Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Maximilian MacGuffin war ein simpler junger Mann vom Lande. Er mochte es, wenn sein Essen vor Frittierfett troff, sein Garten spross und ab und an ein paar leckere Rüben in der Jahresernte waren. Heute war allerdings gar nichts simpel. Der Bürgermeister ihrer kleinen Siedlung, Edward Exposition, hatte ihn ins Rathaus gebeten, nicht aber aufs Volkszählungsbüro oder zur Viehmeldestelle, sondern in ein geheimes Kämmerchen, das hinter dem Sprechzimmer lag. Sein ganzes Leben hatte MacGuffin im Dorf verbracht und dabei nie etwas von dem Geheimraum gewusst, der vermutlich eine Besenkammer gewesen war und jetzt saß er dort auf einem umgekippten Waschzuber dem Bürgermeister gegenüber. Edward Exposition hatte seine Pfeife entfacht und in dem engen Raum mischte sich der Geruch von brennendem Tabak mit jenem seiner Käsefüße. Erst nach mehreren Minuten des Schweigens wurde es MacGuffin endlich zu bunt: „Wieso sind wir hier, Herr Bürgermeister?“
„Warum wohl? Wie am Anfang jeder Reise, mein Junge“, paffte Edward Exposition, „warten wir auf die Magierin.“
„Die … was?“ Entgeistert musterte MacGuffin sein Gegenüber. „Ich dachte, Magier seien seit einem Jahrtausend ausgestorben?“
„Bis auf ein paar wenige“, korrigierte der Bürgermeister. „Deshalb haben wir noch die Landebahn für Flugdrachen draußen beim Teich am Waldrand.“
„Da können Drachen landen?“ Nun verstand MacGuffin seine kleine Welt nicht mehr. „Ist das nicht der Abladeplatz für Kies?“
„Das auch, wir nutzen es für beides“, gluckste der Bürgermeister scheinbar unbeeindruckt und kam zurück zum ursprünglichen Thema. „Vertrau mir, mein Junge, Penelope Plothole ist die beste auf ihrem Gebiet.“
Die Wissbegier des Mannes war geweckt. „Und was kann sie? Dämonen heraufbeschwören? Raubende Ork-Horden zum Explodieren bringen?“
„Sie kann, was sie gerade können muss und von dem du zum Voraus nicht die geringste Ahnung gehabt hast, dass sie es kann. Sie taucht immer auf, wenn man glaubt, sie sei am anderen Ende der Welt. Oder anders gesagt, sie ist halt eine Magierin.“
Ehe MacGuffin eine Chance zum Reagieren gehabt hätte, hörte er ein lautes Knistern die Luft erfüllen und es roch nach Schwefel. „Was zum …“ setzte er an, da wurde die knarrende Tür geöffnet und eine weißhaarige Frau mit Zauberstock trat herein. „Hochgeschätzter Bürgermeister“, grüßte sie Edward Exposition und verneigte sich dann kurz vor MacGuffin, offenbar unwissend, wer er war. „Seid ihr soweit?“
„Natürlich, edle Magierin“, entgegnete der Würdenträger und bot ihr einen dritten umgekippten Waschzuber an, auf dem sie sich niederließ. Nachdem sie es sich umständlich bequem gemacht hatte, fragte sie: „Also gut, Bürgermeister – wo ist das MacGuffin?“
„Ich bin hier. Mein Name ist MacGuffin. Maximilian MacGuffin.“
„Hä?“ Penelope Plothole starrte ihn verwirrt an. „Das ergibt keinen Sinn.“
„Nein, nein, nein“, wandte der Bürgermeister ein. „Sie meint das MacGuffin, nicht dich, MacGuffin.“ Damit kramte er in einem Korb und brachte nach kurzem einen rubinrot glitzernden, faustgroßen Stein zum Vorschein. „Bitte, da ist es.“
„Ich bin ganz sicher MacGuffin, schon mein Ur-Großvater hieß …“, wollte MacGuffin erklären, bemerkte jedoch, wie ihn beide ignorierten, also verstummte er resigniert. Die Magierin nahm den Stein entgegen, hielt ihn noch und inspizierte das seltene Objekt von allen Seiten, ehe sie murmelte: „Ein echtes MacGuffin. Mit seinen außerordentlichen Kräften finden wir zweifelsohne den verschollenen, magischen Göttersock, mit dem wir den Ork-König des Nordens besiegen, bevor er ungesehen Schaden anrichtet. Jeder, der diesen Stock besitzt, verfügt über unbeschreibliche Macht.“
„Moment“, warf MacGuffin in die Runde. „Der Stein ist eine Karte zu einem Stock und heißt auch MacGuffin? Und viel wichtiger: Weshalb ist er in unserem Dorf?“
„Ja, MacGuffin“, antwortete der Bürgermeister. „Es gab einmal sieben MacGuffins, sechs wurden in vergangenen Äonen zerstört. Das ist das letzte Überlebende, ein antikes, magisches Ding, das den Weg zum Götterstock erleuchtet. Seit Jahrhunderten war es in dieser geheimen Kammer des Rathauses versteckt, nachdem dein Vorvater Merlin MacGuffin es hergebracht hat.“
MacGuffin verspürte mit einem Mal eine riesige Ehrfurcht für den Stein, der in den Händen der Magierin glühte. „Und wieso bin ich hier?“
Der Bürgermeister kratzte sich an der Nase. „Du bist die reine Seele, die den Stein tragen muss. Die Aufgabe, das MacGuffin zu behüten, liegt seit jeher bei der MacGuffin-Familie.“
MacGuffin bekam von den vielen neuen Informationen Kopfschmerzen, ginge das so weiter, würden sie ihn noch bitten, auf die Reise mitzugehen und …
„Das tun wir gerade, mein junger MacGuffin“, unterbrach die Magierin seinen Gedankengang. „Jemand muss das MacGuffin nutzen, um unsere magische Waffe zu finden – nur du kannst das tun.“
Entsetzt glotzte MacGuffin Penelope Plothole an. „Magier können Gedanken lesen? Das wusste ich nicht!“
„Das weiß kaum jemand“, erwiderte sie, ehe sie sich dem Bürgermeister zudrehte. „Wir sollten aufbrechen, um vor der Dunkelheit noch bis zum Anfang des zweiten Aktes zu kommen.“
MacGuffins Schädel drohte zu platzen, das war alles zu viel. „Halt mal – es gibt einen zweiten Akt?“
„Aber natürlich“, kicherte der Bürgermeister amüsiert. „Es gibt dreieinhalb Akte. Weshalb sollte unser Dorfbach ‚Erster Akt‘ heißen, gäbe es nirgendwo einen zweiten? Viele Gewässer in unseren Gefilden tragen den Namen ‚Akt‘, also haben wir sie durchnummeriert. Ihr werdet zur Quelle des zweiten Aktes reisen, das ist euer erster Zwischenhalt.“
MacGuffin atmete tief durch. Er hatte sich auf ein Leben voller Ruhe und Eintracht in seinem Dörfchen gefreut, obschon ihn die Vorstellung von einer Helden-Reise reizte. „Ich kann doch nicht einfach so gehen“, ereiferte er sich. „Mein Stall ist voller Kälber und die Mutterkuh gerade wieder trächtig. Ist keiner da, würde sie …“
„Ich schaue nach deinen Kühen, junger Mann“, versprach der Bürgermeister. „Wir alle hier im Dorf werden nach deinen geliebten Kühen schauen.“
„Zudem, wenn der Drache draußen auf der Landebahn nicht bewegt wird, beginnt er womöglich aus Langeweile das Vieh zu fressen“, ergänzte die Magierin mit einem Schulterzucken. „Also springen wir besser bald auf, sonst ist dein Grund zum Hierbleiben sowieso im Magen meines Reittiers.“
„Wir reiten auf einem Drachen?!“ MacGuffins Begeisterung war plötzlich kaum zu bremsen, niemand in ihrem Dorf hatte je eine der majestätischen Bestien gesehen, bloß Legenden am Kaminfeuer gelauscht. „Ich bin dabei!“
„Gut, dann brechen wir auf.“ Damit erhob sich Penelope Plothole und überreichte MacGuffin das MacGuffin. „Es ist deine Aufgabe, es bis zum dritten Akt zu tragen und uns den Weg zum Götterstock zu weisen.“
Bereitwillig nahm MacGuffin den Stein entgegen und betrachtete ihn achtungsvoll. Derweil flüsterte der Bürgermeister der Magierin zu: „Keiner der MacGuffins war je so rasch zu überzeugen. Sollten wir ihm vielleicht sagen, dass er nur der Bote und nicht der Auserwählte ist? Oder wie schlimm alles nach dem Anfang des zweiten Aktes wird?“