Warten auf die Zukunft

Durch die gläsernen Wände des Konferenzraums drangen die gedämpften Stimmen der Sitzungsteilnehmer, die seit nun beinahe einer Stunde auf die Ankunft des Konzernchefs warteten und langsam ungeduldig wurden. Ich war noch nie im Leben so nervös gewesen, nicht einmal damals, als ich im Abschlusstheater der neunten Klasse die Hauptrolle gespielt hatte. Allein beim Gedanken daran, da reinzumarschieren und mich vor diese Leute zu stellen zu müssen, verkrampften sich meine Muskeln und mein Magen drehte sich um, so dass ich fürchtete, ich würde jederzeit entweder zusammenbrechen wie ein Klappstuhl, oder die Penne Arrabiata, die ich zum Mittagessen hatte, über den Boden verteilen. Und ich konnte beinahe fühlen, wie die Erwartungen der Herrschaften hinter der Glaswand mit jeder Minute Wartezeit, die verstrich, immer grösser und grösser wurden. Ich musste mich zusammenreißen und mich entspannen, denn wie sollte ich mein Produkt verkaufen, wenn ich nicht einmal in der Lage war, mich gerade hinzustellen. Also atmete ich bewusst tief durch, wippte ein wenig auf der Stelle hin und her und bemühte mich darum, die Selbsthypnosetricks meiner Mutter anzuwenden. Ich versuchte mich gedanklich an einen schönen Ort zu beamen, irgendwo hin, wo ich sicher und frei von diesem bleischweren Druck war, ins Cabrio meines besten Freundes, wo der Wind durch meine Haare rauschte und die Straße offen vor uns lag. Doch natürlich machte das alles nur noch schlimmer und je mehr ich mich darauf konzentrierte mich zu entspannen, desto weniger gelang es mir, bis ich irgendwann enttäuscht aufgab und mich auf eine der Bänke im Flur setzte.

Ohne daran zu denken, was für einen Eindruck ich hinterlassen würde, stützte ich meine Ellenbogen auf die Knie und begann die feine Maserung der Steinplatten zu studieren. Ich frage mich, ob wohl der ganze Bürokomplex des Pharmaunternehmens mit Marmorböden ausgestattet worden war, oder ob dieser Luxus für die, der Öffentlichkeit zugänglichen Bereiche vorbehalten war. Die kleinen Flecken im Stein lagen in einem dichten Netz aus faserigen Linien und erinnerten mich beruhigend an Axone und Dendriten. Da fiel mir ein, dass es unmöglich so schlimm werden könnte, wie ich mir ausgemalt hatte. Ich brauchte nichts weiter zu tun als da reinzugehen und denen vom wundervollsten Ding unter dem Himmelszelt zu erzählen, wen kümmerte es da schon, wenn ich etwas nervös war?

Erleichtert strich ich mir mit den Handflächen übers Gesicht, rückte fahrig meine Haare zurecht und setzte mich gerade hin, um mir die Situation noch einmal klar zu machen. Die einzigen undurchsichtigen Flächen des Konferenzraums waren die beiden gegenüberliegenden Wände an den Kopfseiten des Zimmers, sowie die Tür, deren schweres Holz beinahe nahtlos an den Marmorboden anschloss. Gegenüber der Glasfront zum Flur lag eine imposante Fensterfront, durch die man die ganze Stadt überblicken konnte, sofern man nicht unter Höhenangst litt. Die zwölf Komitee-Mitglieder schienen ihre Geduld wiedergefunden zu haben und saßen offenbar gelassen an dem mächtigen Sitzungstisch, währendem sie sich leise unterhielten und die bereitgestellten Cateringkörbe zerpflückten. Eine Leuchtstoffröhre über mir begann zu summen und flackerte zweimal, bevor sie ausging und der Wachbeamte vor der Tür sich zu mir umdrehte. Ich grinste ihn unbeholfen an und sagte irgendetwas darüber, dass das mit einem Lichtschwert nicht passiert wäre und nahm sein bestätigendes Schmunzeln mit Freude zur Kenntnis. Wenigstens einer hier würde die Witze in meiner Präsentation verstehen, auch wenn er nur zum Wachpersonal gehörte und nicht zu denjenigen, die über die Zukunft meiner Erfindung entscheiden würden.

Der Kloß in meinem Magen formte sich von neuem, so dass ich mich unwillkürlich wieder nach vorne beugte, um das strangulierte Gefühl in meiner Kehle etwas zu lösen. Vielleich hätte ich meinen Vortrag nüchterner gestalten sollen, schwirrte es mir durch den Kopf, immerhin wollen diese Leute ihr Vertrauen nicht in irgendeinen Witzbold stecken, zumindest nicht dann, wenn es um etwas so Wichtiges geht. Gleichzeitig wäre es sicher von Vorteil, wenn die nicht denken, ich sei so ein verrückter Spinner, der außer Genmanipulation nichts anderes im Hirn hatte. Ich seufzte lauter als ich geplant hatte, denn der Wachmann fragte mich sofort, ob mit mir alles in Ordnung war und ob ich vielleicht etwas Wasser haben möchte. So gut es ging lächelte ich ihn an und verneinte. „Das wird schon schief gehen“, versuchte er mich aufzumuntern, ehe er sich wieder der Glaswand zuwandte, vermutlich um mir Raum für meine Nervosität zu geben.

Im steinernen Korridor konnte man die Schritte schon von weitem hören. Es waren mindestens drei Personen, soviel konnte ich auch ohne den Kopf zu heben ausmachen. Für den Bruchteil einer Sekunde war sich mein Körper nicht im Klaren, ob er auf die Ankunft des Konzernchefs nun mit Erleichterung oder Panik reagieren sollte, entschied sich aber glücklicherweise für ersteres. Er blieb nur kurz vor mir stehen, nickte und marschierte geradewegs durch die Tür, um sich bei der Ethikkommission für seine Verspätung zu entschuldigen und mich knapp vorzustellen. Ich stand noch immer im Türrahmen, knetete meine kalten Finger und wartete darauf, dass alle ruhig wurden und zu mir sahen. Nun würde es losgehen, bald würde darüber entschieden werden, ob meine Arbeit der letzten drei Jahre verworfen oder endlich umgesetzt werden würde. Heute würde ich entweder die Zukunft der Menschheit verändern oder als gescheiterter Visionär aus der Geschichte verschwinden.

Autorin: Rahel
Setting: Pharmaunternehmen
Clues: Penne Arrabiata, Leuchtstoffröhre, Witzbold, Cabrio, Himmelszelt
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