K-9, oder: Die Nadel im Heuhaufen

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Madison war am Mississippi-Delta, in der Nähe der texanischen Grenze aufgewachsen und so war es ihr leicht gefallen, sich an ihren neuen Einsatzort zu gewöhnen – sie hatte sich sogar auf die Versetzung gefreut, da sie dadurch endlich dem unerträglichen Tumult der verschwitzten Großstadt entkommen konnte. Die Basis war zwar noch immer im Aufbau und ließ, was die kleinen Freuden des Alltags anbetraf, noch einiges zu wünschen übrig, aber immerhin war für das Nötigste gesorgt und bis auf einige, kaum nennenswerte, Zwischenfälle war es seit Monaten nicht mehr zu ernsthaftem Feindkontakt gekommen. So hatte Madison genügend Zeit gefunden, sich mit ihrem neuen Partner bekannt zu machen, seine Eigenheiten kennenzulernen und nach wenigen Grundgehorsamsübungen absolvierten sie beide die obligatorischen Trainings- und Prüfungseinheiten mit vorbildlicher Effizienz. Dash war ein fünfjähriger Mischlingsrüde, dessen Aussehen an einen etwas zu groß geratenen Dachshund erinnerte und dessen struppiges Fell stets störrisch unter dem Einsatzgeschirr hervorlugte. Die K-9 Einheit hatte während des Krieges schnell lernen müssen, dass die großen Hunderassen für die neuen Herausforderungen nicht geeignet waren, denn obwohl sie mehr Kraft besaßen, waren sie nicht wendig genug um dem Feind auch im beengten Terrain entkommen zu können. Die Kartei der K-9 Einheit war voll mit kleinen, agilen Militärhunden, allesamt sorgfältig ausgewählt und ausgebildet und doch war der eigene Vierbeiner für jeden Hundeführer unersetzbar und mehr als nur ein Kriegskamerad.

Es war vier Uhr in der Früh gewesen und Madison hatte gerade erst ihren nervtötenden Wecker gegen die Wand geschleudert, als Leutnant Cohen sie aus dem Bett riss und ihr befahl, sich so schnell wie möglich mit ihrer vollen Ausrüstung auf dem Appellhof einzufinden. Eine der zivilen Skyhawks war vom Überwachungsradar verschwunden und da diese Maschinen von Freiwilligen geflogen wurden, deren Mitwirken zur Zeit unentbehrlich für die Luftversorgung der verbleibenden Bevölkerung mit Lebensmitteln war, legte die Armee großen Wert darauf, dass die Crew in Notfallsituationen schnelle Unterstützung erhielt. Natürlich wusste jeder, dass diese Rettungseinsätze nur eine Farce waren, denn bisher war noch nie jemand lebend geborgen worden, doch trotzdem schien diese riskante Geste die Bevölkerung besser bei Laune zu halten, als eine Extraration Kartoffeln.
Dies war Madisons dritte Mission dieser Art und obwohl einige Rookies im Team waren, fiel das Briefing kurz aus und selbst der Absprung über dem Einsatzgebiet verlief dieses Mal ohne weitere Probleme; sie hätte schwören können, dass Dash während dem Gleitflug eingeschlafen war. Nachdem Madison ihren Fallschirm routiniert verstaut und ihr GPS-Gerät kontrolliert hatte, dauerte es nicht lange, bis sie knöcheltief im stehenden Gewässer der Sumpflandschaft watete und ihre Kampfstiefel komplett durchweicht waren. Über das Funkgerät konnte sie hören, wie sich ihre Kameraden in der Ferne über die unwirklich anmutende und nur schwer begehbare Landschaft des Mangrovenwaldes beschwerten, doch sie störte sich nicht daran und kletterte zielstrebig über die fingerartig wuchernden Wurzeln, kämpfte sich gleichmütig durch schweren, schlammigen Boden und schwamm vorsichtig durch tiefere Wasserlöcher, nicht ohne vorher sicherzugehen, dass kein hungriger Sumpfbewohner auf sie lauerte. Ab und an hielt sie kurz inne und bewunderte still, wie elegant ihr vierbeiniger Gefährte durch das knorrige Unterholz raste und sie musste jedes Mal schmunzeln, wenn Dash sich nur widerwillig anschnallen ließ um die tiefen Stellen zu passieren; sein Wagemut kannte keine Grenzen und so wäre er am liebsten alleine durch die gefährlichen Gewässer geschwommen. Während des ganzen Marsches sprach sie ständig mit ihrem Begleiter. Wahrscheinlich störte sie ihn damit ein wenig beim Aufspüren der Fährte, aber dieser stetige Dialog war für die meisten Hundeführer zu einem zentralen Bestandteil der Partnerarbeit geworden und sie nahmen diesen kleinen Störfaktor deshalb bereitwillig in Kauf.

„Verdammt!“ Madison fühlte einen scharfen Schmerz an ihrer rechten Wade, als sie gegen ein altes, verrostetes Bettgestell stieß, doch da ihr schwarzer Kampfanzug ohnehin schon nass und schwer an ihr hing, konnte sie nicht sofort erkennen, ob sie blutete. „Maddy hier, ich brauche Fünf“, informierte sie ihre Teamkollegen knapp über ihren unfreiwilligen Zwischenstopp, bevor sie im Rucksack nach dem Verbandsmaterial suchte. Die Verletzung war nur geringfügig, aber sie wusste wie halsbrecherisch es sein konnte eine solche Fleischwunde im dreckigen Morast der Sumpflandschaft zu vernachlässigen. Gerade als die junge Hundeführerin wieder losmarschieren wollte, hörte sie ein seltsames Knacken durch ihr Funkgerät, gefolgt von einem langgezogenen, markerschütternden Schrei, welcher in ein grausiges Gurgeln überging. „James?“, rief sie erschrocken, doch auch nach mehreren Aufforderungen kam keine Antwort. „Scheiße!“ Nach und nach funkte sie alle Männer und Frauen in ihrer Gruppe an und als sie, immer nervöser werdend, auf ein Lebenszeichen wartete, rief sie Dash zu sich, welcher im Begriff war auf eine Blume zu urinieren, die sie nicht kannte, sie aber an einen Krokus erinnerte. „Maddy, sie sind hier“, flüsterte Mat gedämpft und blechern aus dem kleinen Lautsprecher des Funkgeräts. „Lauf!“ Madison schien es, als wäre die Welt für eine ewige Sekunde stehen geblieben. Sie hörte wie ihr Kamerad zur Strecke gebracht wurde und fragte sich, ob er sich durch die Warnung verraten hätte, doch bevor sie dazu kam in blanke Angst zu verfallen, bellte Dash, der nun angespannt neben ihr stand, sie spitz an und riss sie damit aus ihrer Starre. Flink entledigte sie sich ihres Fallschirmrucksacks und steckte lediglich ihr GPS, das Pfefferspray und den Funkempfänger in die eine der vielen aufgesetzten Taschen ihrer Weste und ihre AR-15 in Standardausführung baumelte zwischen ihren Schulterblättern, als sie Dash nachhetzte, der mit den geforderten dreissig Metern Abstand vor ihr her rannte und das Gelände erkundete.
Früher, bevor der Krieg die Grenzen verwischt hatte, war dieser surreale Flecken Erde in Cape York, Queensland ein Nationalpark gewesen, berühmt und beliebt bei Hobbyornithologen und Touristen; eine Tatsache die Madison jetzt zu Gute kam. Obwohl das GPS keine Straßen vermerkt hatte, führten sie die verwitterten Wegweiser auf einen einigermaßen befestigten Pfad, der es ihr erlaubte wesentlich schneller und sicherer voranzukommen. Nachdem Madison knappe fünfundvierzig Minuten durchgerannt war und weder mit dem Feind noch mit ihrem Team in Kontakt kam, signalisierte Dash mit einem kurzen Intervall-Bellen, dass er die Absturzstelle gefunden hatte. „Die Nadel im Heuhaufen!“ Madison blieb etwas ratlos stehen, versuchte erneut vergeblich, ihre Truppe über Funk zu erreichen; wahrscheinlich war sie die letzte die noch übrig geblieben war und es machte keinen Sinn, die Gefahr einzugehen entdeckt zu werden, nur um einen toten Piloten zu sichten, den sie ohnehin nicht würde bergen können. Dennoch entschied sie sich dazu, dem Ruf ihres Partners zu folgen und kurz darauf stieg sie, erschöpft und dankbar für die Laufpause, über verstreute Avionik. Dash saß mit der Rute wedelnd einige Meter vom abgerissenen Cockpit der Cessna 172 und zeigte mit einer angewinkelten Vorderhand den Leichenfund an. „Gut gemacht mein Junge.“ Sie klang müde und ihre Beinmuskulatur krampfte leicht, als sie den Mischling flattierte und ihm eine großzügige Belohnung aus ihrer Bauchtasche reichte. Nur zögernd näherte sie sich dem zertrümmerten Wrack um sich die Bescherung aus der Nähe anzusehen und sie hätte beinahe das Gleichgewicht auf dem rutschigen, verwurzelten Boden verloren, als plötzlich ein unverhofftes Rauschen und knackendes Gelächter aus ihrem Funkgerät dröhnte.

Weiße Lichtblitze zuckten vor ihren Augen und für kurze Zeit fand sie sich blind und gehörlos auf dem feuchten Boden wieder – sie hatten auf sie gewartet, vielleicht hatten sie die Maschine sogar nur deshalb vom Himmel geholt, um Soldaten in die Falle zu locken. Als sie ihre Sinne wiedererlangte musste sie mit ansehen, wie zwei der Angreifer auf Dash einprügelten. Wie in Trance, ganz so als gäbe es keinen Zweifel in ihr, griff sie ihr Funkgerät und betätigte den Auslöser für die Halsbanddetonatoren; sie konnte nicht zulassen, dass Dash, ihr Partner, ihr Freund auf dieselbe barbarische Weise zu Tode gefoltert werden würde, so wie es mit ihrem ersten Gefährten in Atlanta schon einmal geschehen war. Madison fühlte wie heiße Tränen über ihr Gesicht liefen und im Hintergrund konnte sie die fernen Stimmen ihrer Teamkollegen hören, die wirr durcheinander riefen. Sie lächelte als der fremde Soldat, befleckt vom Blut seiner Kameraden, vom Blut ihres einzigen Freundes, sich zu ihr herunterbeugte und ihr seine Waffe an die Schläfe hielt. Dash war ein guter Hund, er würde auf sie warten.

Autorin: Rahel
Setting: Sumpflandschaft
Clues: Kartei, Bettgestell, Pfefferspray, Avionik, Krokus
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3 Gedanken zu „K-9, oder: Die Nadel im Heuhaufen“

    1. Wer weiß, vielleicht eine Diamantnadel? Deshalb grabe ich so gern in fremden Texten. Ich bin gespannt auf deine weiteren Texte. :-)

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