatte er sich sagen lassen. Er war richtig gespannt darauf, zuzuschauen, wie Charlie sich zu einem bewohnbaren Planeten entwickelte, die ganze Urgeschichte der Erde im Zeitraffer durchlebte, die Evolution gar übersprang. „Charlie“, sinnierte er halblaut, ohne den Blick von den Displays abzuwenden, „sorry, hattest du Pech. Aber hey, welche Soldatin kann schon von sich behaupten, eine Welt sei nach ihr benannt worden?“
Vermutlich hätten sie sich gut verstanden, dachte sich Hank und zündete sich eine Zigarre an. Langsam begriff er, was es hieß, Teil von etwas derart bedeutsamen, wundervollen wie Terraforming zu sein; obwohl er selbst nicht Hand anlegte, er gehörte zu dem Team, das eine Welt für die Menschheit bewohnbar machte, eine Zukunft schaffte. Sollte er dabei tatsächlich umkommen, nun, so könnten seine Kinder höchstwahrscheinlich später irgendeinen Planeten namens Hank besuchen, das wohl größtmögliche Denkmal, das es für einen einfachen Soldaten je gäbe. Es sprach wirklich vieles dafür, für den Weltengenerator zu arbeiten und er war gespannt, wie Charlie aussehen würde.

Autorin: Sarah
Titelvorgabe: Der Weltengenerator
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