Mrs. Barker-Clyde im windhundgrauen Mantel

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Mrs. Barker-Clyde betrat den schummrigen Raum, an der Leine führte sie ihren Afghanen. Sie beide, Hund wie Dame, konnten einen vorzüglichen Stammbaum vorweisen, bloß war ihre Herkunft weniger der Zucht und mehr dem Zufall geschuldet. Oder dem Unfall, wie ihre liebe Mutter, Gott hab‘ sie selig, die Umstände ihrer Empfängnis zu nennen pflegte. Die roten Lederhandschuhe saßen wie eine zweite Haut, so wie das Nubuk eines Kalbes eben zu sitzen hatte, bedeckte sie die zarten Finger einer Frau von Welt. Sie sahen sündhaft teuer aus, passend zum nadelfein karierten Kostüm, den alten Perlen und dem windhundgrauen Mantel mit Hut. Weder den Handschuhen, noch Mrs. Barker-Clyde war anzumerken, dass die Rente knapp, der verbleibende Atem knapper war. Gesellschaftlicher Abstieg hin oder her, so ein Papperlapapp, wer sich stolz trägt, wird mit Ehren empfangen, so ihre Devise. Ein wackeres Schneeglöckchen zierte das Knopfloch, der Hut geschmückt von zerfransten Federn. In kleinen Schrittchen tänzelte sie, der Afghane gleichmütig daneben, zur Theke.
„Ach“, hüstelt der karmesinrote Mund aus schmalen Lippen, „einen wunderschönen Abend, die werten Herrschaften.“ Was einst ein Blick aus Verwunderung war, ist heut‘ zum gewohnt lächelnden Nicken verkommen. Sie war ihr lieber, die Verwunderung, Aufmerksamkeit war Mrs. Barker-Clyde von Kinderstube an eine Wohltat. Man solle Nachsicht haben mit dem normalen Volk, verzeihen, wenn sie Klasse nicht sogleich erkannten, ja, sie gar verkannten. Ihr Vater war’s, der diese Lektion lehrte, Mutter, Gott hab‘ sie selig, hätt‘ nie so ordinär gesprochen.
„Guten Abend, gnäd’ge Mrs. Barker-Clyde, heute so früh?“, erkundigte sich Herr Struppenthal. Ein wahrlich struppiger Kauz, als wär er allein zur Verkörperung seines Namens erschaffen worden.
„Der Frühling ist erschienen, sehen sie, da“, schmeichelt sie dem Blümchen mit einer grazilen Geste. „Das ruft nach einem Feiertrunk. Vor dem Dinner.“
„Aha.“ Herr Glanz, dessen Name nun eher grausamer Spott, denn Omen war, stürzte einen Kurzen, ehe er fortfuhr: „Der Frühling also. Gestern war’s noch der Winter.“
„Aber Herr Glanz, zu feiern gibt es so vieles, das müssen Sie wissen“, schalt Mrs. Barker-Clyde den Sitznachbarn. Geduld mit dem Pöbel, das blieb ihr zu erlernen. „Ob Winter, Frühling, Sommer oder Herbst, jede Zeit hat ihre Feste. Ein Pfläumchen, wenn’s recht ist“, wandte sie sich kokett an Rosita, deren schwarze Locken sich, gehalten von billigem Tuch, frech im Nacken kräuselten. Dreckiges Zigeunerpack, so hätte ihre Mutter, Gott hab‘ sie selig, Rositas Schlag betitelt. Mrs. Barker-Clyde verzichtete auf den schmutzigen Ausdruck, bedachte die junge Bardame mit innigeren Worten. „Vielen Dank, liebste Rosie.“
Rosita lächelte, ein freundlich helles Zähneblecken, ging dann, mit wippendem Haar und wippenden Hüften zum Spirituosenschränkchen. „Na, Mrs. Barker-Clyde, blüht das Gärtchen prächtig?“, fragt das Mädchen voller aufrichtigem Interesse.
„Es sprießt samt und sonders eifrig, vermag bald die Tristesse noch zu vertreiben.“ Rosita schmunzelte, ähnlich wie Nonna es einst tat, als ihre Arbeit im Haus, statt auf den Feldern gewesen war. Mutter, Gott hab‘ sie selig, war gar erbost über den fehlenden Rock gewesen und hatte im Nu das um Maßen fülligere Kindermädchen im Verdacht gehabt. Mrs. Barker-Clyde war vom Mut verlassen worden, versäumte es, die Schuld rechtschaffen auf sich zu  nehmen und so war die Amme ihretwegen verstoßen worden. Die Felder sind ein wahrlich schwarzes Loch, erfüllt von Liedern, doch ohne Hoffnung, so erzählten Nonna, wie auch der Vater zerbrochenen Herzens auf der Kutschfahrt entlang der singenden Plantage zur Kirche. Mutter, Gott hab‘ sie selig, war der Gesang stets ein Dorn im Auge gewesen, ebenso die Hoffnung. „Liebste Rosie, lass mich dir das Schneeglöckchen schenken“, säuselte es hervor unter dem windhundgrauen Hut. „Es steht dir bestimmt fein.“ Der Afghane zupfte an der Leine, sodass das Blümchen aus Mrs. Barker-Clydes behandschuhten Fingern glitt und sacht auf die Dielen segelte. „Oh, so eine Schande“, rief sie aus „nun ist es kaputt.“
„Schon gut, Mrs. Barker-Clyde, Ihre Anwesenheit ist Schmuck genug, die Blüten sind nicht vonnöten“, strahlte Rosita keck, das Glas mit dem Pfläumchen vor ihr auf der Theke, die Schürze gebunden dicht unter dem Busen. Rosie, so schön und gütig, als wär’s die Nonna, dachte Mrs. Barker-Clyde bei sich, im Stillen. Der Glanz lachte rau, mitnichten still, sondern geradeheraus, wie es sich für einen wie ihn geziemte, vollends unerhört.
„Nun hör auf, Rosita“, krächzte er, gehässigen Hohn im Gehabe, „ermuntere die alte Schabrake nicht bei ihrem Getue. Das ist ja lächerlich.“ Beim Sprechen zappelte ein dreistes Härchen in seinem linken Nasenloch, Mrs. Barker-Clyde erstaunte das wenig, war Glanz nun eher ein schmuckloser Kerl. Rositas Lächeln wich keinen Deut, wurde sogar breiter, verzauberte Mrs. Barker-Clyde, entrückte ihre Gedanken, während die Sekunden verstrichen und Glanz‘ Gekeife versiegte.
„Mrs. Barker-Clyde, darf ich Richard verwöhnen?“, säuselte die Bardame verschwörerisch zwischen dem Kragen des windhundgrauen Mantels und dem dazugehörigen Hut. „Ein kleiner Happen nur.“
„Oh, aber sicher, er wird sich freuen.“ Das Karmesinrot verzog sich zu einem glücklichen Strich, Rosita streckte sich lang, genauso wie der Afghane, dessen Ohren gespitzt zum Biskuit zeigten.
„Sagen Sie mal, Mrs. Barker-Clyde“, holte Struppenthal aus, den Moment von Rositas Unachtsamkeit ausnutzend, „was macht eine wie Sie eigentlich in diesem Loch?“ Halb erschrocken, vollends durcheinander blieb die angesprochene Dame stumm und regungslos starrend sitzen. Mutter, Gott hab‘ sie selig, verbat sich solch unmanierliches Betragen, eine Dame hat stets zu konversieren, den Herrn ihrer Gegenwart vernünftig zu unterhalten, so tadelte sie, wenn Mrs. Barker-Clyde nicht Herr ihrer gesellschaftlichen Lage war. Das Kind ist behindert, es taugt zu nichts, schalt sie den Vater oft, er solle es endlich verheiraten, sonst verkaufe sie es auf dem Markt. Das Kauen des Afghanen stoppte abrupt, direkt nach dem Schlucken. „Bitte?“, flüsterte sie schließlich, um Antworten auf unausgesprochene Fragen bittend.
„Nun, wie soll ich es sagen“, begann Struppenthal beschämt zu Rosita blickend. „Es dünkt mich kurios, Sie jeden Abend hier anzutreffen.“
„Zum Teufel!“, spie Glanz jäh und zornig. „Struppi hier will wissen, was aus Ihrem Vermögen geworden ist.“
„Hugo!“ Trotz Rositas schmächtiger Statur schien sie über dem Unflätigen zu thronen, stand höher als der Afghane morgens am Balkongeländer. „Mrs. Barker-Clyde ist hier Gast, benimm dich gefälligst!“
„Pha! Dein hübsches Köpfchen ist wohl ein Löchersieb, dein Vater der dümmste Locher einer jeden Hure. Hast du vergessen, was die Raffgier ihrer Familie unserer Stadt angetan hat? Alle Fabriken haben sie veräußert, den Ruin beschworen und nun sitzt die Erbin da, das Geld auf Schnickschnack und Unsinn verprasst und säuft mit ihrem vermaledeiten Köter neben uns.“
„Das ist keineswegs ihr Verfehlen, das weißt du. Mrs. Barker-Clyde war nie in der Lage Verantwortung zu tragen. Sie ist nicht ganz bei Tro…“ Schweigen brach über die düstere Bar, kaum hatte Struppenthals Erklärung mitten im Satz geendet. Bloß der Afghane wagte es weiter zu hecheln, fröhlich von einem zweiten Häppchen zu träumen. Rosita legte die Hand auf den Ärmel des windhundgrauen Mantels, drückte den Arm darunter, sacht, eine Geste der Ermunterung zugedacht. Rosie, liebe, furchtlose, Rosie, frohlockte Mrs. Barker-Clydes Herz. Sie war so anders als Mutter, Gott hab‘ sie selig, vielmehr ein Abbild der Nonna.

Autorin: Rahel
Setting: Loch
Clues: Nasenloch, Schwarzes Loch, Locher, Löchersieb, Knopfloch
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