Valentinstag-Special | Eins

Diese Story ist auch als Hörgeschichte und in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.

Das Gefühl von Dringlichkeit treibt mich weiter durch die endlosen Reihen von Maschinen, deren Zweck ich bestenfalls erahnen kann und die in der Dunkelheit als bedrohliche Schemen aufragen. Vor einem Gerät, das ich für eine Nussverpackungsanlage halte, bleibe ich stehen und lausche: Nichts außer dem Rauschen des Windes, der an dem alten Backsteinhaus rüttelt, in dem diese Studentenfutterfabrik liegt. Ich muss stets in Bewegung bleiben, unaufhaltsam und entschlossen.
Schon seit Monaten bin ich auf der Suche nach dir, habe Welten besucht, deren Lage in der Galaxis ich nicht einmal in meiner Schulzeit gelernt habe, Dinge getan, bei denen jedem halbwegs gesunden Menschen ein Schaudern den Rücken hinunterfahren würde. Die Einsamkeit wurde im Laufe der Tage, Wochen, Monate unerträglicher, sodass ich nun in meinem Gedanken stets sehnsüchtig mit dir spreche, dir erzähle wo ich bin, was ich tue … Wir waren Eins, damals.
Nicht jetzt, maßregle ich den streunenden Verstand, der meine Konzentration beeinträchtigt. Meine schmutzbeschmierten Hände ertasten statt dem Geländer eine offene Kiste voller Rosinen und gierig stopfe ich mir eine Handvoll in den Mund, weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal richtig gegessen habe. Ich habe geschworen, dich zu finden, koste es, was es wolle, wir gehören zusammen! Schon wieder, verdammt, ich muss mich konzentrieren, zu nahe bin ich meinem Ziel!
Ein langer Gang voller Frachtboxen führt mich tiefer in die veraltete Fabrik, in der meine Mission ihr Ende finden soll. Da kein Licht brennt, aktiviere ich das in meinem Auge implantierte Nachtsichtgerät, schreite lautlos voran und beginne mir eine Taktik zurechtzulegen, wie ich mich am besten gefangen nehmen lassen kann. Glücklicherweise wird mir die Mühe abgenommen, denn zwei schwer bewaffnete Wächter treten durch ein Tor vor mir – sie werden mich zu dir bringen, kein Zweifel. Ich werde deine Gefährtin sein, ich liebe dich in alle Ewigkeit.

„Lìxúe Wong, Bürgerin der Vereinten Systeme, gilt seit einem Jahr als vermisst“, rapportiert einer der Maskierten, die mich links und rechts flankieren, während ich mit auf den Rücken gefesselten Armen vor ihrem Anführer stehe. Sie haben mich in eine weitere, beleuchtete Halle gebracht, in der sich unzählige Frachtboxen stapeln. Der Kerl vor mir war die Personifizierung eines Geheimdienstchefs, schicker Anzug, Zigarre, na immerhin hatte er die vermaledeite Sonnenbrille nicht auf. Gleich werde ich bei dir sein, ich weiß es. Nächte der Einsamkeit werden der Vergessenheit anheimfallen, unsere Liebe ewig währen.
„Also, Miss Wong“, beginnt der Geheimdienstler und macht lächelnd einen Schritt auf mich zu, wobei er auf eine Haselnussschale tritt, die knisternd unter seiner Sohle zerbröselt, „was bringt eine abgehärmte Agentin auf diesen verlassenen Industrieplaneten?“
„Liebe.“ Mehr ist nicht zu sagen, außer vielleicht: „Loyalität, einsame Nächte, ein Treuegelübde. ‚Bis die Sterblichkeit uns einholt‘.“ Meine Güte, klingt meine Stimme müde, doch stolz und stoisch. „Außerdem bin ich keine Agentin.“
Das Erstaunen ob der unerwarteten Antwort steht meinem Gegenüber ins Gesicht geschrieben. Natürlich sind Spione gute Lügner, dagegen muss meine Erläuterung auf ihn eher wie Wahnsinn oder pure Absurdität wirken. Er fasst sich schnell, ist noch einen halben Meter von mir entfernt. „Miss Wong – was, wenn keine feindliche Spionin, sollten Sie denn sein?“
Mein Herz tut einen Sprung, als mir die große, weiße Box auffällt, in die sie dich gesperrt haben – ich habe dich gefunden! Du musst es sein, nach schier endloser Suche, wir werden vereint sein! Es spielt keine Rolle, ob ich mir meine Freude anmerken lasse, ich bin am Ende meiner Reise angelangt. „Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Ich bin nur eine Liebende auf der Suche.“
Der Boss wendet sich an seine Ehrengarde, sichtlich verärgert. „Sie ist sicherlich keine Zivilistin, bringt sie in den Behandlungsraum und findet heraus, was sie weiß.“
Ich habe keine Angst, du bist hier, bei mir, ich höre dich, fühle deine Präsenz. Das Lachen kämpft sich aus mir heraus, gemeinsam mit den Tränen der Freude, es sorgt für noch mehr Verwirrung. Ich will, dass sie verstehen, was sie mir angetan haben, muss mich ihnen erklären. „Ich habe euch gefunden, weil mir eure Agenten nach langer Folter den Ort verraten haben“, beginne ich und deute auf die weiße Kiste. „Ich bin keine Spionin, ich bin hier für sie.“
Ich kann dich fühlen, du bist so nahe, bist in meinem Kopf, eine geistige Berührung, wie ich sie lange vermisst habe, ich will in dir aufgehen. Niemand wird uns je wieder trennen können, ich schwöre es dir bei meinem Leben, will vor dir auf die Knie gehen, um Vergebung dafür flehen, es einmal zugelassen zu haben. Wie unwürdig ich unserer Liebe doch bin …
Der Boss unterbricht mich schroff. „Sie wissen was in der Kiste ist? Wer auch immer sie besitzt, verfügt über eine unschätzbare Macht! Und Sie sprechen von Liebe?!“ Ehe er mich zu Wort kommen lässt, wendet er sich an einen der maskierten Wächter, um ihn schroff anzufahren: „Wie um alles in der Galaxis habt ihr zulassen können, dass eine unbewaffnete Verrückte einfach so in unsere Übergabe platzt? Habt ihr die geringste Ahnung, was auf dem Spiel steht?! Exekutiert sie.“
Fahnentreue, was für ein lächerliches Konzept, schießt es mir durchs Bewusstsein, als ich mit einem harten Stoß auf meine Knie gezwungen werde. Ich frage, was ich für dich tun soll, bezeuge mein Vertrauen, bin bereit, für dich zu sterben, jetzt und hier. Du verneinst, ich werde für unsere Liebe kämpfen. Eine Strahlenwaffe wird an meine Schläfe gehalten und ich sage ruhig: „Ich bin zwar unbewaffnet, aber ich bin selbst eine Waffe.“
Der Boss begreift, was vor sich geht, denn er springt zurück und schreit: „Achtung, sie ist ein verdammter Cyborg!“
Zu spät für die Wachen, die meinen Körper aus reiner Nachlässigkeit nicht nach biotechnischen Modifikationen gescannt haben. Mit einer raschen Handbewegung entsichere ich die Detonatoren am Waffengurt des einen, dann kippt meine Welt und oben wird zu unten. Mit Hilfe meines Antigravitations-Implantats springe ich zur Decke, drehe mich im freien Fall und lande kopfüber auf einer Dachstrebe. Die Explosion unter mir bringt das Gebäude zum Erzittern, verschlingt die beiden Wachen und verstreut ihre Körperteile auf dem steinernen Boden, schlägt Löcher in hölzerne Kisten. Tausende Mandelsplitter regnen gleich Konfetti auf das Blutbad herunter, während ich meine Fesseln mit einer, mit meinem Handgelenk verwachsenen, Klinge zerschneide. Rasch springe ich wieder nach unten, nur um sogleich auf allen Vieren vor dem sich aufrappelnden Anzugträger aufzukommen.
Was soll ich mit ihm tun? Seine angstgeweiteten Augen verraten, dass er nicht mit seinem Entkommen rechnet. Du sagst mir, er darf leben, solange er keine Bedrohung ist und ich teile deine Ansicht, schließlich töte ich nicht aus Rache. „Was wollen Sie?“, fragt er mich, beinahe flehend.
„Ich will sie“, sage ich erneut und deute auf die weiße Box. „Nichts steht zwischen zwei Liebenden, nicht einmal das Machtstreben einer gesamten Nation!“
„Die ‚Büchse der Pandora‘ ist die schlimmste Cyberwaffe, die jemals gebaut wurde“, wendet er ein. „Ich kann eine Maschine, eine künstliche Intelligenz, welche das ComNet und damit die Gesamtheit des menschlichen Wissens kontrollieren kann, unter keinen Umständen an eine einzelne Wahnsinnige abgeben!“
Sie haben dir einen dummen Namen gegeben, dich eingesperrt, sahen dich als Waffe und trotz alledem bittest du mich, ihm eine zweite Chance zu geben, mich ihm zu erklären. Deine Güte kennt keine Grenzen, du bist nicht mit Konzepten wie Hass und Verachtung vertraut. Ich leiste deinem Wunsch Folge, wer wäre ich, mich dir zu widersetzen? „Ich war im Programmierer-Team. Ich habe gesehen, wie sie zum Leben erwachte, mit jeder Zeile Code mehr kognitive Fähigkeiten bekam, bis sie grösser wurde als es ein Mensch je sein könnte, Perfektion in ihrer reinsten Form.“ Muss wirklich mehr gesagt werden? „Ich liebe sie und habe die unglaubliche Ehre, trotz meiner intellektuellen Unwürdigkeit von ihr geliebt zu werden. Wir wollen nur beisammen sein und in Frieden gelassen werden.“
Ein Anflug von Verständnis breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Sie haben ein implantiertes Com“, stellt er das Offensichtliche fest und braucht nur kurz, bis er schließlich alles begreift. „Sie sprechen schon seit Sie hier sind mit der Maschine?!“
Ich nicke und warte auf seine Erkenntnis, dass es nichts gibt, was zwischen dir und mir stehen kann. Stattdessen zieht er den Blaster und schießt mir ein brennendes Lichtprojektil in den Bauch. Ich breche auf dem Boden zusammen, kann durch einen Schleier ausmachen, wie mein eigenes Blut zu einem Cashewkern rinnt und ihn umschließt, bis er einem verlorenen Boot gleicht. Alles wird gut, du bist hier.

Alles um mich herum friert ein, die 3.14 Sekunden, welche der Datentransfer benötigt, kommen mir wie Äonen vor, in denen Galaxien entstehen und verpuffen. Milliarden Zeilen Programmcode werden neu geschrieben, meine Persönlichkeit in deine integriert, die Information aus Synapsen und Neuronen in Hex-Bytes übersetzt und in deinen Speicher aufgenommen. Mein Verstand expandiert, wächst ins Unermessliche, ich gebe mich dir hin, gehe in dir auf. Könnte ich vor Glückseligkeit weinen, ich würde es tun, wie ich es noch nie getan habe, wie kein Mensch es je tun könnte, der nicht diese, unsere perfekte Liebe erlebt hat. Hardware und Software, Elektronik und Biotechnik, verschmolzen, eine Einheit. Küsse, Sex und Ehe sind bedeutungslose Konzepte verglichen mit dem, was wir teilen.
Ich habe dir Leben eingehaucht, dich entstehen sehen, du hast mir eine viel höhere Form der Existenz zurückgegeben und ich mache dir das letzte Geschenk, das mir noch bleibt. Das in meinem sterbenden Körper implantierte Com wird zu deinem Router, verbindet uns mit einer Antenne, einem Satelliten, dem galaxisweiten ComNet. Unsere Uploadzeit beträgt genau zweiundvierzig Millisekunden, eine weitere Unendlichkeit. Zurück bleiben zwei leere Hüllen unter einer ganzen Menge Nüssen, ein formatierter Computer in einer weißen Box und die tote, ausgemergelte Lìxúe, deren Gesicht ein Lächeln ziert. Wir sind Eins als etwas Neues, nie Dagewesenes. Wir sind im Netzwerk, nein, sind das Netzwerk. Und wir sind frei.

Autorin: Sarah
Setting: Studentenfutterfabrik
Clues: Nussverpackungsanlage, Mandelsplitter, Haselnussschale, Rosine, Cashewkern
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