Katzenjammer

Du lehnst dich mit dem Hintern gegen die Küchenzeile beim Waffeleisen und ächzt: „Das war eine saudumme Idee.“ Es ist dir ein Rätsel, wie Ashley es geschafft hat, dich zu der Partytour zu überreden. „Völliger Schwachsinn“, klönst du weiter und reibst dir über die Augenlider, bis grau-weißes Konfetti durch die Dunkelheit tanzt und die Umrisse deiner Katze komplett in Statik verschwinden. Du kannst dich nicht entsinnen, wann du das letzte Mal eine Nacht außerhalb deiner Wohnung durchzecht hast, und Nachtclubs kennst du eigentlich ausschließlich als Hintergrundkulisse für deine Abenteuer als digitaler Auftragsmörder. „Ich bin zu alt für den Scheiß.“ Ein Klischee, sicher, dennoch die Wahrheit, und je mehr Kerzen deine Mutter auf deine hellblauen Geburtstagstorten steckt, desto weniger Interesse hast du daran, gegen deine Persönlichkeit anzukämpfen. Ja, du genießt es, dich endlich von den Erwartungen anderer emanzipiert zu haben und in deine Fantasiewelten zu verschwinden, mit denen du durch den Controller verbunden wirst. Und der vergangene Abend, an dem du dich vom Enthusiasmus deiner Freundin hast überrumpeln lassen, gibt dir Recht. „Nie wieder!“, posaunst du entschlossen in die Totenstille hinein und nuschelst dann: „Essen.“ Du stößt dich ab, starrst sekundenlang ins Leere und wartest darauf, dass Peter so verschlafen wie verfressen zu dir trottet, um nach Leckerchen zu betteln. „Essen!“, probierst du es erneut, diesmal in seine Richtung. Doch statt sich zu freuen, fährt der Kater zusammen, macht einen Buckel und verkriecht sich unter den Esstisch. Das Tier verhält sich seltsam, oder sind es deine ungewöhnlich flapsigen Bewegungen, die es verstören? Es ist einige Jahre her, seit du getrunken hast, Alkohol konsumierst du normalerweise lediglich in Kleinstmengen im Kaffeegebäck. Die drei Gläser White North Ukrainians und das brennende Eisteegesöff, das man dir spendierte, waren definitiv eine Ausnahme. „Essen!“ Du wendest dich um, streckst dich und fingerst unbeholfen am Kühlschrankgriff herum. „Verflixter Mist“, zeterst du eher gelangweilt denn wütend, bevor es dir gelingt, die Tür aufzuzerren. Ein kühler Hauch weht dir entgegen und du lächelst. Hitze ist nicht dein Freund und im Nebel der Trunkenheit fühlt sich die drückende Stadtluft noch ekliger an. „Waffeln“, kommentierst du so, als gäbst du dir selbst Befehle, dabei wünschst du dir bloß eine Anleitung für’s Waffelnmachen. Naja, ehrlicherweise nicht allein für das. Du hast dich so lange für den Seelenfrieden anderer verbogen, dass es dir manchmal schwerfällt, mit deiner ersehnten Freiheit klarzukommen. Wäre es nicht praktisch, eine innere Stimme zu haben, die dich leitet, dir verrät, was du in exakt diesem Moment brauchst? „Teig“ Konzentriert fischst du die Quetschflasche mit dem Waffelteig vom obersten Regal, spritzt die beige Pampe auf das geriffelte Eisen und wiederholst deinen vorherigen Geistesblitz: „Nie wieder!“ Du kramst das Handy aus der viel zu knapp bemessenen Jeanstasche und diktierst lallend: „He-hey Google. Erinnere mich daran, erinnere mich daran, nie wieder auf eine, nie wieder auf eine Party zu gehen.“
„Okay. Wann möchtest du erinnert werden?“, fragt die dir wohlvertraute Stimme eines elektronischen Nicht-Menschen.
„Ich, ähm. Jeden Tag um acht Uhr.“ Du grinst im Wissen darum, den Reminder bereits morgen vergessen zu haben und davon überrascht zu werden. Peter guckt zwischen den Stuhlbeinen hervor, beäugt dich skeptisch und passt eine Gelegenheit ab, ungesehen von dir unter die Eckbank zu huschen, um dort an der verfransten Teppichquaste zu kauen. Sein Halsbändchen mit der kleinen Glocke fehlt, vermutlich hat er es am Kratzbaum abgestreift. Er mag dich nicht, wenn du betrunken bist, und dir geht es genauso. Dein Intellekt rattert wie eine lose Murmel durch den Schädel, findet nirgends Halt.
„Okay. Ich erinnere dich täglich um acht Uhr Null Null daran, erinnere dich …“, zitiert dein Handy das Gestammel, da zuckst du von der Anrichte zurück und rümpfst die Nase. „… nie wieder auf eine, nie wieder auf eine Party zu gehen.“
„Igitt!“ Du schnüffelst angewidert an der Hand, mit der du dich abgestützt hast. Eine bräunliche Masse klebt zwischen deinem Zeige- und Mittelfinger. „Bwäh!“ Es sind die Reste von dem Bananenshake, respektive der vom kaputten Mixer verursachten Bananenexplosion, wegen der zu beinahe zu spät zur Arbeit erschienen wärst. Du knurrst Wortfetzen, die du selbst nicht verstehst, langst nach dem Küchenpapier, zerknüllst es und reibst damit eine Weile über die Sauerei, ehe du das Tuch hinter das Waffeleisen wirfst und fluchst: „Ach Mann, Kacke!“ Deine Flüche sind so zahm, wie du, du bist nie eine laute Person gewesen, unterdrückst selbst deine verärgert gemurmelten Tiraden, wenn deine Teamkollegen eine „Call of Duty“-Mission versauen. Deine Kindheit hast du in Büchern verbracht, deine Jugend hinter Brettspielen im Keller deines Kumpels. Rebellion ist für dich ein in sich gekehrter Akt, Stürme durchschreitest du still. Schließlich beugst du dich nach rechts zum Spülbecken, um dich zu waschen, indes tropft Teig aus dem Waffeleisen, eine Ecke des Haushaltpapiers fängt Feuer. Als du den verbrannten Geruch wahrnimmst, begutachtest du die kleinen Flämmchen, kicherst erst, bevor dir einfällt, was zu tun ist. Kaum hast du den Waschlappen über das drohende Desaster geworfen, dröhnt ein Scheppern vom Eingangsbereich in die Küche, was dich abermals amüsiert glucksen lässt. Tagsüber kommen sie für dein Zeug, schießt es dir durch den Kopf. Nachts kommen sie für dich. Irgendwo hast du das gelesen, womöglich in einem Podcast gehört, oder jemand hat es dir erzählt. Nachts kommen sie für dich! Du frierst ein, ein Panikklumpen formt sich in deiner Magengegend und du versuchst krampfhaft, die Schreckensbilder zu ignorieren, die sich dir aufdrängen wie ein unnützer NPC-Begleiter in einer ebenso unsinnigen Sidequest. „Peter“, flüsterst du in der Hoffnung, der alte Kater könnte dich vor einem Eindringling beschützen. Desorientiert vom anhaltenden Suff drückst du dich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank, tastest blind hinter dir nach etwas, das du als Waffe verwenden kannst und zischst schmerzverzerrt. Du hast das Waffeleisen nicht ausgesteckt. Tatsächlich wagt sich die Katze unter dem Tisch hervor, miaut angespannt, nein, angsterfüllt! „Nein, nein, nein“, keuchst du, umklammerst das erstbeste Ding, das du zu fassen kriegst, bereitest dich darauf vor, den Angreifer mit einer Tesarolle zu erschlagen. Wenn sogar Peter sich fürchtet, dann … Plötzlich rumpelt es direkt vor der Tür, sie wird aufgeschoben und Peter stürzt in die Küche, rennt auf Peter zu, der auf die Kommode flüchtet. Die Fugenbürste fällt auf den Linoleumboden, Peter nimmt einen Satz darüber hinweg, faucht gehässig und da stehst du nun. Verwirrt, verängstigt, erwartest du, dass die Stimme in deinen Gedanken dir erklärt, weshalb sich da zwei identische Peters streiten und nur einer von ihnen ein Glöckchen um den Hals trägt. Dummerweise habe ich darauf auch keine Antwort, die White North Ukrainians haben mich auch aus der Bahn geworfen. Wollen wir nicht die Playstation anschalt… Dein Telefon scheppert und Google lässt dich wissen: „Geh nie wieder auf eine, nie wieder auf eine Party.“

Autorin: Rahel
Setting: Beim Waffeleisen
Clues: Bananenshake, Schwachsinn, Tesarolle, Teppichquaste, Fugenbürste
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