Karens ganz normaler Tag im Labor

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Karen lehnte sich auf dem Klo zurück und fixierte die weißlichen Paneele der aufgehängten Decke. Seit bei einer Zigarettenpause der Raucherraum explodiert war, weil einer ihrer Mitarbeiter volatile Substanzen dort gelagert hatte, hatte die junge Forscherin eine Kurzhaarfrisur und verbrachte ihre Pausen mit der E-Zigarette auf der Labortoilette. Leider war die Aussicht auf dem Klo nicht dieselbe, es gab bloß Fliesen, überall Fliesen, und die Tür mit dem Spalt darunter, durch den man die anderen pupsen hörte. Manchmal zog Karen in Betracht, in den Hof zu gehen, doch bei Regen war es ihr zu nass, also saß sie auf der Klobrille und surfte mit dem Handy im Netz oder ging ihre Social Media Profile durch. Derzeit war sie auf der Seite ihres Lieblings-Versandhauses und suchte nach High Heels. Kein leichtes Unterfangen, da die Bilder wegen des schlechten Empfangs unsäglich langsam luden und die immerselbe Produktbeschreibung „Damenschuh“ wenig hilfreich war. Frustriert klappte sie das Handycover zu und wollte gerade das Smartphone in der Handtasche verstauen, als die Tür aufging und zwei Personen eintraten. Karen ächzte leise, sie hatte sich wirklich auf eine gemütliche Pause gefreut, stattdessen tratschten nun ihre Mitarbeiterinnen vor der Klotür. Sie gingen nicht einmal in die Kabinen, sondern blieben vor dem Spiegel stehen – Karen verbrachte so viel Zeit auf dem Klo, sie konnte nur anhand der Schritte genau sagen, wo jemand stand.
„ … und du kannst dir nicht vorstellen, Benny hat tatsächlich die Box mit den Hygienebeuteln für einen Kotztütenspender gehalten“, lachte Mara. Mara, natürlich musste ausgerechnet Mara aufs Klo, dachte sich Karen. Mara aus dem Biowaffenlabor, die Karen ständig mit ihren Männergeschichten auf den Keks ging. Würde die nur die Hälfte der Anstrengungen, die sie in Beischlaf steckte, in ihre Arbeit investieren, wäre die Menschheit längst ausgerottet. Karen machte jede Wette, Mara tabellierte die Genitalien ihrer One-Night-Stands, um einen akkuraten Größenvergleich vorzunehmen.
Lisa, offenbar die zweite im Bunde, gluckste amüsiert und wusch sich die Hände. Lisa, die etwas Mysteriöses fürs Militär erforschte – radioaktive Eichhörnchen oder so. „Ach, hab ein bisschen Nachsicht mit dem. Wie alt ist er?“ Eigentlich war sie ganz okay, still und zugeknöpft, aber aus irgendeinem Grund verstand sie sich gut mit Mara. Ein komisches Duo, befand Karen.
„Letzte Woche zwölf geworden“, erklärte Mara. „Sollte ihm wohl noch was zum Geburtstag kaufen.“
Entsetzt starrte Karen an die Wand der Toilettenkabine – sie schlief mit einem Jüngling? Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass Mara über ihren Neffen sprach. Wahrscheinlich hätte Karen nicht so viel von ihrem neuen „Präparat C“ mit der Käsereibe zerkleinern und die Nase hochzeihen sollen, ihr Denken schien ihr langsamer als üblich. Sie musste nachher unbedingt diese mögliche Nebenwirkung des Stoffes notieren. Zwar ein kleiner Preis für die Resultate, die das Zeug erzielte, trotzdem Verbesserungspotential.
Lisa riss sie aus ihren Überlegungen zu Selbstversuchen, als sie ihre Stimme senkte und Mara fragte: „Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Es lässt mir keine Ruhe.“
„Klar.“ Mara klang, als platzte sie gleich vor Neugier, auf jeden Fall wirkte sie desinteressiert an der bedrückten Tonlage, mit der die Kameradin sprach. Nun war sogar Karens Interesse geweckt und sie lauschte gespannt.
„Also“, druckste Lisa und begann nach einer kurzen Pause von neuem: „Ich bin echt in der Scheiße. Mir sind meine Laborsubjekte … na ja, abhandengekommen.“
Mara brach in Gelächter aus. „Willst du sagen, irgendwo hier im Laborkomplex sind radioaktive Eichhörnchen unterwegs?“
„Nein, keine Eichhörnchen.“ Lisa hüstelte betreten. „Eichhörnchen nutzen wir schon lange nicht mehr, die waren ungeeignet für unser Projekt und haben ständig meine Erdnüsse geklaut. Habe sie im Wald ausgesetzt, die können da vor sich hin strahlen. Wir haben diverse andere Tiere ausprobiert, bis …“
„Bis was?“ Bohrte Mara nach und kicherte. „Komm schon, raus mit der Sprache, was ist es?“
Mittlerweile beugte sich Karen gespannt vor, etwas in Lisas Stimme verunsicherte sie. Dieser Tonfall, diese Unruhe war ihr völlig unbekannt. Nervös, dennoch lautlos trommelte sie mit den Fingern auf die Oberschenkel und versuchte sich nicht vorzustellen, gleich von einem mutierten Aal in die Pobacken gebissen zu werden. Lisa stöhnte: „Gott, was haben wir getan?!“
„Ja, das möchte ich auch wissen“, gab Mara ungeduldig und leicht entnervt zurück. „Also?“
„Menschen. Wir haben an Menschen experimentiert.“ Lisa unterdrückte ein Schluchzen und Karen sinnierte, weshalb sie sich sorgte. In ihrem Labor wurde ständig an Menschen experimentiert, ja, sie experimentierte selbst an sich wenn ihr langweilig war, sonst hätte sie kaum Superkräfte. Okay, ihre Telekinese war schwach, sie konnte damit bestenfalls ein Wattestäbchen durchs Bad schweben lassen, wenn es sie im Ohr juckte. Vielleicht sollte sie mehr Präparat C nehmen, das könnte das Leben spannender gestalten. Karen fiel auf, dass sie schon wieder den Faden verloren hatte, also schüttelte sie den Kopf und lauschte weiter. Eben gab Mara ein aufgebrachtes Schnauben von sich: „Na ja, wenn es Menschen sind, wirst du die leicht wiederfinden, mach einfach eine Lautsprecherdurchsage im ganzen Komplex und sag ihnen, sie sollen zurückkommen.“
„Das geht nicht“, klagte Lisa. „Sie sind … Zombies.“
„Shit“, zischte Mara und Karen vernahm, wie sie tief seufzte. Sie selbst machte sich noch wenig Sorgen, ihr Labor arbeitete an diversen geheimen Regierungsprojekten und war von vielen schiesswütigen Soldaten bewacht, die kämen sicher mit ein paar Zombies klar – bei den bisherigen drei Ausbrüchen von Zombieviren war das ja auch der Fall gewesen.
„Wir müssen sofort alle informieren“, sagte Mara bestimmt. „So können sie koordiniert eigenfangen werden.“
Lisa schnaufte resigniert. „Ich denke, du hast recht. Ich habe gehofft, das selbst zu erledigen, aber die Biester waren zu schnell.“
„Besser jetzt als später, wenn sie jemanden gebissen haben, sonst bist du womöglich deinen Job los. Sobald es Tote gibt, jammert die Chefetage rum, du weißt ja, wie es beim letzten Ausbruch war. Ein Riesen-Trallala um nichts.“
„Okay, ich bringe das hinter mich. Danke, du bist eine gute Freundin.“
Die beiden verließen die Labortoilette, wobei Mara der Kameradin Mut zuredete. Als sich die schwere automatische Tür hinter ihnen schloss, atmete Karen auf: „Endlich allein. Die haben nicht mal gepinkelt.“
Entschlossen erhob sich Karen und spülte. Von ein paar Zombies im Labor ließ sie sich nicht den Tag verderben. Als sie sich die Hände wusch, pfiff sie den neuesten Hit vor sich hin, der die letzten Wochen stets im Radio lief. Höchste Zeit, an ihrem Präparat C weiterzuarbeiten, bevor noch einer auf die Idee kam, das Gebäude abzuriegeln. Die Tür zum Gang glitt auf und Karen trat beschwingt hinaus, ehe sie ins Stocken kam. Sie runzelte die Stirn und fragte sich, wie viele Zombies Lisa überhaupt auf die Menschheit losgelassen hatte. Der ganze Flur war verwüstet, Deckenpaneele hingen hinunter und waren mit Blut verschmiert, mehrere Leichen lagen auf dem Boden und aus dem nächsten Trakt hallten Schreie durch das Gebäude. Karen wandte sich um und murmelte beeindruckt: „Wow, das ist ja mal eine tolle Toilettentür, total schalldicht. Ich habe gar nichts davon mitbekommen.“ Schließlich besann sie sich einer besseren: Sie musste unbedingt in ihr Labor, wo sie ihr Präparat C lagerte, mit Superkräften kämpfte es sich besser gegen Zombies. Dazu noch ein Schwert und eine Maschinenpistole, das würde sicher helfen, sofern sie den Filmen und Games glauben konnte. Immerhin könnte sie die Sportstunde mit ihrem Trainier für heute ausfallen lassen, entweder wäre sie bis dann tot oder hätte genug Bewegung beim Zombieschlachten bekommen. „Na toll, zum Arbeiten komme ich wohl nicht mehr.“ Fatalistisch zuckte Karen mit den Schultern und schlenderte in Richtung ihres Labors davon.

Autorin: Sarah
Setting: Labortoilette
Clues: Käsereibe, Jüngling, Damenschuh, Größenvergleich, Kotztütenspender
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